Neuengamme. Neuengamme. Zwei junge Hamburger haben in der Schwerstbehindertenbetreuung gearbeitet. Und dabei viel über Menschen und sich selbst gelernt.
Unser Job bietet einen gute Gelegenheit, einmal an jemand anderen als an sich selbst zu denken“, sagt Hannes Lange und fügt hinzu: „Die Arbeit hilft mir, einen anderen Blick auf die Welt zu bekommen – auch einen anderen Blick auf das eigene Leben.“ Der 18-Jährige leistet ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) bei der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung (ISB) Neuengamme.
Nicht den Rollstuhl, sondern nur den Menschen sehen
Hannes Lange betreut seit knapp einem Jahr einen jungen Rollstuhlfahrer an der Grundschule Nettelnburg. „Er kann weder gehen, laufen oder stehen, ist aber geistig voll auf der Höhe“, sagt der FSJ'ler. Er schiebt den Rolli, reicht seinem Klienten Pausenbrote und andere Utensilien aus dessen Ranzen, hilft ihm bei Toilettengängen. „Die Arbeit ist reine Gewöhnungssache. Inzwischen nehme ich den Rolli gar nicht mehr wahr, sondern nur den Menschen“, sagt der 18-Jährige, der in Curslack lebt. Mal sei er dessen Kumpel, mal dessen Mentor und Erzieher. Es gebe einen großen Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl, betont Lange. „Schließlich soll sich das Kind nicht behindert, nicht als Außenseiter fühlen.“
Er erfahre „unmittelbare, ehrliche Dankbarkeit“, berichtet Lange. In der Klasse seines Klienten sind drei weitere Integrationskinder, von denen eines ebenfalls einen „persönlichen“ Betreuer hat. Lange: „Die vier werden morgens zusammen mit einem Kleinbus zur Schule gebracht und ich hole sie immer am Bus ab. Die freuen sich jedes Mal riesig und rufen meinen Namen schon von weitem über den ganzen Schulhof.“
Berufswunsch ist nach dem Jahr klar
Sein Freiwilliges Soziales Jahr hat den 18-Jährigen entscheidend geprägt: „Nach meinem Abi wusste ich lediglich, dass ich Lehrer werden möchte. Nun ist mir klar, dass ich Sonderschulpädagogik studieren möchte.“ Lange will sich für das Wintersemester 2015 an der Uni Hamburg bewerben.
Jeanne Krohn (20) beendet ebenfalls zum Ende dieses Monats ihr FSJ. In ihrem Fall waren es sogar 18 Monate. Die Harburgerin, die wie Lange für die ISB Neuengamme im Einsatz ist, ist fix und fertig, wenn sie nach Hause kommt. „Dann brauche ich erst einmal eine Stunde Ruhe“, sagt sie. Jeanne Krohn betreut einen Jungen an der Grundschule Ernst-Henning-Straße. Der in seiner Lernentwicklung verzögerte Schüler ist körperlich fit, braucht aber viel Aufmerksamkeit und Hilfe im sozialen Umgang, berichtet die 20-Jährige.
Statt Lehramt lieber BWL
Ihr Einfühlungsvermögen ist häufig gefragt. „Ich bin für ihn wie eine große Schwester.“ Wenn der Junge ausflippt und wütend wird, weiß sie, mit welchen Worten und welcher Stimmlage sie ihn wieder beruhigen kann. Jeanne Krohn ist die einzige Schulbegleiterin in „ihrer“ Klasse: „Andere Schüler werden speziell durch die Lehrer gefördert“, sagt sie. Jeanne Krohn will nicht weiter im sozialen oder pädagogischen Bereich arbeiten. „Dafür bin ich nicht gemacht.“ Statt auf Lehramt will sie lieber BWL studieren. „Die Zeit als FSJ'lerin war trotzdem gut und sinnvoll. Es ging mir ja auch darum, herauszufinden, wie es mit mir weitergehen soll.“
40 junge Menschen engagieren sich in der ISB
40 junge Menschen engagieren sich in der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung (ISB) Neuengamme für Menschen mit Handicap. Sie begleiten mehr als 50 Kinder und Jugendliche in deren Schulen, stehen ihnen bei der Eins-zu-eins-Betreuung den gesamten Vormittag über zur Seite.
Sie begleiten ihre Klienten in der Förderschule Weidemoor und in den Inklusionsklassen von Bergedorfer Grund- und Stadtteilschulen, etwa der GSB, der Schule Nettelnburg, der Stadtteilschule Kirchwerder oder der Grundschule Kirchwerder. „Die begleiteten Schüler haben körperliche, geistige oder seelische Behinderungen“, sagt Martin Waltsgott (53).
Der Bedarf ist groß - es werden noch Freiwillige gesucht
„Es sind immer 30 bis 40 Helfer im Einsatz, der Bedarf schwankt von Jahr zu Jahr. Derzeit sind es 40 Mitarbeiter, damit ist die Höchstgrenze erreicht“, sagt Waltsgott. Im Büro koordinieren drei Teilzeitkräfte die Einsätze der Schulbegleiter. „Wir sind die Ansprechpartner für die FSJ'ler, aber auch für die Eltern der Klienten, die Schulen und Behörden“, sagt Susanne Dabelstein, eine drei Einsatzleiterinnen im Büro. Die FSJ'ler bekommen ihre Kosten (etwa Fahrgeld) erstattet, sind außerdem über ihren Arbeitgeber kranken- und sozialversichert. Waltsgott: „Außerdem erhalten sie ein monatliches Taschengeld.“
Für das kommende Schuljahr, das in Hamburg am 27. August beginnt, werden allerdings noch freiwillige Schulbegleiter gesucht. Sie erreichen das ISB-Büro an der Feldstegel 18 montags bis donnerstags in der Zeit von 8.30 bis 12 Uhr unter der Telefonnummer (040) 723 7 18 00.
Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.isb-neuengamme.de.