Neuengamme. In einer Wanderausstellung der Stiftung Arolsen Archives werden in Neuengamme persönliche Gegenstände von KZ-Häftlingen gezeigt.

Ein großer, aufklappbarer Überseecontainer steht derzeit auf dem ehemaligen Appellplatz der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Darin ist die Open-Air-Wanderausstellung „#StolenMemory“ der Stiftung Arolsen Archives mit persönlichen Gegenständen von KZ-Häftlingen zu sehen. In dem Container sind exemplarisch Gefangene, deren Angehörige bereits ermittelt wurden, und solche, deren Familien noch gesucht werden, mit ihren Fotos, Reisegepäck und den Ausweispapieren abgebildet.

Erste Begegnung von Gewalt und Entmenschlichung geprägt

Persönliche Gegenstände der Gefangenen werden gezeigt, etwa Fotos, Füllfederhalter, Schmuck und Uhren, die ihnen bei der Ankunft auf dem Appellplatz abgenommen worden sind. „Die Gegenstände wurden in kleine Papiertüten gelegt, beschriftet mit den Namen der Häftlinge. Deren erste Begegnung im KZ-Lager war von Gewalt und Entmenschlichung geprägt.

Den Häftlingen wurde gesagt, dass sie die Sachen nach ihrer Entlassung wiederbekämen. Die Gegenstände wurden in der sogenannten Effektenkammer verwahrt. Das ist unmittelbar neben dem Ausstellungsplatz gewesen. Diese Dinge waren das Symbol ihrer Persönlichkeit, sogar die Namen wurden ihnen genommen, in dem sie zu Nummern wurden“, sagt Dr. Iris Groschek von der Gedenkstätte Neuengamme.

KZ-Mann versteckte das Eigentum der Lagerinsassen bei Kriegsende in einer Kegelbahn

Als 1945 das Kriegsende nahte, wurden die sogenannten Effekten, also das Reisegepäck, aus Neuengamme von dem dafür verantwortlichen KZ-Mann mit in seine Heimat nach Lunden in Dithmarschen genommen und dort in einer Kegelbahn versteckt. Die Engländer entdeckten und konfiszierten die Gegenstände, übergaben diese dem Roten Kreuz zur Rückgabe an die Häftlinge oder deren Angehörige.

Mit Papieren, Fotos und Schmuck wird nach den Angehörigen gesucht.
Mit Papieren, Fotos und Schmuck wird nach den Angehörigen gesucht. © Gabriele Kasdorff - Lauenburg | Gabriele Kasdorff - Lauenburg

Seit 2016 sucht die Stiftung Arolsen Archives aktiv nach den Angehörigen, etwa mit dieser Wanderausstellung. Es konnten bereits viele persönliche Gegenstände an Nachkommen übergeben werden. „Das hat eine enorme emotionale Wucht, wenn die Nachkommen den Ehering des Großvaters mit dem Namen der Großmutter zurück erhalten“, sagt Dr. Iris Groschek.

Hundert E-Mails und Anrufe von Familien der Gefangenen, aber auch von „Täterfamilien“

Jährlich erreichen viele Hundert E-Mails und Anrufe die Gedenkstätte Neuengamme: Nachfragen von Familien der Gefangenen, aber auch von „Täterfamilien“. „Dies zeigt, wie viel Bedeutung die NS-Geschichte noch heute hat“, sagt Dr. Iris Groschek.

Arolsen Archives verwahrt Effekten von 2500 ehemaligen Gefangenen aus ganz Europa. Einige Stücke sind in der Hauptausstellung der Gedenkstätte Neuengamme als Dauerleihgabe zu sehen, etwa Schmuckstücke und ein Messer eines chinesischen Seemannes, eine Kamera und Eheringe sowie Schmuck von Gefangenen.

Das Betrachten der Erinnerungsstücke berührt den Besucher

Allein das Betrachten dieser Erinnerungsstücke berührt den Besucher. Wie wird es erst den Angehörigen ergehen, wenn ihnen diese „stolen memorys“, also gestohlene Erinnerungen zurückgegeben werden? Die Menschen zu berühren ist das Ziel der Ausstellung, die mit insgesamt drei Containern unterwegs ist.

Interessierte können im Internet unter www.collections.arolsen-archives.org recherchieren und Anfragen stellen. Die Seite www.stolenmemory.org bietet weitere Einblicke in individuelle Schicksale.

Infotafeln im Container in vielerlei Sprachen

Die Infotafeln des Containers sind in fast allen europäischen Sprachen sowie Hebräisch und weiteren internationalen Sprachen beschriftet. Die Sonderausstellung steht bis zum 11. August auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Jean-Dolidier-Weg 75. Geöffnet ist sie jeweils montags bis freitags von 9.30 bis 16 Uhr, sonnabends und sonntags von 12 bis 19 Uhr.

„Unsere täglichen Kurzführungen, die jeweils ab 12 Uhr und ab 13.30 Uhr kostenlos angeboten werden, bringen die Steine zum Sprechen“, sagt Dr. Iris Groschek – und regt dazu an, den Ausstellungsbesuch mit einem Rundgang über das 55 Hektar große Gelände zu verbinden.