Hamburg. 73-Jährige muss nach 41 Jahren Wohnung im Generalsviertel verlassen. Energetische Modernisierung trifft zahlreiche Mieter.

Sie hat einen Großteil ihres Lebens hier verbracht. Fast 41 Jahre lang wohnte Anke Her­brand an der Roonstraße 16. Im Alter von 73 Jahren musste sie ausziehen. Nicht, weil sie das wollte, sondern weil ihr Vermieter die Miete um 85 Prozent erhöhen möchte. So zahlungskräftig ist die Rentnerin mit Nebenjob aber nicht.

So wie Anke Herbrand geht es vielen Mietern: Weil Eigentümer ihre Häuser aufwendig modernisieren lassen und dann trotz Mietpreisbremse höhere Mieten verlangen können, werden alt eingesessene Bewohner vertrieben. Stattdessen ziehen meist neue, jüngere, zahlungskräftige Mieter ein. Der Mieterverein spricht davon, dass Anke Herbrand und weitere Nachbarn „herausmodernisiert“ wurden.

Nach Schätzungen des Mietervereins zu Hamburg werden in der Stadt energetische Modernisierungen an etwa 15.000 bis 20.000 Wohnungen im Jahr vorgenommen. Etwa 500 Mieter werden mittelbar oder unmittelbar aufgrund der Modernisierungen sowie der damit verbundenen Mieterhöhungen zu einem Umzug veranlasst. Es kann jeden Mieter treffen.

Den Moment, als sie den Brief ihres Vermieters öffnete, hat Anke Herbrand gut in Erinnerung. „Ich war geschockt und musste weinen“, sagt sie. Die voraussichtliche Mieterhöhung sollte allein 423 Euro betragen, weil Modernisierungen anstanden. Nur wenige Tage zuvor hatte der Vermieter schon eine Erhöhung auf die ortsübliche Vergleichsmiete in Höhe von 91,15 Euro angekündigt – und zwar unabhängig von der geplanten Modernisierung – insgesamt also 514,15 Euro mehr. Für ihre Dreizimmerwohnung sollte sie dann 1121,85 Euro pro Monat kalt zahlen – 85 Prozent mehr. Nicht unüblich im Generalsviertel, aber für die Rentnerin zu viel. Sie arbeitet als Putzfrau, um über die Runden zu kommen.

Um angestammte oder einkommensschwache Bewohner vor Verdrängung zu schützen, hat der Bezirk Eimsbüttel vor, Stellingen-Süd, Hoheluft-West und Eimsbüttel-Nord mit rund 37.000 Wohnungen unter Schutz zu stellen. Gerade arbeitet die Verwaltung an einer Erhaltungsverordnung. Denn die „Aufwertungsspirale der Gentrifizierung wird sich bei den derzeitigen Marktpreisen voraussichtlich weiterdrehen“, lautet das Fazit eines externen Gutachters.

Für Anke Herbrand kommt das zu spät. „Ich wäre gern an der Roonstraße wohnen geblieben.“ Sie ist hier verwurzelt, hat Freunde und Bekannte im Viertel. Sie sei bekannt als die fahrende Oma, erzählt sie, weil sie ihre vier Enkelkinder früher immer mit dem Fahrrad durchs Viertel fuhr. Ihre zwei Kinder sind in der Wohnung aufgewachsen, haben in dem sechs Meter langen Flur Fußball gespielt. „Als ich einzog, war das eine Bruchbude, wir haben alles auf unsere Kosten renoviert.“

Sanierungen und Modernisierungen stehen jetzt an. Das Haus und die Nachbarhäuser 12 und 14 sind hinter Planen und Gerüsten verschwunden. 45 Mieter sind von Mieterhöhungen zwischen 100 und 423 Euro betroffen, gemeinsam haben sie sich an den Mieterverein zu Hamburg gewandt.

Wärmedämmungen werden kommen, die Fenster sollen ersetzt, ein Fahrstuhl eingebaut werden, das Dach ist undicht, Balkone sollen angebracht werden. Dafür müssen die Mieter zahlen – egal, ob ein Fahrstuhl oder ein Balkon gewünscht werden oder nicht. Der Vermieter, die Immobiliengesellschaft A.C. Büsch und Co., sagt: In besonderen Fällen könne man sich eine pauschale oder gestaffelte Regelung vorstellen. „Eine große Mehrzahl unserer Mieter begrüßt die Maßnahmen sehr. Sicher nicht die derzeitige Baustelle, aber das Ergebnis“, sagt Anselm Ch. H. Büsch, Inhaber und Geschäftsführer. In erster Linie seien es die älteren, die sich sehr auf den Fahrstuhl freuen und genau deswegen dort langfristig wohnen bleiben können. Nach Fertigstellung der Modernisierungen würde man sich die Kosten und jedes Mietverhältnis genau anschauen.

„Bei Modernisierungsmaßnahmen kann der Vermieter elf Prozent der Gesamtkosten auf die Nettokaltmiete aufschlagen“, sagt Marielle Eifler, stellvertretende Vorsitzende des Mietervereins zu Hamburg. Weil die Mieten im Generalsviertel ohnehin schon hoch sind, können solche energetischen Sanierungen drastische Mietsteigerungen zur Folge haben. Nur ein Bruchteil der Mietsteigerung könne in der Regel durch eingesparte Energiekosten, zum Beispiel bei den Heizkosten, ausgeglichen werden. Der Mieterverein fordert daher, dass diese energetischen Modernisierungsmaßnahmen gerechter verteilt werden: „Vermieter, Mieter und Staat sollten je ein Drittel der Kosten übernehmen“, sagt Marielle Eifler. Was bei solchen Baumaßnahmen Instandsetzung ist und was Modernisierung, müsse außerdem immer genau überprüft werden, rät Marielle Eifler betroffenen Mietern. Denn Instandsetzungen muss der Vermieter zahlen.

Anke Herbrand ist umgezogen, wollte keinen Konflikt und Rechtsstreit und hat dabei noch Glück gehabt – über Beziehungen ist sie an eine Wohnung in einem Neubau am Langenfelder Damm in Eimsbüttel gekommen. Auch dort muss sie nun eine höhere Miete zahlen. „Aber wenigstens ist die Wohnung hell und hat einen Wintergarten.“