Die neue Anlage könnte auf der ehemaligen Mülldeponie in Stellingen entstehen. Das Kohlekraftwerk in Wedel muss 2019 vom Netz.

Es ist kurz vor 12 Uhr: Zumindest aus Sicht der Initiative „Stopp! Kein Mega-Kraftwerk Wedel“. Und so ruft die Gruppe auch seit Tagen mit zahlreichen Flyern für genau diese Uhrzeit zur Demonstration auf. Vor den Toren des Kohlekraftwerks am Tinsdaler Weg wollen die Aktivisten aus Hamburg und Umgebung an diesem Sonnabend ein Zeichen setzen. Sie fordern eine schnelle Abschaltung des alten Meilers und protestieren für dezentrale Alternativen zur Hamburger Fernwärmeversorgung.

Ursprünglich sollte das aus den 60ern stammende Kohlekraftwerk Wedel bereits in diesem Jahr vom Netz gegangen und durch ein neues Gas- und Dampfturbinenkraftwerk am selben Standort ersetzt worden sein. Darauf hatten sich Kraftwerksbetreiber Vattenfall und der Hamburger Senat verständigt. Mit dem Volksentscheid 2013 und dem Votum für den Rückkauf der Netze durch die Stadt kam alles anders. Ein danach mit Vattenfall verhandelter Kaufvertrag sieht die Übergabe des Fernwärmenetzes und damit des Kraftwerks in Wedel für 2019 vor. Eine Entscheidung darüber, wie die Nachfolgelösung für Wedel aussieht, wird laut Hamburger Behörde für Umwelt und Energie für Herbst angestrebt.

Alternativlösungen gesucht

Während die Aktivisten versuchen, lautstark auf das Thema wieder aufmerksam zu machen, tut sich hinter den Kulissen aber so einiges. Denn seit Hamburg vom einstigen Großbauprojekt eines Gaskraftwerks in Wedel langsam abrückt, werden kleinere Alternativlösungen gesucht. Unternehmen wittern ihre Chance. Doch es ist kein klassisches Energieunternehmen, das ein erstes Konzept vorlegt. Ausgerechnet die Hamburger Stadtreinigung hat relativ konkrete Pläne zur Errichtung eines kleinen Kraftwerks in Stellingen.

Ingenieur Jens Niestoj stellte ausgewählten Fachleuten auf der Weltleitmesse für Umwelttechnologien kürzlich den Plan vor, dem der Aufsichtsrat zustimmen muss. Die benötigte Investitionsentscheidung soll in diesem Jahr fallen. Gibt es grünes Licht, würde die Generalplanung in diesem Jahr ausgeschrieben werden.

Demnach könnte auf dem Gelände der ehemaligen Müllverbrennungsanlage an der Schnackenburgallee ein Zentrum für Ressourcen und Energie entstehen. Die Idee ist es, Teile der alten Müllverbrennungsanlage zu nutzen und an dem Standort zwei Anlagen aufzubauen. Diese sollen aus Hausmüll und Grünabfall Energie gewinnen. So würde die eine Anlage grob sortierten Hausmüll in Ersatzbrennstoffe umwandeln. Aus dem Rest soll Biogas und Biobrennstoff gewonnen werden. In der zweiten Anlage würde vor allem Bio- und Grünabfall aufbereitet werden. „Die Zahl der Biotonnen in Hamburg hat durch die Recy­cling-Offensive deutlich zugenommen. Der Bestand hat sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt“, erklärt Reinhard Fiedler, Sprecher der Stadtreinigung Hamburg. „Das Biogas- und Kompostwerk Bützberg ist dadurch sehr ausgelastet.“ Aufgrund der verkehrsgünstigen Lage könnten in Stellingen bis zu 40 Prozent des Hausmülls angenommen werden.

50 Megawatt Fernwärme für den Hamburger Westen

Die Hamburger Stadtreinigung rechnet damit, dass die neue Anlage bis zu 8,5 Millionen Kubikmeter Biogas in Erdgasqualität abwerfen könnte. Ein weiteres Produkt aus dem geplanten Zentrum für Ressourcen und Energie wäre Kompost. Zudem würde der heizwertarme holzige Anteil der Biomasse in einem neuen Biomasseheizkraftwerk am Standort Stellingen verarbeitet werden. Das städtische Unternehmen rechnet damit, dass das Zentrum bis zu 50 Megawatt Fernwärme liefern könnte, die den Haushalten im Hamburger Westen zugeführt werden – also denen, die heute vom Kraftwerk Wedel beliefert werden.

Interessant ist das Fertigstellungsdatum, das das städtische Unternehmen anpeilt. Ausgerechnet 2019, also zur Übergabe des Fernwärmenetzes an die Stadt, könnte die Anlage ihre Arbeit aufnehmen. Einen vollen Ersatz für das Kohlekraftwerk stellt die Anlage aber nicht dar. Derzeit produziert das Wedeler Kraftwerk laut einem von der Stadt in Auftrag gegebenen Gutachten 425 Megawatt Wärme. Allerdings soll nach der Heizperiode 2015/16 auch das neue Gaskraftwerk am Rissener Haferweg seinen Dienst aufnehmen. Allein das produziert 150 Megawatt zusätzliche Wärme. Damit liegt die Kapazität des Hamburger Fernwärmenetzes laut Gutachten mit 1910 Megawatt deutlich über der nötigen hamburgweiten Spitzenlast von 1500 Megawatt.

Möglichst klimafreundlicher Mix

Die Stadt Hamburg bereite derzeit mit Gutachtern, Beratern und eigenen Experten die Entscheidung zur Nachfolgelösung für das Kraftwerk Wedel vor, heißt es aus der Hamburger Behörde für Umwelt und Energie. „Ziel ist es, kein neues fossiles Großkraftwerk als Ersatz für das Kohlekraftwerk zu bauen, sondern einen möglichst klimafreundlichen Mix aus verschiedenen Anlagen und Quellen“, erklärt Sprecher Jan Dube die Richtung. Eine Quelle könnte da auch das Zentrum für Ressourcen und Energie sein. Doch dazu möchte sich Dube nicht äußern. Er verweist dar­auf, dass die Überlegungen zu Recy­cling und Energieerzeugung in Stellingen noch nicht abgeschlossen seien.

Klar ist, dass im Herbst der Abbau der 42 Jahre alten Müllverbrennungsanlage beginnt. Aus den Unterlagen zum Rückbau geht hervor, dass gerade die Anlagenteile wie das Turbinen- und Kesselhaus als letztes wegkämen, die für die neue Anlage weitergenutzt werden könnte. Der Abbau soll bis Ende 2017 dauern. Ab 2018 könnte das neue Zentrum hier entstehen.