Welcher Stadtteil ist der beste? Teil 12: Das bekannteste Viertel von Hamburg, in dem es viele unbekannte Ecken zu entdecken gibt.
Aus den Boxen vor der Naturweinbar ertönt Ini Kamoze. „Here comes the Hotstepper.“ Es ist nachts um halb eins auf St. Pauli und die Menschen tanzen mitten auf der Paul-Roosen-Straße. Die 12. Kreativnacht bringt hier in den kleinen Straßen von St. Pauli die verschiedensten Menschen zusammen. Sie alle eint das Gefühl eines ganz besonderen Stadtteils. Ein Stadtteil, von dem eigentlich jeder Hamburger weiß, dass er der Beste ist. Der Coolste. Der Bunteste. Der Aufregendste. Aber ist er auch der Schönste?
Um dieser Frage nachzugehen, lässt man sich am besten an einem Sonnabend durch St. Pauli treiben. Ein entspannter Spaziergang, der mich um 9 Uhr morgens zunächst zum Kandie Shop in die Wohlwillstraße führt. Während die meisten Cafés noch geschlossen haben, sitzt man hier schon auf einer kleinen Bierbank auf dem Bürgersteig und beobachtet die ersten Anwohner, die mit ihren Hunden und Kindern in das Wochenende starten oder die letzten Partygänger, die von der Reeperbahn nach Hause schlurfen. Ein schöner Morgenmoment in einer der interessantesten Straßen Hamburgs, die das dörfliche Jeder-kennt-jeden-Gefühl mit einem entspannten Großstadtstyle verbindet.
Zu Fuß geht es weiter über den Neuen Pferdemarkt und die Rindermarkthalle in die Schlachthofpassage. Hier läuft bereits seit 8 Uhr der wöchentliche Flohmarkt. Der Name Flohschanze lässt einen zwar glauben, man sei schon im Schanzenviertel, tatsächlich schlägt hier aber das Herz von St. Pauli. Wo früher mit Kühen und Schweinen gehandelt wurde, feilschen heute die Flohmarktverkäufer mit den Besuchern um Schallplatten, Schmuck oder Fahrräder. Wer einfach nur das bunte Treiben beobachten möchte, setzt sich am besten auf die Holztribüne vor dem Knust und hört bei Heimspielen des FC St. Pauli gleichzeitig die wohl authentischste Live-Reportage aus Fangesängen. Schon schön.
Der Fleischgroßmarkt bietet das größte Potenzial der Stadt
Nicht ganz so schön ist dagegen ein Rundgang über den benachbarten Fleisch-Großmarkt. Hier riecht es nach totem Tier. Es ist laut. Und auch die alten Schlachthaus-Gebäude sehen nicht gerade einladend aus. Wer aber mal im Kødbyen-Quartier im Kopenhagener Stadtteil Nørrebro oder in New York im Meatpacking-District war, der spürt die Möglichkeiten, die diese Ecke von Hamburg bietet. Hier könnte in Zukunft ein einzigartiges Areal für Künstler und Kreative entstehen, wenn die Stadt ihnen diesen Raum irgendwie irgendwann irgendwo auf dieser Fläche zur Verfügung stellt. Eine schöne Vorstellung.
St. Pauli: Das sind die Fakten
- Einwohner: 22.436
- Davon unter 18: 2985
- Über 65: 2182
- Durchschnittseinkommen: 27.977 € (2013)
- Fläche: 2,5 km²
- Anzahl Kitas: 18
- Anzahl Schulen: 1 Grundschule, 2 Stadtteilschulen, 1 Gymnasium
- Wohngebäude: 1283
- Wohnungen: 12.507
- Niedergelassene Ärzte: 41
- Straftaten im Jahr 2018: Erfasst: 18.790, aufgeklärt: 8275
Mein Spaziergang führt mich weiter durch den nordwestlichen Teil von Planten und Blomen, vorbei am Messegelände zur trotz aller Veränderungen noch immer vielfältigen Marktstraße im Karolinenviertel. Über das Heiligengeistfeld geht es schließlich durch das Brau-Quartier Richtung Hafenstraße. Am Ende dieses historischen Ortes wird es Zeit für das erste Bier des Tages. Direkt an der Grenze zu Altona-Altstadt bietet der Park Fiction dafür die beste Gelegenheit. Hier kann man unter künstlichen Palmen auf dem Rasen liegen und im Sonnenuntergang Schiffe gucken. Einen schöneren Ausblick gibt es im Hamburger Raum kaum.
