Hamburg. Sieben Millionen Tonnen Hausmüll wurden in den vergangenen 42 Jahren dort verbrannt. Jetzt wird die Anlage nicht mehr benötigt.

Dieses Monster wurde gebaut, um zu verschlingen. Allein der 50 Meter tiefe Bunker konnte mit Unmengen gemästet werden, das aufgerissene Maul des Greifarms packte bis zu fünf Tonnen pro Fuhre und der hungrige Feuerkessel verheizte, was auf seinem absurd heißen Rost landete. Jahrelang hat die gewaltige Anlage geschluckt, was ihr zum Fraß vorgeworfen wurde, hat bis zu 350 Tonnen Abfall pro Tag verdaut. Doch jetzt riecht es nur noch nach feuchter, verbrauchter Luft. Niemand füttert die Maschine mehr. Der Ofen ist aus. Für immer.

Die Müllverbrennungsanlage am Volkspark wird nicht mehr gebraucht. Im Juni hat Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) die letzte Abfalltonne zum Verfeuern nach Stellingen geschickt. 42 Jahre lang ist in der „MVA Stellinger Moor“ angeheizt worden, mehr als sieben Millionen Tonnen Hausmüll wurden in dieser Zeit von 98 Mitarbeitern hier durchgeschleust. Jetzt legt die Stadt mehr Wert auf Recycling und Wertstofftrennung. Deshalb stehen Motoren und Turbinen still. Die Anlage ist entrümpelt, von Altkoks, Säuren und Schadstoffen befreit. Fertig für den Abriss, der bis 2017 erledigt sein soll.

Arbeiter bauen einen der alten Motoren
aus
Arbeiter bauen einen der alten Motoren aus © HA | Roland Magunia

„Es ist schon ein komisches Gefühl, hier durchzugehen“, sagt Kay Schetsche und streicht über eine Stahlluke des gewaltigen Verbrennungsofens. Sonst hätte man sich dort die Finger verbrannt. Bis zu 1200 Grad herrschten im Innern, ruhig war es im Kesselhaus nie. Immer Getöse, immer 30 Grad, im Sommer auch mal 50. „Jetzt steht alles still. Die Geländer fangen an zu rosten.“

14.000 Haushalte, das HSV-Stadionund die Arena wurden von hier versorgt

Schetsche arbeitet seit 1981 in Stellingen, hat ein fast zärtliches Verhältnis zur 1973 errichteten Fabrik. Er spricht von einer „gutmütigen Anlage“, die in all den Jahren viel ausgehalten habe. Wie das zum Teil viel zu heiße Müllfeuer, das nun erloschen ist. Wahre Industrieromantik verströmen zwei AEG-Aggregate zur Stromerzeugung: „Da hat man nicht bloß irgendeinen Knopf gedrückt. Da mussten Räder gedreht und Einstellungen geprüft werden.“ Vorbei. Jetzt hilft Schetsche als Sachgebietsleiter beim Rückbau.

Am Tag produziert Hamburg etwa 2500 Tonnen Hausmüll. Vollgepackt hat der Bunker in Stellingen 10.000 Tonnen geschluckt, gespeist durch zwölf Lkw-Luken, wo Müllfahrzeuge ständig nachkippten. Der Müll wurde an zwei Verbrennungsöfen verfüttert, die bis Juni drei Millionen Megawatt Strom und knapp eine Million Megawatt Wärme erzeugt haben. Das nahe Volksparkstadion, die Barclaycard-Arena sowie bis zu 14.000 Haushalte im Hamburger Westen haben von dieser Energieleistung profitiert. Dabei gehört die MVA Stellinger Moor zur veralteten, kleinen Generation. Die zwei verbliebenen Müllverbrennungsanlagen am Rugenbarger Damm und der Borsigstraße sind doppelt so groß.

In Stellingen dagegen bleibt der Schornstein jetzt kalt, die Anlage ist verwaist, Entlassungen habe es laut Stadtreinigung aber nicht gegeben. Das Personal sei im Unternehmen geblieben, elf Mitarbeiter kümmern sich um Rückbau und Nachnutzung. Zwei von ihnen schrauben gerade einen tonnenschweren Lüfter ab. Im Müllbunker gähnt Leere. „Hier wurde geräumt und durchgekärchert“, sagt Schetsche. Die darüberliegende Krankanzel schimmert führerlos im Neonlicht. „Wer da gearbeitet hat, musste die Einsamkeit lieben.“ Vor Kurzem wurden von dort oben gewaltige Mengen Müll umgeschichtet, jetzt sind die verlassenen Kranführersitze Sinnbild für die Wende der Hamburger Entsorgungspolitik.

Die stillgelegte Müllverbrennungsanlage
Stellinger Moor
Die stillgelegte Müllverbrennungsanlage Stellinger Moor © HA | Roland Magunia

Künftig sollen zwei Müllverbrennungsanlagen reichen, um anvisierte 600.000 Tonnen Restmüll im Jahr zu verbrennen. So lautet das Ziel der Recyclingoffensive, die erste Erfolge zeige. Bio-, Papier- und Wertstoffe sollen verstärkt getrennt statt verbrannt werden, jüngst kündigte die Stadtreinigung an, dafür Recycling-Muffeln auch per Zwang gelbe, grüne und blaue Tonnen vor die Tür zu stellen.

Getrennt werden sollen die Abfälle weiterhin in Stellingen. „Anstelle des Verbrennungstraktes wollen wir eine Sortieranlage bauen“, sagt Heinz-Gerd Aschhoff, der mit Stilllegung und Neukonzeption betraut ist. Jens Niestroj, ebenfalls mit der Nachnutzung beschäftigt, erklärt: Die Anlage soll künftig Wertstoffe herausfiltern, nicht verwertbares Material kann in einer großen Umschlaghalle zum Abtransport gelagert werden. Das Konzept mit Biokraftwerk müsse noch von der Stadt genehmigt werden. Am Standort Stellingen soll aber festgehalten werden. Damit sich der teilweise Abriss der Verbrennungsanlage rechnet, werden jetzt noch werthaltige Einzelteile verkauft. Aus Kesseln und Gerüsten kommen 2200 Tonnen Stahlschrott zusammen, 50 Tonnen Kupfer sind verbaut. Teile wie der Leitstand in feinster 70er-Jahre-Optik sollen ins Museum.