Lohbrügge. Im Holzheizkraftwerk wird mit Bioenergie Wärme für Tausende Menschen erzeugt. Wie das geht und woher die Rohstoffe kommen.

Es ist mal warm. Auch mal laut. Richtig scheppern kann es sogar. Und Höhenangst ist bei den vielen Stahlgerüsten und -treppen auch nicht vorteilhaft. Ein Alptraum-Arbeitsplatz? Mitnichten: Es ist einer der Arbeitsplätze der Zukunft. Die Bioenergie, die im Holzheizkraftwerk (HHK) Lohbrügge erzeugt wird, wird aus Resten der Natur gewonnen – und das seit 14 Jahren unfallfrei, emissionsschonend und absolut krisenresistent.

„Es ist nicht so einfach, aus Holz Strom zu erzeugen“, sagt Dr. Markus Kostron, Technischer Leiter bei der KWA Contracting GmbH, die das HHK betreibt. Doch es funktioniert. Lohbrügge ist dabei die einzige Zweigstelle der KWA, die mit Personal arbeitet. KWA beschäftigt insgesamt 30 Mitarbeiter und setzte bereits 80 Projekte mit Erneuerbaren Energien um.

Das Holzheizkraftwerk Lohbrügge wird von einer kleinen Mannschaft geführt

Eines davon ist am Havighorster Weg beherbergt. Die Mannschaft im HHK ist klein, aber eingespielt, routiniert und zum Teil seit Betriebsstart im Jahr 2008 im Job. Für die Betriebsleitung ist André Thiel verantwortlich. Einkaufsmanagement und Holzlogistik regelt Arne Grimpe, Pavel Rduch den technischen Betrieb, Jens Stöver die Betriebsorganisation. Passt schon, sagt Arne Grimpe: „Unser Betriebsgelände ist klein und kompakt. Wir brauchen ja kein Außenlager und lassen auch nicht so viele Leute rein.“

In dieser ORC-Turbine werden Wärme und Strom erzeugt, nachdem in der Feuerbox die Holzhackschnitzel verbrannt wurden.
In dieser ORC-Turbine werden Wärme und Strom erzeugt, nachdem in der Feuerbox die Holzhackschnitzel verbrannt wurden. © BGDZ | Jan Schubert

Alle Mitarbeiter haben einen elektrotechnischen Berufshintergrund. Und sie fühlen und spüren ihren hochtechnologischen Arbeitsplatz. Natürlich gibt es auch eine Schaltzentrale mit insgesamt zwölf Kameras, die alles überwachen. Aber es ist auch anderes gefragt: „Wir laufen immer mit allen fünf Sinnen durchs Haus“, sagt André Thiel.

Auch die Rohstoffkrise, hervorgerufen durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine – einen international wichtigen Holzlieferanten –, hat bisher wenig Auswirkungen gehabt, was den reinen Produktionsablauf angeht. Denn der natürliche Brennstoff kommt nicht aus Osteuropa, sondern aus der Region. „Unsere Holzhackschnitzel“, weiß Arne Grimpe, „kommen aus Orten, die maximal 50 Kilometer weit entfernt liegen.“ Zumeist handelt es sich um Überreste aus landwirtschaftlicher Pflegearbeit – aus Wäldern, Wegen, Feldern von Friedhöfen, aus Straßenbegleitgrün, von Baustellen.

In der Hochsaison werden täglich 130 Tonnen Holz geliefert

Aus Holzenergie wird Fernwärme produziert. In der Hochsaison November bis März werden täglich rund 130 Tonnen Holz angeliefert, um Vollleistung zu erreichen. „An Wochenenden immer ein bisschen mehr“, kennt Arne Grimpe die Spitzenzeiten der Verbraucher gut. Die Anlieferung des geschnitzelten Materials erfolgt über Lastwagen, die nur rückwärts ins Kraftwerk einfahren können und zwar genau auf eine Plattform, die maximal 60 Tonnen Gewicht verträgt. Reinfahren, abkippen, rausfahren. In den sonstigen Monaten, speziell im Sommer, geht die Leistung des HHK etwa um die Hälfte zurück, werden anstelle der Holzschnitzel eher Grünschnittreste angeliefert.

Im Holzhackschnitzel-Labor: Hier kontrolliert Arne Grimpe das Material auf Feinheit und Qualität.
Im Holzhackschnitzel-Labor: Hier kontrolliert Arne Grimpe das Material auf Feinheit und Qualität. © BGDZ | Jan Schubert

Wenn abgekippt wurde, ist es Zeit für den „Kratzer“. So nennt das HHK-Team liebevoll einen Mehrschalengreifer. Eine Apparatur mit vier Greifzangen, die wie von Geisterhand auf das Holz herabschwebt – aber nur scheinbar, denn das Teil lässt sich fernsteuern beziehungsweise reagiert computergesteuert auf Sensoren im Boden. Der Greifarm transportiert das feine, gebrochene Material in die Anlage hinein direkt ins XXL-Tagessilo. Auch hier arbeitet die mächtige Greifhand scheinbar eigenständig, wird tätig, wenn die Holzhackschnitzel eine Lichtschrankegrenze in der Höhe unterschreiten.

