Hamburg. Regionales Bildungs- und Beratungszentrum bündelt Kräfte in 15,5-Millionen-Euro-Neubau. Welche Angebote es dort geben wird.

Päckchenweise liegen die Baupläne auf dem Tisch: „Hier kommt die tiefergelegte Turnhalle samt Kraftraum hin, mit vier Geschossen obendrauf. Vom Grünen Zentrum aus wird man unser Gebäude sehen können“, sagt Edda Laudahn am Reinbeker Redder. Die Sonderpädagogin leitet die Abteilung Bildung am Regionalen Bildungs- und Beratungszentrum (ReBBZ), das derzeit an drei Standorten verteilt ist: In Lohbrügge lernen 92 Grundschulkinder (etwa 70 Prozent sind Jungen), an der Leuschnerstraße sind knapp 70 größere Schüler untergebracht. Und am Billwerder Billdeich gibt es noch die Beratungsabteilung, die Axel Dettmann leitet.

Das alles soll 2024 zusammengeführt werden, wenn der 15,5 Millionen Euro teure Neubau fertig ist, zudem der Schulhof ein Fußballfeld erhält und naturnah umgestaltet ist – auch für die Bienenvölker.

Immer mehr Kinder haben Entwicklungsverzögerungen

Ungewiss, ob es allein an der Pandemie liegt, auf jeden Fall werden immer mehr Kinder mit Entwicklungsverzögerungen am ReBBZ angemeldet. Zwei große erste Klassen wird es an der Grundschule geben, mit 14 statt wie bislang üblich nur zehn Kindern. „Die haben wirklich Lernlücken, sind verzweifelt und haben sich fast schon aufgegeben“, sagt die 48-jährige Laudahn. Nicht nur die Grundschüler, die wie Vierjährige wirken, haben Probleme und brauchen eine Schulbegleitung. Auch die fünften Klassen sind stärker nachgefragt – wobei alle Kinder zuvor eine Diagnose bekommen, meist durch den schulpsychiatrischen Dienst. Der stellt fest, ob es Sprach- oder Lernprobleme gibt, ob die Kinder eine emotional-soziale Förderung brauchen.

Da sind etwa die drei „Superhelden“, die sich schnell provoziert fühlen und ausflippen, weil ihnen jegliche Impulskontrolle fehlt. „Da gibt es einen bunten Strauß von Abwehrmechanismen“, sagt Edda Laudahn und betont, es seien normal intelligente Kinder, die aber ungesteuert anderen wehtun oder Materialien zerstören.

Verhaltensauffällig – die Gründe können vielfältig sein

In jeder anderen Grundschule würden sie zu viel Unruhe erzeugen. „Die ecken an und gehen einfach nicht sicher durchs Leben“, wissen die Sonder- und Sozialpädagogen des ReBBZ – und erfahren nicht allein aus den Akten, dass der biologische Rucksack oft sehr schwer zu tragen ist: Wenn der Selbstwert fehlt und das Vertrauen in andere Menschen, kann es daran liegen, dass die alleinerziehende Mutter eine bipolare Störung hat, dass sie ständig neue Liebschaften mitbringt. Oder sie ist drogensüchtig, weshalb das Kind bei den Großeltern lebt. Oder die Geschwister werden in Heimen, betreuten Wohngruppen und bei Pflegeeltern verteilt – weil der große Bruder im Sterben liegt, die Mutter ihre Zeit bei ihm auf der Intensivstation verbringt.

Das alles sind beeinträchtigte Menschen „mit besonderen Bedürfnissen“, formuliert es die Sonderpädagogin. Das gelte auch für Mama und Papa: „Viele Eltern arbeiten in prekären Verhältnissen und sind dankbar für die Ganztagsbetreuung durch das DRK.“ Durch den Fahrdienst sind die Schüler dann meist erst um 16.30 Uhr zu Hause. Das hilft auch den „oft sehr engagierten Eltern“, die eine Pflegschaft übernommen haben.

Pilotprojekt am Billwerder Billdeich

Manche Kinder werden nach der Schule noch an den Billwerder Billdeich gefahren. Dort nämlich läuft seit einem Jahr „DreiFürEins“, ein Hamburger Pilotprojekt von Krankenkassen und Fachkliniken und vier teilnehmenden ReBBZs. Es geht um die psychische Gesundheit von bis zu 550 Kindern und Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten. Gespräche, Kunst- und Musiktherapien können ihnen zum Beispiel helfen, einen sozialen Rückzug zu stoppen, Depressionen und Angstsymptome zu verarbeiten. Früherkennung ist das entscheidende Stichwort vor allem beim Übergang von der Kita in die Grundschule. Dafür fließen vier Jahre lang bis zu 5,9 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses, teilt die Techniker Krankenkasse mit.

„Erst hieß es, das Angebot gelte nicht für Kinder, die schon in Behandlung sind. Also nur für die auf den Wartelisten der Psychotherapeuten. Aber dieser Stolperstein wird jetzt weggeräumt“, sagt Edda Laudahn und betont: „Das Angebot gilt für die gesamte Region. Es sind auch in Bergedorf noch Plätze frei.“

Sonderpädagogischer Bedarf an regulären Grundschulen auch groß

Der Bedarf dürfte groß sein, denn nicht umsonst gibt es schon das Angebot der „Schnittstelle“: Weil es an den Grundschulen zu wenig Ressourcen an Sonderpädagogik gibt – gerade einmal zwei Stunden pro Woche – , gehen vier Kräfte des ReBBZ in die Bergedorfer Grundschulen, bieten Einzelfallberatung und Input in Sachen Sonderpädagogik.

„Wir haben einen Kontrakt mit der Ernst-Henning-Schule und der Grundschule Sander Straße. Gern würden wir die Schnittstelle noch ausweiten, aber es es gibt einen großen Mangel an Sonderpädagogen. Zudem bleiben die wenigen lieber in der Schanze als nach Bergedorf raus zu fahren“, ahnt Edda Laudahn – und ist doch so glücklich mit ihrem Beruf: „Wir können täglich kleine Erfolge feiern“, sagt sie und blickt auf das große Holzschaf: Manche Grundschulkinder trauen sich und reden mit „Wolli“, sie striegeln es und sammeln in den Pausen Gras für das Tier, das ihnen liebevoll zuhört und nicht plötzlich wegrennt.