Hamburg. Ort der Verbundenheit: Angehörige früherer KZ-Häftlinge können den neuen Erinnerungsort mit Plakaten gestalten. Denkmal soll wachsen.

Sie habe sich mit ihrer Wut und Trauer sehr lange alleingelassen gefühlt, berichtete am Freitag Uta Kühl unter Tränen. Die Tochter von Hermann Kühl, der verschiedene Konzentrationslager als politischer Häftling überlebte, ist Mitinitiatorin des Projekt „Ort der Verbundenheit“. Fünf Jahre nach Beginn der Planung dieses Gedenkortes wurde eben dieser auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme feierlich eingeweiht.

Der „Ort der Verbundenheit“ besteht aus weißen Plakatwänden unter freiem Himmel, nahe dem Plattenhaus. Sie wurden jetzt mit den ersten neun Plakaten von Angehörigen ehemaliger Häftlinge beklebt. 73 weitere Plakate sind bereits erstellt. Hinterbliebene, die auf diese Weise ebenfalls öffentlich an die Leiden ihrer Vorfahren erinnern wollen, können dies jederzeit tun und mit Hilfe der Gedenkstättenmitarbeiter Druckplatten erstellen. Die Druckplatten werden in Archivregalen dauerhaft präsentiert. Angehörige, die ein Plakat gestalten möchten, melden sich bei der Gedenkstätte unter Telefon 040/428 13 15 00.

Erinnerungsort auf Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme soll wachsen

Es sei ein langer Kampf für eine würdige Form des Erinnerns gewesen, betonte Uta Kühl. „Wo war die Bundesrepublik Deutschland? Nur wir waren da – die Angehörigen“, sagte sie bei der Einweihung. Der Austausch mit weiteren Angehörigen aus verschiedenen Ländern habe ihr zu „Kraft, Zuversicht und Entschlossenheit“ verholfen. Eine finanzielle Unterstützung des Projekts habe die Europäische Union abgelehnt. Dafür habe die Hamburger Kulturbehörde tief in die Tasche gegriffen, berichtete Barbara Hartje, Vorsitzende des Freundeskreises KZ-Gedenkstätte Neuengamme .

Kristof Van Mierop, Generalsekretär der Amicale Internationale KZ Neuengamme, war zu der Feier unter freiem Himmel per Livestream im Internet aus 670 Kilometern Entfernung in Belgien zugeschaltet. Er konnte wegen des Coronavirus nicht persönlich anwesend sein. Seine Rede wurde für die rund 50 Besucher vor Ort, darunter zahlreiche Reporter und Fernsehteams, von Gedenkstätten-Mitarbeiterin Alyn Beßmann simultan übersetzt.

„Der Toten wird im Haus des Gedenkens gedacht, aber an dem Ort der Verbundenheit können alle einen Platz finden, auch die Überlebenden“, sagte Van Mierop. Er habe selbst bereits ein Plakat zur Erinnerung an seinen Großvater Roger Vyvey gestaltet. Er zählte zu den Überlebenden des KZ Neuengamme. „Die Plakate sind einzigartig – so wie es auch die Häftlinge waren“, sagte der Generalsekretär.

Gedenkwand als „dynamisches Denkmal“ entwickelt

Uta Kühl mit ihrem Plakat am Ort der Verbundenheit. Sie erinnert damit öffentlich an ihren von den Nationalsozialisten verfolgten Vater.
Uta Kühl mit ihrem Plakat am Ort der Verbundenheit. Sie erinnert damit öffentlich an ihren von den Nationalsozialisten verfolgten Vater. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

In dem größten Konzentrationslager Nordwestdeutschlands waren zwischen 1938 und 1945 fast 100.000 Menschen aus ganz Europa inhaftiert. Die Zahl der Toten kann wegen der lückenhaften Quellenüberlieferung nur grob geschätzt werden. Nachweislich starben mindestens 42.900 Menschen als Häftlinge des KZ Neuengamme. Hinzu kommen zahlreiche Menschen, die nach ihrer Haftzeit zugrunde gingen. Namentlich bekannt sind 23.394 Todesopfer. Sie sind in einem Totenbuch erfasst, das im Krankenrevier des Stammlagers Neuengamme geführt worden war.

Van Mierop äußerte die Hoffnung, dass viele weitere Angehörige weltweit das Denkmal in Neuengamme mitgestalten. „Es soll Jahr für Jahr wachsen“, sagte er.

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Viel Applaus ernteten zwei Künstler vom Studio für experimentelles Design der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Die Studenten trafen sich zweieinhalb Jahre lang mit der Gruppe um Uta Kühl. Gemeinsam wurde die Plakatwand als „dynamisches Denkmal“ entwickelt, wie es Student Nick Craven formulierte.

Der Wunsch vieler Angehöriger von früheren KZ-Häftlingen geht in Erfüllung

Gedenkstätten-Leiter Dr. Oliver von Wrochem sagte, dass das Denkmal „lebendig erinnern“ würde. Mit der Einweihung des Erinnerungsortes gehe der Wunsch vieler Angehöriger von früheren KZ-Häftlingen aus der ganzen Welt nun in Erfüllung. Bernhard Esser, ein weiterer Angehöriger, sprach von seinem Vater Rudolf Esser. Der überlebte das KZ Neuengamme als politischer Gefangener. Sein Plakat gestaltete Bernhard Esser als Brief an seinen Vater. 1993 habe sich Bernhard Esser erstmals in der Gedenkstätte engagiert.

„Damals sprach mein Vater eindringlich auf mich ein: ,Berni, lass die Hände davon, wenn die Nazis wieder ans Ruder kommen, bist du einer der Ersten.“ Lange habe er darin nur einen Ausdruck des tiefen Traumas seines Vaters gesehen, sagte der Sohn. Angesichts des Erstarkens der Rechtspopulisten hoffe er inzwischen inständig, dass niemals eintritt, wovor sein Vater ihn gewarnt hat.

Internet; ort-der-verbundenheit.org