Hamburg. Leitung der Hochschule hat sich bisher nicht zum gewaltsamen Übergriff auf Junge Union-Vizechef Gesser geäußert. Das sorgt für Unmut.

Sie seien "entsetzt", es sei ein "unfassbarer Vorgang": Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) hat scharf verurteilt, dass sich der Hamburger Universitätspräsident Dieter Lenzen noch nicht zum gewaltsamen Übergriff auf RCDS-Mitglied Maurice Gesser geäußert hat. Auf Abendblatt-Anfrage lässt Lenzen ausrichten, dass die Universität "laufende Ermittlungsverfahren" nicht kommentiere.

Wie berichtet, war Gesser, stellvertretender Vorsitzender der Jungen Union in Hamburg und Vertrauter des CDU-Bundestagsabgeordneten Christoph Ploß, Ende Oktober während der Sitzung des Studentenparlaments aus einer Gruppe heraus attackiert worden. Gesser, Mitglied einer studentischen Verbindung, mutmaßte, dass es sich um Linksextremisten gehandelt habe, er war leicht verletzt worden und erstattete Anzeige.

Gesser ist Mitglied in schlagender Verbindung

Die Polizei hatte den Vorfall im Hörsaal der ehemaligen Hochschule für Wirtschaft und Politik bestätigt. Zwei Streifenwagen waren im Einsatz. "Bisher konnte noch kein Beschuldigter ermittelt werden", sagte ein Polizeisprecher auf Abendblatt-Anfrage. Nach wie vor werde wegen Körperverletzung ermittelt. Weil ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden könne, sei auch der Staatsschutz einbezogen.

Zuvor hatte die "Bild-Zeitung" berichtet, Lenzen schweige zum Vorfall. Auf Nachfrage des Abendblatts übermittelt eine Sprecherin von Lenzen die Grundsatzhaltung: "Die Universität Hamburg verurteilt jedwede Straftaten, zumal das Strafgesetzbuch auch für Universitätscampi Gültigkeit hat."

Studenten "warten seit Wochen" auf Stellungnahme der Uni

Seit Wochen würden viele Studenten auf eine Stellungnahme der Universitätsleitung warten, schreibt nun der RCDS. „Es war schon irritierend, dass die Universitätsleitung wochenlang schwieg", erklären Antonia Niecke, Landesvorsitzende der Jungen Union (JU), und Ramon Weilinger, Landeschef des Rings Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS). Gewalt aber auch nicht bewerten zu wollen, setze dem Ganzen die Krone auf. "Das ist ein unfassbarer Vorgang. Wir sind entsetzt!", schreiben die beiden.

JU und RCDS fordern, dass klar sein muss, dass Gewalt am Campus nicht toleriert wird. "Dass die Universitätsleitung nicht einmal dieses Bekenntnis formulieren mag, ist wirklich traurig und lässt tief blicken." Schon häufig hätten die beiden Absender feststellen müssen, dass Lenzen "viel Rücksicht auf radikale Linke nimmt". Nun werde aber eine Grenze überschritten. Zur Seite springt ihnen der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Carsten Ovens, der die Vorgänge mit einer Schriftlichen Kleinen Anfrage an den Senat klären lassen will.

Gesser, 23 Jahre alt, hatte zuvor aus erster Hand über die Tat berichtet. Dass er in einer Fraktionspause immer wieder gefragt wurde, ob er ein 'Burschi' sei. Und dass er das wahrheitsgemäß verneint habe, weil er Wert auf die Unterscheidung zwischen Burschenschaften und Verbindungen lege. In der schlagenden Verbindung Corps Rhenania, der Gesser angehört, sei Toleranz das wichtigste Prinzip. Im Gegensatz zu den oft rechts ausgerichteten Burschenschaften, deren Gedankengut er ablehne, träten Verbindungen zudem nicht politisch auf. Religion und Herkunft spielten keine Rolle, auch seien politisch alle Strömungen vertreten.

Den Täter, sagte Maurice Gesser nach der Attacke, habe das wenig interessiert. Er habe zu einer Gruppe von vier bis fünf parlamentsfremden Personen gehört, die es offenbar wegen Gessers Mitgliedschaft in einer Verbindung auf ihn abgesehen hatten. "Der Täter hat mir in den Brustkorb getreten und mir einen Faustschlag versetzt, sodass ich über eine Stuhlreihe flog, an der ich lehnte, und zu Boden ging", berichtete Gesser dem Abendblatt.

Polizei ermittelt wegen Körperverletzung

Diesen Unterschied habe er auch im späteren Verlauf der Sitzung zu erklären versucht, als Gesser mit einem Foto von einem Stiftungsfest konfrontiert worden sei, auf dem er als Korporierter zu erkennen war. Hintergrund: Laut einem Beschluss des Studierendenparlamentes vom 23. Mai 2013 gilt die Übernahme von Ämtern innerhalb der Studierendenschaft durch im Kooperationsverband Deutsche Burschenschaft Organisierte als unvereinbar. BWL-Student Gesser: "Offenbar wurden meine Erklärungen nicht verstanden." Es kam zum tätlichen Angriff. Der Täter und die dazugehörige Gruppe konnten unerkannt durch die Räume des Cafés Knallhart flüchten.

Der gewaltsame Übergriff hatte allerdings auch ein politisches Nachspiel. Während der RCDS und andere Fraktionen die Sitzung nach dem Vorfall geschlossen verließen und damit das Parlament nicht mehr beschlussfähig war, wollte die Gruppe CampusGrün die Sitzung fortsetzen. Ihre Vorsitzende Laura Franzen betonte zwar, dass Gewalt kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung und durch nichts zu rechtfertigen sei. Allerdings widerspreche Gessens Mitgliedschaft im Corps Rhenania wenn schon nicht dem Wortlaut, so doch dem Geist der Bekundung des Parlaments von 2013.

Burschenschaften und Corps, hieß es in einer Stellungnahme weiter, seien "mit ihren rassistischen, sexistischen und nationalistischen Einstellungen ein Hort von rechtem Gedankengut. Diese Form der organisierten Ungleichheitsideologie steht gegen unsere Überzeugung der Gleichwertigkeit aller Menschen und bedeutet eine strukturelle Form von Gewalt."

RCDS greift Grüne an

Der RCDS hob dagegen hervor, dass das mutmaßliche Tatmotiv, die vermeintliche Mitgliedschaft in einer Burschenschaft, nicht gegeben sei, und warf CampusGrün sowie den Linksaußen-Fraktionen vor, den Angriff zu relativieren. Die Grünen hätten mit ihrer Stellungnahme den Kreis der Demokraten verlassen und das Opfer zum Täter gemacht. "Wer zur Gewalt gegen Andersdenkende greift, ist ein Feind von Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung des Landesvorsitzenden Ramon Weilinger und des Gruppenvorsitzenden Ramin Shakiba.

Auch den RCDS-Bundesverband rief der Vorfall auf den Plan. Er forderte als Konsequenz, die Demokratieerklärung für die Förderung studentischer Initiativen wiedereinzuführen und die Zusammenarbeit der Hochschulen mit vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuften Organisationen zu beenden.