Meine Route läuft durch die Silbersackstraße und die Talstraße zurück zur Paul-Roosen-Straße. Hier hat mein Tag in der Nacht begonnen, und hier soll er auch wieder enden. Mein absolutes Lieblingslokal ist das Standard am Ende der Großen Freiheit. Das Konzept dieser Aperitivo-Bar basiert auf den italienischen Stuzzichini. Das sind kleine Vorspeisen, die hier zu einem Getränk gereicht werden. Mit einem klassischen Italiener hat allerdings weder das Essen noch die Einrichtung etwas zu tun. Die zwei stylischen Räume mit ihrem Design würde man eher in Berlin oder New York verorten. Für das Essen nutzt die Köchin Mina saisonale und regionale Produkte. Der Sinn für Schönheit und Geschmack springt einem quasi bei jedem Stuzzichino ins Auge.
Jährliche Kreativnacht in St. Paulis kleinen Straßen
Das Standard ist nur eines von vielen Lokalen, das an dieser Straßenecke in den vergangenen Jahren entstanden ist. Das Restaurant Haebel, der Weinladen St. Pauli, das Krug und die Naturweinbar liegen direkt nebeneinander und könnten als Paradebeispiel der Gentrifizierung von St. Pauli herhalten. Man könnte sie aber auch einfach als schöne Orte beschreiben, die jeden Abend Menschen aus allen Teilen Hamburgs zusammenbringen. So wie es auch die jährliche Kreativnacht hier in den kleinen Straßen im schönsten Teil von St. Pauli tut.
Wer den Abend nach diesem langen Spaziergang durch den Stadtteil in Ruhe ausklingen lassen will, kann sich an dieser Corner mit einem Glas Wein vor eine der vielen Bars setzen. Wem das nicht reicht, der „cornert“ halt an der überlaufenen Straßenecke beim Grünen Jäger weiter oder zieht auf den Hamburger Berg. Mit viel Glück trifft man hier unter der Woche in Rosis Bar die legendäre Besitzerin Rosi McGinnity, die einst schon mit den Beatles geflirtet hat, als diese noch kaum jemand kannte.
Ist St. Pauli nun der schönste Stadtteil? Darüber mag es geteilte Meinungen geben. Für mich es hier in jedem Fall richtig schön bunt, häufig auch schön ruhig, manchmal schön laut und oft auch ganz schön wild. Mein Spaziergang führt mich um Mitternacht zurück nach Hause. Das Schönste an diesem langen Tag: Ich musste nur einmal kurz die Reeperbahn überqueren. Die ist für mich nämlich alles andere als ein schöner Ort. Und schon gar nicht nachts um halb eins.
St. Pauli: Das sind die Highlights
1. Die Corner der Zukunft
Wer vom Cornern auf St. Pauli spricht, der meint in der Regel die Straßenkreuzung am Grünen Jäger. Wer aber keine Lust hat auf Glasscherben und Partytouristen, der kommt am besten zur Corner an der Paul-Roosen-Straße. An dieser Ecke geht es entspannter zu. Außerdem ist die Auswahl der Bars und Restaurants größer und der Lärmfaktor deutlich kleiner.
2. Kaffee und Zimtschnecken
Im Kandie Shop in der Wohlwillstraße bekommt man zwar auch Süßigkeiten wie im Tante-Emma-Laden, die meisten Gäste aus der Nachbarschaft schätzen diesen Ort aber, weil sie hier noch vor der Arbeit einen guten Kaffee trinken können. Der Geheimtipp zwischen den selbst gebackenen Kuchen von Chefin Kerstin: die veganen Zimtschnecken oder das Bananenbrot.
3. Flohmarkt für alle
Man muss nicht auf der Suche nach Trödelwaren sein, um sich auf dem wöchentlichen Flohmarkt in der Schlachthofpassage wohl zu fühlen. Mit einem Kaffee in der Hand lässt man sich hier einfach durch die Höfe treiben und genießt die entspannte Atmosphäre. Mit etwas Glück hört man bei Sonnabendspielen ein Tor des FC St. Pauli vom Millerntor nebenan.