Immer mehr Menschen zieht es in den charmanten Hamburger Stadtteil, in dem der NDR und auch Hamburgs älteste Wäscherei zu Hause sind.
Ein Obelisk steht für gewöhnlich zentral wie der auf dem Petersplatz in Rom oder am Ende einer Prachtstraße wie in der amerikanischen Hauptstadt Washington. Dieser hier steht im Walde, still und stumm und doch voller Geheimnisse. Der steinerne Geselle reckt sich neben zwei Eschen spitz und säulenhaft in die Höhe in einem unbeachteten Waldstück zwischen Güterbahn, Kollaustraße und der französischen Schule Lycée. Der Obelisk trägt einen Teil der Geschichte Lokstedts.
Ein nebelfeuchtes Dorf an Kollau und Schillingsbek, das sich aus einigen Höfen entwickelte, mal zu Dänemark, Preußen, Altona und erst seit 1937/1938 zu Hamburg gehört. Lokstedt wurde weniger vom weltgewandten Hamburg angezogen, als vielmehr wegen der verheißungsvollen Steuereinnahmen eingemeindet. Denn hier residierten die wohlhabenden Kaufleute in ihren Villen. Das Zylinderviertel zeugt bis heute davon. 1891 erhielt Lokstedt als erstes Dorf in Deutschland eine elektrische Straßenbeleuchtung. Man hatte es ja.
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+++ Kurz & knapp +++
+++ Töchter & Söhne +++
Und den Obelisken widmete einst der Kaufmann Jacob von Axen seiner Tochter Catharina Margaretha. Sie war 1799 mit 26 Jahren gestorben - Schwindsucht. Bis heute ist unklar, ob der berühmte Johann Gottfried Schadow (1764-1850) den Obelisken entwarf. Er schuf auch die Quadriga auf dem Brandenburger Tor in Berlin. Sein Name ist nicht auf dem Obelisken zu finden. Aber zu seinen Arbeiten gehören deutlich mehr, als im offiziellen Werkverzeichnis aufgeführt sind, wie die Schadow-Gesellschaft in Berlin mitteilte. Schadow-Expertin Claudia Czok hält es für denkbar, dass der Künstler eine Zeichnung für das Lokstedter Denkmalensemble lieferte und Hamburger sie umsetzten. Schadow hatte enge Kontakte zu Hamburger Logen.
Wach geküsst wie Dornröschen
So wie der Obelisk vom Gestrüpp befreit und aufgewertet wurde, so wurde Lokstedt in den vergangenen Jahren aus seinem Dornröschenschlaf wach geküsst. Während im Stadtteil jede Baulücke geschlossen, klötzchenartig Häuser und Wohnungen gebaut wurden, das beliebte Eimsbüttel sich in den attraktiven Norden mit Grünanschluss ausdehnt, steht fast an jeder Ecke noch ein Zeugnis der charmanten Historie. Amsinckvilla, Wasserturm, Von-Eicken-Park sind nur die bekanntesten Orte.
Wer weiß schon, dass unweit des Obelisken Hamburgs älteste Wäscherei noch heute arbeitet? Diese besondere Note gibt sogar der Luft zwischen Kollau, Lokstedter Steindamm und U-Bahn Hagendeel eine olfaktorische Qualität - eben echt dufte. Die Wäscherei Carl Vollmer begann ihre Arbeit 1840. Der Rütersbarg liegt unweit der Kollau, der Firmengründer hatte nah am Wasser gebaut. Seine Nachfahrin Brigitte Vollmer, die die Wäscherei heute mit einem kleinen Team betreibt, hat ihre Kunden in Hotels und Gaststätten, die Wert auf weiße Wäsche legen. Dabei hat Vollmer die Düfte der Waschmittel stark reduziert, muss genau schauen, ob mehr Fett, Eiweiß oder Grauschleier sich auf Tisch- und Betttuch gelegt haben. Schmutz entfernen mit Köpfchen - nicht einfach die chemische Keule herausholen.
