Neuengamme. Sechs Chöre singen in der Kirche Neuengamme. 50 Elbstrand-Sänger werden zeigen, was Masse auch mit Klasse zu tun haben kann.

Die Zahl der Chöre in den Vier- und Marschlanden nimmt weiter ab. Grund dafür ist vor allem die Überalterung der Gesangvereine. Altgediente Sänger sterben, doch es rücken keine neuen nach. Gab es vor der Pandemie noch 20 Chöre im Landgebiet, die Mitglied im Hamburger Chorverband sind, nennt Marita Sannmann, Vorsitzende des Kreises Vier- und Marschlande im Verband, aktuell noch 15. Zum Jahresende muss die Zahl erneut nach unten korrigiert werden: Dann löst sich der Männergesangverein Germania Ochsenwerder nach 150 Jahren auf. Er hat am Sonntag, 18. September, seinen letzten Auftritt – beim Sommerfest der Chormusik in der Neuengammer Kirche St. Johannis.

Ein neuer Chornachmittag statt drei Liedertage

In dem Gotteshaus an der Feldstegel sind von 15 Uhr an fünf weitere Chöre zu Gast: Die Germania-Sänger sind zusammen mit Cantus Eintracht Kirchwerder zu erleben. Außerdem singen der Männerchor der Liedertafel Flora Zollenspieker und die Chorgemeinschaft Elbestrand, die sich aus drei Chören zusammensetzt: Damenchor 2000 Geesthacht, Gesangverein Harmonie Kirchwerder-Sande und Liedertafel Harmonia Ochsenwerder.

Alle drei werden von Michael Georgi geleitet und singen häufiger im Dreierpack. „Wir werden so um die 50 Elbestrand-Sänger sein“, sagt Marita Sannmann (66), die selbst dabei und seit Jahrzehnten bei Harmonia Ochsenwerder beheimatet ist. „Ein so stimmgewaltiger Chor eröffnet neue Möglichkeiten. Schließlich braucht man für beispielsweise Verdis Gefangenenchor oder Beethovens Neunte viele Stimmen. Mit nur 15 Sängern klingen solche Werke nicht gut.“

Allround-Künstlerin Jutta Mackeprang wird das Chortreffen moderieren

Marita Sannmann verspricht „musikalische Überraschungen“ und freut sich auch auf Jutta Mackeprang. Die Allround-Künstlerin aus Schwarzenbek wird das Chortreffen moderieren. Der Eintritt zu dem „Sommerfest“ ist frei, Spenden sind erwünscht. In der Pause gibt es Kaffee und Kuchen – bei gutem Wetter draußen, sonst in der Kirche.

Das Sommerfest der Chormusik ersetzt erstmals die Liedertage, die bis 2019 dreimal jährlich im Landgebiet organisiert worden sind. „Dafür gibt es zum einen nicht mehr genug Sänger, zum anderen haben einige Chöre keine Zeit, weil sie nun Konzerte nachholen, die sie in den Lockdown-Phasen nicht geben konnten“, sagt Marita Sannmann. Deshalb gebe es nun das Sommerfest – einen Chornachmittag mit einem neuen Konzept, der nur einmal jährlich über die Bühne gehen soll, an wechselnden Orten im Landgebiet, „2023 vermutlich in Ochsenwerder“.

Marita Sannmann wirbt für das Singen im Chor, würde gern mehr jüngere Menschen dafür begeistern.
Marita Sannmann wirbt für das Singen im Chor, würde gern mehr jüngere Menschen dafür begeistern. © BGZ/Diekmann | Lena Diekmann

Chorfusionen sind schwierig, Umstellung auf moderne Lider ebenso

Den Liedertafeln und Gesangvereinen, die sehr an ihren Traditionen und an altdeutschem Liedgut hängen, falle es schwer, sich auf neue, modernere Klänge einzulassen, weiß die die Kreisvorsitzende des Chorverbandes. „Die können sich nicht komplett umstellen, das machen die Senioren nicht mit.“ Auch Fusionen seien schwierig umzusetzen: „Jeder Chor hat seinen geliebten Leiter und seit Jahren einen bestimmten Abend, an dem geprobt wird.“

Dabei seien die Chöre unter Zugzwang, wenn sie ihre Zukunft sichern wollen. „Jüngere Sänger um die 50, die, wenn sie einem Chor beitreten, oftmals auch dabeibleiben würden, weil sie in einem Alter sind, wo man angekommen ist, wollen vielleicht lieber oder zumindest auch Popsongs singen“, sagt Marita Sannmann. Ihre Liedertafel Harmonia habe deshalb neben dem Vater Unser auch Titel von den Toten Hosen, Elton John und den Beatles im Repertoire. Trotzdem sei es schwierig, weitere Männer in den Chor zu bekommen: 17 Sängerinnen stehen zwei Männer gegenüber. Deshalb singen drei Frauen Tenor.

Neue Sparte im Chorverband soll den Nachwuchs ansprechen

Mit ihrer Liedertafel hat Marita Sannmann seit den 80er-Jahren schon viele Stilrichtungen ausprobiert: Je nach Vorliebe der Sänger und des Dirigenten sangen die Harmonia-Aktiven Klassiker etwa von Verdi und Beethoven, später dann Titel aus Operetten, „modernisierte“ Volkslieder und Kirchenlieder. Seit Georgi (45) 2010 erstmals den Dirigentenstock schwang, werden verstärkt auch Popsongs angestimmt.

Gefragt seien unter jüngeren Menschen heutzutage vor allem unverbindlichere Möglichkeiten des Singens, etwa in einem Projektchor, der drei Monate probt, dann ein Konzert gibt und sich wieder auflöst, bei offenen Singen für Jedermann oder in Kneipenchören, bei denen es verziehen wird, wenn die Sänger nicht wöchentlich zum Proben antreten.

Im Jugendbereiche schiebt der Chorverband Hamburg einiges an

Der Chorverband Hamburg habe inzwischen auch die Dramatik der Überalterung erkannt, berichtet Marita Sannmann: „Dort wird nun im Jugendbereich einiges angeschoben.“ Bisher gebe es nur wenige Kinder- und Jugendchöre im Verband, gab es für Nachwuchsprojekte kaum finanzielle Mittel, wenig Vernetzung und kaum Events, die die jungen Menschen reizen. Das solle sich durch die Hamburger Chorjugend ändern, eine neue Sparte des Verbands, die kurz vor ihrer Gründung steht. Marita Sannmanns Liedertafel Harmonia erkannte die Zeichen der Zeit schon vor Jahren, gründete damals einen Kinderchor für Fünf- bis Zehnjährige. Er wird ebenfalls von Georgi geleitet. Mit dem Angebot soll das Interesse an Musik frühzeitig geweckt werden. Doch durch die Corona-Schutzmaßnahmen, die lange keine Präsenztreffen erlaubten, sei die Zahl der jungen Sänger von 20 (vor Corona) auf sechs (heute) geschrumpft.

Drei im Verband organisierte Kinderchöre gibt es insgesamt, berichtet Marita Sannmann: Neben den Kindern der Liedertafel Harmonia, die Singspatzen, auch die Florinis, die zu den Flora-Chören in Kirchwerder zählen und von Angelika Balster geleitet werden, und die Sonnenstimmen unter Leitung von Juliane Brachvogel aus Curslack.