Neuengamme. Auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme entsteht ein „Ort der Verbundenheit“. Es ist ein Angebot für Angehörige von KZ-Opfern.
Bernhard Esser war erst wenige Wochen alt, als sein Vater Rudolf im Februar 1944 ins Konzentrationslager Neuengamme verschleppt wurde. Der Schuhmacher aus Eimsbüttel überlebte. „Doch die absolute Willkür, die ständige Angst und die Brutalität, die er erlebt hat, waren für ihn die Hölle“, weiß Bernhard Esser. Er richtet nun einen sehr persönlichen Brief an seinen 1996 verstorbenen Vater: „Damit so etwas nie wieder geschieht, verspreche ich dir: Wir bleiben wachsam, wir schweigen nicht, wir greifen ein. Dein Berni.“
Gedruckt als Plakat wird der Brief Teil des „Orts der Verbundenheit“, der auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme entsteht. Er soll alle Angehörigen vereinen – egal, ob ihre Verwandten vor mehr als 75 Jahren in Neuengamme gestorben sind oder die Qualen überlebt haben – wie Rudolf Esser.
Bernhard Esser ist motiviert, aktiv zu werden
Die Geschichte seiner Familie lässt Bernhard Esser nicht los. Im November 1933 war sein Vater schon einmal von den Nazis verhaftet worden, weil er sich in der Kommunistischen Partei, der KPD, engagiert hatte. Mit ihm seine Tante und Onkel Alwin, der in der Haft im KZ Fuhlsbüttel von SA-Wachmannschaften erschlagen wurde. Großvater Fritz saß als KPD-Abgeordneter bereits im Gefängnis. „Danach war er ein schwer gezeichneter Mann“, sagt Bernhard Esser.
Auch seinen Vater ließ die tiefsitzende Angst nie wieder los: Als Bernhard Esser 1992 begann, sich aktiv in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu engagieren, bekam er von seinem Vater zu hören: „Berni, lass die Hände davon, wenn die Nazis wieder ans Ruder kommen, bist du einer der ersten.“ Diese Worte hat Bernhard Esser nie vergessen. Doch sie motivierten den politisch interessierten Mann eher noch mehr, aktiv zu werden.
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Esser setzt sich seit fünf Jahren für „Ort der Verbundenheit“ ein
So hat er auch die Umsetzung des „Orts der Verbundenheit“ wesentlich mit geprägt. Seit fünf Jahren setzt er sich dafür ein, einen Ort aktiven Gedenkens von und für Angehörige ehemaliger Häftlinge des KZ Neuengamme zu schaffen. Neben internationalen Häftlingsverbänden und dem Freundeskreis der Gedenkstätte unterstützen auch Studierende der Hochschule für Bildende Künste (HFBK) dieses Anliegen. Deren „Studio Experimentelles Design“ entwickelte ein Konzept, zu dem eine Druckwerkstatt im Plattenhaus, eine Plakatwand und ein Archivregal gehören. An der Plakatwand, von der kürzlich der Rahmen aufgestellt wurde, sollen die Plakate der Angehörigen zu sehen sein. „Sie werden plakatiert wie früher Protestplakate an einer Litfaßsäule“, erklärt Bernhard Esser. Durch den Einfluss von Sonne und Regen werden sie mit der Zeit verwittern: Ein Symbol dafür, dass auch die Erinnerung verblasst.
Doch Druckplatten aus Acryl werden zu jedem Plakat in einem Regal aufbewahrt. „So können die Plakate stets neu gedruckt und in die Welt getragen werden“, sagt Alyn Beßmann, die das Projekt für die KZ-Gedenkstätte begleitet.
Mehr als 70 Entwürfe für Plakate liegen vor
Aus der ganzen Welt gingen bereits Einsendungen von Angehörigen ein. Nicht wenige haben die Mitarbeiter der Initiative sehr berührt, berichtet Alyn Beßmann. So schrieb der Ehemann der Italienerin Maria Grazia Gori Casa ein Gedicht über ihren Vater, den die Nazis abgeholt haben, kurz bevor er Vater wurde. Er habe nicht einmal gewusst, ob er eine Tochter oder einen Sohn bekommen würde.
Derzeit gibt es Platz für 96 Plakate, mehr als 70 Entwürfe für Plakate liegen bereits vor. Das Projekt soll weiter wachsen, was allerdings mit Kosten verbunden ist: Etwa 100 Euro kostet eine per Laser gravierte Druckplatte. Für den Start des Projekts hatten die Studierenden der HFBK 17.300 Euro von der Kulturbehörde eingeworben. Weitere Spenden sind willkommen. Auch Patenschaften seien denkbar, so Alyn Beßmann. Schließlich solle die Teilnahme von Angehörigen nicht davon abhängen, ob diese sich eine Druckplatte leisten könnten. Bernhard Esser hofft, dass der Ort der Verbundenheit lange Bestand hat: „Ich würde mich freuen, wenn meine Enkel eines Tages als Erwachsene hierherkommen und ein Plakat drucken“, sagt der 76 Jahre alte Hamburger.
Einweihung ist für den 13. November geplant
Eigentlich sollte der „Ort der Verbundenheit“ schon bei der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers Neuengamme vor 75 Jahren im Mai eingeweiht werden. Sie wurde coronabedingt abgesagt. Die Einweihung ist nun für den 13. November 2020 geplant. Die Gedenkfeier zum 75. Jahrestag soll 2021 nachgeholt werden.
Spendenkonto: Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengamme e. V.Hamburger Volksbank eGBIC: GENODEF1HH2IBAN: DE82 2019 0003 0014 4554 04Verwendungszweck: Ort der Verbundenheit