In einer Feuerbox wird das Holz bei 850 Grad verbrannt

Vom „Kratzer“ zu „Marie“ ist der Weg gar nicht weit: „Marie“ ist der Name der Feuerbox mit einem Thermoölkessel, der bei rund 850 Grad das Holz verbrennt. In einer Sekundärbox können sogar 1000 Grad erreicht werden. Aus der Haupt-Feuerbox können rund zwölf Megawatt an Leistung ausgekoppelt werden; Thermoöl dient im weiteren Verlauf als Erzeuger von Wärme und Strom. Der heiße Öl-Kreislauf treibt eine Organic-Rankine-Turbine (ORC-Turbine) an, von dort aus gelangen Wärme und Strom über weitere Wege ins Netz des Energieunternehmens E.on. Mit vier Hauptrohrsträngen bei einer Gesamtlänge von 70 Kilometern wird das Gebiet beliefert. 76 Prozent beträgt der Biowärmeanteil, der Rest wird noch aus fossilen Energien geliefert.

32.000 bis 35.000 Tonnen Holz werden auf diese Weise im Jahr energetisch genutzt. Die Wärmeleistung des HHK beträgt 11.500 Kilowatt, die elektrische Leistung 1800 Kilowatt. Nach Angaben der KWA werden 65.000 Megawattstunden Wärme sowie 12.000 Megawattstunden Strom im Jahr erzeugt. Sogar das natürliche Abfallprodukt kann wiederverwertet werden: die Asche. Es bleiben 1250 Tonnen Rost- und Kesselasche im Jahr übrig, die an Abfallverwerter wieder zurück in die Region wandern und als Dünger in der Landwirtschaft verbraucht werden. „Unsere zertifizierte Asche wandert jetzt nicht mehr auf die Deponie, da stecken noch Nährstoffe für Pflanzen drin“, weiß Betriebschef Thiel. Stolz sind sie am Havighorster Weg obendrein, dass ihre Abgas- und Emissionswerte durch hochleistungsfähige Filteranlagen sehr niedrig sind.

Auch die Asche kann wiederverwendet werden

Im Fernwärmenetz werden aktuell 7500 Haushalte und 100 Gewerbeeinheiten und somit 30.000 Menschen in Lohbrügge-Nord versorgt. Hört sich wunderbar an, ist aber nur ein kleiner, ausbaufähiger Teil in einer Strategie der Abkehr von fossilen Energielieferanten. Und: Indirekt strahlt die Lage in der Ukraine auch auf den Betrieb im HHK aus, weil traditionelle Treibstoffe nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Größter Kostenfaktor ist der Dieselpreis für die Zugmaschinen, welche die Holzhackschnitzel an den Havighorster Weg transportieren Auch die Produktionskosten im Kraftwerk können ansteigen aufgrund der Anschaffung von neuen beziehungsweise der Reparatur und Wartung älterer Maschinen.

Vergleichbare Kraftwerke wie in Lohbrügge gibt es in Norddeutschland nur noch in Hagenow und in Brunsbüttel. Galt der Hamburger Standort vor 14 Jahren noch als das modernste Kraftwerk im Sinne der regenerativen Energiegewinnung, gibt sich Betriebsleiter André Thiel keinen Illusionen hin: „Wir sind links und rechts überholt worden, aber in all den Jahren auch effizienter geworden.“ Beispiel dafür: Im eigenen Haus kann Strom durch ein zusätzliches Blockheizkraftwerk erzeugt werden, die Ventilatorenanlage wurde durch einen neuen Elektromotor optimiert.

Die Einfahrt zum Gelände des Holzheizkraftwerks. Schnitzellieferanten halten sich bitte links.  
Die Einfahrt zum Gelände des Holzheizkraftwerks. Schnitzellieferanten halten sich bitte links.   © BGDZ | Jan Schubert

Der Preis für die Fernwärme ist historisch an den Gaspreis gebunden

„Fernwärme ist effizienter als eine normale Hausheizung“, behauptet Markus Kostron, „das Holz, das wir verbrennen, kann man daheim nicht so verwenden.“ Allerdings: Preislich kann die KWA nichts ausrichten in Zeiten, in denen für viele der Nebenkostenschock im Herbst droht: „Wir sind historisch an den Gaspreis gekoppelt“, sagt Markus Kostron zum Bündnis mit E.on. Reine Fernwärme aus Bioenergie sei zudem Stand 2021 „wirtschaftlich noch schwierig“, sagt der technische Leiter aus Stuttgart, „technisch wäre es aber möglich in Kombination mit anderen erneuerbaren Energien.“

„Das Kraftwerk müsste, um mehr Leute zu beliefern, größer werden“, meint André Thiel. „Nach 2008 ist in der Politik diesbezüglich nicht viel passiert. Da müsste man entscheidungsfreudiger werden, was Investitionen in Anlagen wie unsere angeht.“ Neue, eigenständige Fernwärmenetze sind immer dann möglich, wenn neue Wohnquartiere zum Bau ausgeschrieben werden.

Aktuell kommt der Betrieb im HHK zum „Stillstand“. Über zwei bis drei Wochen hinweg ist die Crew mit Säuberung-, Reparatur und Wartung beschäftigt. Allein bis jemand den Ofen betreten kann und dieser abgekühlt ist, dauere es gewöhnlich drei Tage. „Für unsere Kunden gibt es aber keine Einschränkungen“, sagt André Thiel.