Hamburg. Simone Vollstädt erinnert sich an die Silvesterflut vor 300 Jahren zurück. Viele Deiche brachen, ganz Ochsenwerder war überflutet.
Als vor 300 Jahren das alte Jahr zu Ende ging, da kam das Wasser in die Vier- und Marschlande: Als "Silvesterflut" oder auch "Neujahrsflut" ging das Hochwasserereignis vom Jahreswechsel 1720/21 in die Geschichtsbücher ein. Erst drei Jahre zuvor mussten viele Deiche nach der Flutkatstrophe von 1717 ausgebessert werden. Nun brachen sie erneut entlang der gesamte Nordseeküste auf dem Festland und auf Inseln: Helgoland besteht seitdem aus zwei Teilen, nachdem die Sturmflut die Düne von der Hauptinsel abriss.
Auch in den Vier- und Marschlanden brachen Deiche. Daran erinnert nun Simone Vollstädt aus Ochsenwerder. Schon als Schülerin, damals noch in Moorfleet lebend, entwickelte sie großes Interesse für die Geschichte der unmittelbaren Umgebung. Seit den 1990er-Jahren forscht sie nun schon intensiv. Die Heimatforscherin begibt sich immer wieder auf die Suche und findet "neue" Geschichten aus der Historie ihrer Heimat.
Erinnerung an Silvesterflut in den Vier- und Marschlanden
Auf die Silvesterflut stieß die 54-Jährige in den Kirchenrechnungsbüchern von Ochsenwerder: Sie können im Staatsarchiv in Wandsbek eingesehen werden. Mehrere Nachmittage im Sommer blätterte Simone Vollstädt in den dicken Wälzern mit Ledereinband, fotografierte viele Seiten ab - "um genug Material für den Winter zu haben", sagt sie. Das sei heute mit der Fotofunktion der Handys wesentlich einfacher als früher, als noch jede Kopie beantragt und bezahlt werden musste, berichtet Simone Vollstädt.
Und während es sich zunächst sehr trocken anhöre, stundenlang in uralten Kirchenrechnungsbüchern zu blättern, lasse sich zwischen aufgelisteten Ausgaben für Bibeln oder Gesangbüchern doch auch so manche spannende Geschichte entdecken, erklärt die Heimatforscherin.
Pastor Berghauer notierte Einzelheiten zur Flut im Kirchenrechnungsbuch
Offenbar war zur Zeit der Silvesterflut mit Andreas Heinrich Berghauer ein recht mitteilsamer Pastor im Kirchspiel tätig. Dank ihm sind Einzelheiten zur Flut in Ochsenwerder überliefert, die er im Kirchenrechnungsbuch notierte. So schrieb der Pastor: "Anno 1720 am h. Neujahrs Abend ist der Teich Hans Sesemanns oben in Ochsenwerder vor 7 des Abends durchgebrochen und hat das Wasser 1 1/2 El. höher als vor 3 Jahren gestanden, und weil es ein solchen tiefen Grundbruch, 7 Faden tief, dergleichen kein alter Mann im Lande sich erinnern kann, der Wind auch nachdem kontinuierlich getobet, also daß das Wasser nicht fallen können, ist der Schaden sehr groß gewesen. In Moorwerder sind wie vor drei Jahren zwei Bracken, also dießmal zwey in eins gerißen worden. Da dieses mit betrübter Feder notier, bitte alle Frommen wünschet: Gott ersetz in Gnaden, den so großen Wasserschaden."
In die heutige Zeit übersetzt bedeutete dies, dass es am heutigen Ochsenwerder Elbdeich 165 einen rund 56 Meter breiten und zwölf Meter tiefen Grundbruch gegeben hatte, der auch ein Brack riss. Ganz Ochsenwerder war überflutet. Der Sturm tobte auch nach Silvester noch weiter und das Wasser konnte nicht fallen. Simone Vollstädt fand außerdem heraus, dass als spätes Opfer der Barbier von Ochsenwerder am 19. Januar 1721 ertrank, weil er bei der Brücke vom Elversweg zum Klieverdeich (heute Gauerter Hauptdeich) vom Pferd stürzte. Das Silvester 1720 entstandene Brack wurde erst 1862 zugeschüttet und die alte Deichlinie wieder hergestellt.
Geschichtsabende im Pastorat von Ochsenwerder
Vor der Corona-Pandemie lud Simone Vollstädt in regelmäßigen Abständen zum heimatgeschichtlichen Abend ins Pastorat von Ochsenwerder ein. Dort referierte sie zur Geschichte von Abelke Bleken, die einst als Hexe denunziert und 1583 auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde oder zur Flutkatastrophe von 1962. Die Abende erfreuten sich großer Beliebtheit, das Pastorat war stets mit interessierten Besuchern voll besetzt. Bislang sei leider nicht absehbar, wann ein solcher Abend wieder möglich sein wird, so Simone Vollstädt.
Darum veröffentlicht sie nun im Marschländer Kirchenbrief stets ein Suchbild, das eine Szene aus der Heimat zeigt. Meist ist über die Motive nur wenig oder gar nichts bekannt. Darum sind Leute dazu aufgerufen, sich zu melden, die Angaben dazu machen können. Stets würden einige Anrufe bei ihr eingehen, berichtet Simone Vollstädt. "Und das zeigt mir, dass die Menschen großes Interesse an der Geschichte ihrer Heimat haben."