Neuengamme. Stiftung Auschwitz-Komitee würdigt Projekt der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Angehörige erinnern an Häftlinge – wie Hermann Kühl.

Hermann Kühl war ein stolzer Seemann. Und ein bekennender Antifaschist. Seine aufrechte Haltung brachte den Hamburger gleich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs hinter Gitter: Als politischer Häftling verbrachte Hermann Kühl sechs lange Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern, durchlitt Hunger, Kälte, Folter und Qual. „Seinen Prinzipien ist er aber stets treu geblieben“, sagt Tochter Uta Kühl. Schwerstkrank und kurz vor dem Tod wurde Hermann Kühl im Mai 1945 von amerikanischen Truppen aus dem Lager Gusen II in Oberösterreich befreit.

KZ-Gedenkstätte Neuengamme: 70 Plakate zeigen tapfere Widerständler

Am „Ort der Verbundenheit“ auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme erinnert heute ein Plakat an den tapferen Widerständler. Bereits 70 solcher Aushänge sind dort zu sehen – und es sollen noch viele mehr werden. Denn jedes Plakat erinnert an einen Menschen, der im KZ Neuengamme inhaftiert war und gelitten hat – und gibt einem Namen ein Gesicht.

Vom Preisgeld sollen weitere Druckplatten finanziert werden

Die Idee des vor einem Jahr eingeweihten Denkmals ist, dass die Angehörigen ehemaliger Häftlinge selbst gestaltete Plakate entwerfen, welche anschließend als Druckplatte vor Ort in der Gedenkstätte der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Neben internationalen Häftlingsverbänden und dem Freundeskreis der Gedenkstätte unterstützten auch Studierende der Hochschule für Bildende Künste (HFBK) das Projekt. Deren „Studio Experimentelles Design“ entwickelte das Konzept, das eine Druckwerkstatt im Plattenhaus, eine Plakatwand und ein Archivregal beinhaltet.

Uta Kühl vor dem Plakat, das ihre Familie zur Erinnerung an ihren Vater am „Ort der Verbundenheit
Uta Kühl vor dem Plakat, das ihre Familie zur Erinnerung an ihren Vater am „Ort der Verbundenheit" zeigt. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

„Immer weniger Überlebende können selbst ihre Geschichte erzählen. Um so wichtiger sind Konzepte, in denen der persönliche und familiäre Bezug zu den Verfolgten aufrecht erhalten wird. Das Projekt trägt auch der Tatsache Rechnung, dass die Verfolgung als familiäre und persönliche Erfahrung auch an die zweite und dritte Generation weitergegeben wurde und wird“, schreibt die Stiftung Auschwitz-Komitee, die den „Ort der Verbundenheit“ nun mit dem Hans-Frankenthal-Preis ausgezeichnet hat.

Enkelin wollte eine Erinnerung an ihren Großvater in Neuengamme finden

Der mit insgesamt 5000 Euro dotierte Preis geht zu gleichen Teilen an den „Ort der Verbundenheit“ sowie an das Projekt „Zwei Geschichtsreisen nach Serbien und Griechenland zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit“ aus Wien und an das „Tagebuch der Gefühle“ aus Halle an der Saale.

Das Preisgeld in Höhe von gut 1600 Euro soll in Neuengamme zur Finanzierung weiterer Druckplatten aus Acryl genutzt werden, berichtet Uta Kühl, die sich viele Jahre in einer Arbeitsgemeinschaft für die Realisierung des Denkmals engagiert hat.

Spurensuche in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Ihre Tochter gab dafür einst den Anstoß: Halina konnte ihren 1983 verstorbenen Großvater nicht mehr kennenlernen. Trotzdem entwickelte das Mädchen im Alter von elf Jahren ein großes Interesse am furchtbaren Kapitel in der Geschichte ihres Heimatlandes. Da ahnte Halina nicht einmal, dass ihr eigener Großvater Opfer der Nationalsozialisten geworden war. Diese Tatsache steigerte das Interesse der Enkelin noch mehr. Sie ging auf Spurensuche in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

Doch an dem Ort, wo ihr Großvater einst das Lager mitaufbauen musste, dabei durch den heftigen Schlag eines KZ-Wächters auf die Hand einen Teil des rechten Zeigefingers verlor, war kein Hinweis auf seine Inhaftierung zu finden. „Das hat sie damals sehr enttäuscht“, sagt ihre Mutter.

Ihre Geschichten wären sonst einfach vergessen worden

Doch damit wollte sich Halina nicht abfinden. Sie war der Meinung, dass zu jedem Menschen, der in Neuengamme inhaftiert war, auch etwas zu seiner Geschichte zu finden sein müsste. „Das hat mich sehr berührt, denn ich habe gespürt, dass auch ich diese Sehnsucht hatte“, sagt Uta Kühl.

Also trug sie 2015 den Wunsch ihrer Tochter in der Gedenkstätte vor – der dann fünf Jahre später als „Ort der Verbundenheit“ Realität wurde. Ein tolles Gefühl, wie Uta Kühl berichtet. Schließlich wären sonst die Menschen und ihre Geschichten irgendwann einfach vergessen worden. „Und das hätten sie nicht verdient.“

Uta Kühl freut sich auf größere Beteiligung nach Corona

Zahlreiche Angehörige aus den Niederlanden, Dänemark, Frankreich und Deutschland haben bereits am „Ort der Verbundenheit“ mitgewirkt. Uta Kühl freut sich auf den Moment, an dem die Corona-Lage eine noch größere Beteiligung möglich macht. Sie wünscht sich vor allem, noch mehr Beiträge aus Osteuropa zu erhalten.

Lebensläufe gibt es noch jede Menge: Insgesamt waren mehr als 100.000 Menschen in Neuengamme und seinen Außenlagern interniert. Die Leitung der Gedenkstätte geht von bis zu 50.000 Todesopfern aus.