Hamburg. Entlang der zweiten Deichlinie übt die Stadt seit 2020 ihr Vorkaufsrecht aus. Behördenvertreter erklären den Strategiewechsel.

Die zweite Deichlinie in den Vier- und Marschlanden, die sowohl an der Billwerder Bucht in Moorfleet als auch rund um die Dove-Elbe in Allermöhe, Tatenberg, Reitbrook und Neuengamme verläuft, wird im Volksmund auch „Schlafdeich“ genannt. Denn im Gegensatz zum Hauptdeich an der tideabhängigen Stromelbe liegt die zweite Deichlinie an Gewässern, die hinter dem Sperrwerk Billwerder Bucht oder der Tatenberger Schleuse liegen. „Schlafen“ tun sie deswegen aber noch lange nicht, denn sie erfüllen noch immer ihre Aufgabe als Hochwasserschutzanlage, wie Michael Schaper, im Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) zuständig für die Deichaufsicht, betonte.

Er war am Dienstag gemeinsam mit Vertretern der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (Bukea) und des Landesbetriebs Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) in der digitalen Sitzung des Regionalausschusses zu Gast, um die Strategie der Stadt zur Zukunftssicherung der zweiten Deichlinie zu erklären.

Neue Strategie zur Sicherung der zweiten Deichlinie

Denn die hat in den vergangenen Monaten bereits für viel Verunsicherung und Unruhe bei Anwohnern gesorgt, kritisierte Karsten Schütt, Bezirksvorsitzender der FDP. Denn während die Stadt entlang der Hauptdeichlinie bereits seit Langem ihr Vorkaufsrecht ausübt, wenn Gebäude verkauft werden, die nicht dem Mindestabstand zum Deich entsprechen, passiert das seit vergangenem Jahr plötzlich auch entlang der zweiten Deichlinie. „Wenn eine jahrzehntelange Praxis plötzlich geändert wird, dann muss das doch kommuniziert werden“, betont Karsten Schütt. Eben das ist aber nicht passiert. Stattdessen wurde Hausbesitzer Dirk Barthel davon überrascht, als er sein Haus am Allermöher Deich auf dem freien Markt verkaufen wollte, bis die Stadt plötzlich vom Vorkaufsrecht gebraucht machte.

Grundlage für die geänderte Vorgehensweise sei eine Untersuchung, die der LSBG im Jahr 2019 im Auftrag der Bukea durchgeführt habe, erläuterte Michael Schaper. Dabei wurde der heutige Zustand der Deiche, auch auf rechtliche technische Anforderungen überprüft sowie verschiedene Modellrechnungen für das Versagen der Hauptdeichlinie oder Hochwasser- und Sturmflutszenarien durchgerechnet. „Alle untersuchten Deiche haben eine Bedeutung für den Binnenhochwasserschutz und den Sturmflutschutz“, betont Michael Schaper.

Wehrhaftigkeit des Deiches dürfe nicht beeinträchtigt werden

Zwar gebe es dort ein geringeres Gefahrenpotenzial als an der Hauptdeichlinie und damit auch eine geringere Anforderung bezüglich Verboten, Beschränkungen, Genehmigungen und Überwachung. Aber vor allem im Hinblick auf den Klimawandel und das Ansteigen des Meeresspiegels werde die Relevanz der Deiche langfristig mehr zu- anstatt abnehmen, so Schaper. „Wir wollen die Deiche nicht erhöhen oder verbreitern, aber erhalten“, sagt Schaper. Und dazu gehöre, dass Bäume, Zäune oder auch Häuser entfernt werden, wenn sie die Wehrhaftigkeit des Deiches beeinträchtigen.

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Davon seien aber längst nicht alle 100 Grundstücke und 1200 Bäume, die Karsten Schütt entlang der zweiten Deichlinie zählte, betroffen. Vielmehr sprechen die Behörden von einer „behutsamen Entwicklung“, die in den kommenden Dekaden vollzogen werden soll. Bäume würden nur dann gefällt, wenn ihr Wurzelwerk so tief in den Deich hineinreiche, dass die Wehrhaftigkeit der Hochwasserschutzanlage nicht mehr gegeben sei, erläuterte Schaper. Bei Gebäuden sei es jedes Mal eine „Einzelfallentscheidung“, ob die Stadt ihr Vorkaufsrecht ausüben wolle oder nicht. Darüber werde aber erst entschieden, sobald ein Eigentümer sein Haus von sich aus verkaufen will, weitere rechtliche Mittel seien ausgeschlossen: „Über Enteignung wird nicht nachgedacht“, betonte Michael Schaper.

Dove-Elbe soll nicht als Polder dienen

Karsten Schütt wunderte sich trotzdem, dass die beiden geplanten Schöpfwerke an der Dove-Elbe bei den Ausführungen der Behörden noch keine Rolle spielten und kritisierte das „emotionslose Vorgehen“. Schließlich habe dieses im vergangenen Jahr, als eine mögliche Öffnung der Dove-Elbe noch nicht vom Tisch war, Befürchtungen bei den Anwohnern ausgelöst und Gerüchte befeuert, so Schütt. Das bestätigte auch Claudia Ehlebracht (SPD), die von Sorgen sprach, die Außendeichbereiche der Dove-Elbe bei Hochwasser als Polder zu nutzen, also zu überfluten. Dieses Gerücht konnte Olaf Simon (Bukea) entkräften: „Ich kann versichern, dass die Verwaltung keinerlei Ambitionen hat, die Dove-Elbe als Polder einzusetzen.“