Hamburg. Im ehemaligen Klinkerwerk wird an den 76. Jahrestag der Befreiung erinnert. Nur wenige geladene Gäste konnten teilnehmen.
Noch mehr als jeder andere Tag im Jahr steht der 3. Mai in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme im Zeichen der Erinnerung. Denn dieser Tag bedeutete vor nun 76 Jahren für die Überlebenden des Konzentrationslagers die Befreiung aus der Gewalt der SS und für die Hinterbliebenen die Trauer um Tausende KZ-Häftlinge, die am selben Tag bei der Bombardierung der Schiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“ in der Lübecker Bucht umkamen.
Das Konzentrationslager Neuengamme war das größte der Nationalsozialisten in Nordwestdeutschland. Mehr als 100.000 Menschen aus ganz Europa waren im Hauptlager Neuengamme und in mehr als 85 Außenlagern inhaftiert. Mindestens 42.900 Häftlinge kamen ums Leben.
Tschentscher fordert „klare Haltung und konsequentes Handeln“
Die internationalen Gedenkveranstaltungen im ehemaligen Klinkerwerk besuchten bis 2019 stets Hunderte Gäste, darunter auch die letzten Überlebenden und Angehörige. Doch nach 2020 konnte es auch in diesem Jahr wegen der anhaltenden Corona-Pandemie keine große Veranstaltung geben.
Einzig das Gedenken fällt nie aus: „Die Erinnerung an die Opfer des Nazi-Regimes ist schmerzhaft, aber wichtig – als ehrendes Andenken und als Mahnung für die Zukunft“, betonte Dr. Peter Tschentscher. Hamburgs Erster Bürgermeister sprach am Montag als einer von wenigen geladenen Gästen vor etwa 1000 leeren Stühlen, die symbolisch für die fehlenden Gäste im Klinkerwerk aufgestellt wurden. Auch Schleswig-Holsteins Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Karin Prien, war geladen.
„Der Antisemitismus zeigt sein hässliches Gesicht überall auf der Welt.“
In der Gedenkveranstaltung, die live im Internet übertragen wurde, mahnte Tschentscher: „Menschlichkeit, Demokratie und Freiheit können nicht allein durch die Verfassung, Behörden oder Gerichte geschützt werden. Wir alle müssen sie jeden Tag verteidigen durch eine klare Haltung und konsequentes Handeln gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Populismus. Die Gedenkstätte Neuengamme leistet einen wichtigen Beitrag zur Stärkung von Demokratie und Menschenrechten in Hamburg, Deutschland und darüber hinaus.“
Livia Fränkel, Überlebende der KZ Auschwitz, Neuengamme und Bergen-Belsen, sendete im Namen der Überlebenden aus Stockholm eine Videobotschaft: „76 Jahre sind vergangen, seit ich wiedergeboren wurde und mein neues Leben begann“, sagte die 92-Jährige, deren Eltern im Mai 1944 in Auschwitz ermordet wurden. Heute schaue sie sich in der Welt um und was sie sehe, sei nicht ermutigend: „Der Antisemitismus zeigt sein hässliches Gesicht überall auf der Welt.“
Sie sei eine sehr alte Frau, eine der letzten Überlebenden. „Die letzten 30 Jahre war ich damit beschäftigt, im Land herumzureisen und Jugendliche zu treffen. Ich lege Zeugnis darüber ab, was passieren kann, wenn man zulässt, dass Hass und Gewalt die Gesellschaft übernehmen. Und wie wichtig es ist, die Gleichheit der Menschen zu betonen! Ich bin dem Schicksal dankbar, dass ich nach dem Krieg ein so gutes Leben hatte. Ich habe eine große Familie mit drei Kindern, sechs Enkelkindern und 15 Urenkeln. Hitler ist es also nicht gelungen, uns zu vernichten. Wir sind diejenigen, die gewonnen haben. Unser Leben geht in den kommenden Generationen weiter“, sagte Livia Fränkel.
„Schmerzhaft, dass wir auch in diesem Jahr nicht zusammenkommen können“
Auch Dr. Martine Letterie, Präsidentin der Amicale Internationale KZ Neuengamme und Enkelin eines ehemaligen KZ-Häftlings, schickte eine Videobotschaft aus den Niederlanden: „Zeugnis ablegen, das ist es, was wir heute weiter tun, wo immer wir sind. Wir werden weiterhin die Geschichte unserer Väter, Mütter, Onkel, Großväter, Großmütter und Urgroßväter erzählen und an die Opfer des Nazi-Regimes erinnern. In ihrem Namen wollen wir uns einsetzen für Demokratie und Menschenrechte in Europa und darüber hinaus.“
Vor lauter leerer Stühle im Klinkerwerk wurden vor allem die letzten Überlebenden, aber ebenso ihre Angehörigen und weitere Gäste aus dem In- und Ausland sehr vermisst: „Es ist für uns sehr schmerzhaft, dass wir auch in diesem Jahr nicht gemeinsam mit ihnen zusammenkommen können“, sagte Dr. Oliver von Wrochem, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.
Erinnerungsstücke für multimediale Reportage zusammengetragen
Stattdessen wurden Überlebende und Angehörige gebeten, persönliche Erinnerungsstücke zu senden: Ob eine Taschenuhr, ein letzter Brief oder ein gestreiftes Tuch, genäht aus der Häftlingskleidung des Vaters – all diese Gegenstände sind mit persönlichen Erinnerungen verbunden. Diese Geschichten werden nun online in einer multimedialen Reportage erzählt. „Damit sind sie, auch wenn sie nicht persönlich zum Jahrestag der Befreiung nach Hamburg reisen können, mit ihren Geschichten, Gedanken und Wünschen präsent. Gemeinsam tragen wir dafür Sorge, dass dieser besondere Tag nicht vergessen wird“, sagte von Wrochem.