Das Waschmittel, die Hitze der Walzen und die Stärke sorgen für den Frischegeruch, der sich heute bisweilen über den ganzen Stadtteil legt. Die Großwäscherei Hartwig ist benachbart. Ebenso die kleine Backfabrik von Nur Hier (Allwörden). Aus der Niendorfer Straße ziehen die unsichtbaren Schwaden der Backöfen ebenfalls frühmorgens durch die Luft. Der Duft der Auen rund um Kollau und Schillingsbek animiert die Frühaufsteher zum Schlangestehen beim Bäcker Horn an der Grelckstraße. Auch wenn der rote Bau mit dem goldenen Schriftzug jeden Tag geöffnet ist, drängen die Kunden in den Laden, als gäbe es kein Morgen. Thomas Horn spielte als "Torten-Tuner" in der gleichnamigen Doku-Soap bei Kabel eins. Das ging an der Zielgruppe vorbei. Die Sendung wurde eingestellt. Bäcker Horn blieb somit bei seinen Brötchen und Törtchen.
Täglich auf Sendung
Denn Fernsehen gibt's ohnehin in erschlagender Dosis aus Lokstedt. Wo einst auf der Dirt-Track-Rennbahn Motorräder um die Wette sausten und Max Schmeling im Kampf gegen Walter Neusel 1934 mit 102 000 Zuschauern die größte in Deutschland für einen Boxkampf zusammengekommene Zuschauermenge anzog, thront heute das NDR-Fernsehen. ARD aktuell liefert "Tagesschau" und "Tagesthemen", die angeschlossenen Funkhäuser prahlen mit TV-Flaggschiffen wie "Panorama".
Und das Corvey-Gymnasium mit seiner Theaterklasse ist so etwas wie eine heimliche Schauspielschule. Nina Bott hat hier Abitur gemacht. Der bei einem Autounfall in Eppendorf getötete Schauspieler und Autor Dietmar Mues hat hier mit seinen Söhnen kleine Kammeraufführungen gegeben. Die Brüder Wanja, Jona und Woody Mues gingen zum Corvey. Alle drei wurden Schauspieler. Auch die Hamburger Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz machte am Corvey Abitur. Inzwischen ist sie stellvertretende SPD-Vorsitzende auf Bundesebene.
"Tagesschau"-Chefsprecher Jan Hofer wohnt selbst in Lokstedt. Autobahn, Flughafen, Dammtorbahnhof - das sind seine Koordinaten, wenn er mal beruflich schnell wegmuss. "Lokstedt liegt dafür ideal", sagt Hofer. Und mit dem Fahrrad zu Hagenbeck oder ins Niendorfer Gehege - das sind die Touren ins Grüne, die die Einheimischen lieben. Der alte Ortskern in der Grelckstraße, sagt Hofer, sei in den vergangenen Jahren wieder aufgewertet worden. Im Schlabberlook zum Brötchenholen - für den TV-Mann in dieser entspannten Atmosphäre kein Problem. Er hat sich bewusst für den Stadtteil entschieden. "Viele, die herzogen, fragen sich: Warum lebe ich nicht schon länger hier?"
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Böse Zungen sagen, ausgemusterte ARD-Größen fallen quasi aus dem Studio in die benachbarten Altenheime. Unsinn. Die Ballung der Seniorenwohnsitze fällt aber auf. Gleichfalls ist Lokstedt durch den Bauboom zur neuen Kita-Hochburg geworden. Die Quartiere um die Emil-Andresen-Straße, den Veilchenweg und die Niendorfer Straße sind gleichzeitig älter und jünger geworden. Bobby Car und Rollator bewegen sich in friedlicher Koexistenz durch den Stadtteil. Die Nachfrage nach Wohnraum hier ist ungebrochen groß, die Quadratmeterpreise steigen quasi stündlich. Es wird enger in Lokstedt. Doch das kommt den meisten im Stadtteil eher kuschelig vor.
+++ Der Stadtteil-Pate: Christoph Rybarczyk +++
Die Serie finden Sie auch unter www.abendblatt.de/stadtteilserie
In der nächsten Folge am 9.5.: Kirchwerder