Hamburg. Lohbrügger Pastor Jonas Goebel hält Präsenzgottesdienste derzeit für unverantwortlich. Sein Bergedorfer Kollege sieht das etwas anders.
Jonas Goebel, Pastor an der Lohbrügger Auferstehungskirche, fordert angesichts der dramatischen Entwicklung der Corana-Pandemie eine Absage von sämtlichen Präsenzgottesdiensten zum Weihnachtsfest: „Ich wünsche mir, dass wir als evangelische und katholische Kirche deutschlandweit geschlossen auf Präsenzgottesdienste verzichten“, schrieb der 31-Jährige auf seinen Social-Media Accounts.
„Es stirbt derzeit hierzulande alle drei Minuten ein Mensch an oder mit Corona. Das RKI zählte am Freitag fast 30.000 neue Ansteckungen und warnt vor einem erneuten exponentiellem Wachstum. Wissenschaftler und Politiker fordern einen harten Lockdown gleich nach Weihnachten. Und ich erwarte von uns als Kirche, dass unser letzter Beitrag vor dem Lockdown nicht das Durchführen des größten Massenevents im Jahr 2020 ist. “
Pastor aus Hamburg fordert eine Absage aller Präsenzgottesdienste
Auch wenn die Überlegung nicht neu und Pastor Goebel nicht der einzige ist, der innerhalb der Kirchen „mehr Eigenverantwortung“ fordert, so schlagen seine deutlichen Worte doch intern hohe Wellen. Kritik und Protest per Twitter und Facebook lassen nicht lange auf sich warten. „Ich will niemanden anfeinden, meine Forderung richtet sich nicht gegen Kollegen. Aber ich habe einfach Bauchschmerzen bei dem, was wir aktuell als Kirche an Heiligabend planen.“
Unter normalen Umständen würden 20 bis 30 Millionen Menschen Weihnachten einen Gottesdienst besuchen. Auch in diesem Jahr, so fürchtet Goebel, würden sich Millionen auf den Weg machen: „Auch wenn es nur 50 pro Gottesdienst sein sollten. Dies ist angesichts der Lage eine sehr große Zahl.“ Hervorragende Hygienekonzepte habe es auch in Restaurants und Hotels gegeben. „Uns wurde politisch gesagt: Wir machen einen Lockdown light, damit alle Weihnachten feiern können. Das hat aber leider nicht gereicht. Wir haben dank Grundgesetz und politischem Willen eine große Freiheit mit Blick auf unsere Gottesdienste. Aber diese Freiheit bedeutet auch Verantwortung. Und nur, weil etwas erlaubt ist, ist es noch lange nicht geboten.“
Pastor Goebel spricht sich für virtuelle und kreative Angebote aus
Auch in seiner Gemeinde habe der Kirchengemeinderat noch nicht abschließend entschieden. Pastor Goebel plädiert aber für virtuelle und kreative Angebote, will einen Weihnachtsgottesdienst vorab als Video aufzeichnen: „Es geht nicht darum, Weihnachten abzusagen. Glaube und Kirche ist nicht an einen Raum gebunden. Auch mir blutet das Herz, wenn ich sagen muss ,Bleibt zu Hause’“. Virtuelle Formen könnten das Miteinander in der Kirche nicht ersetzen. „Aber es geht um Menschenleben. Menschen sterben. Weihnachten wird wiederkommen. Tote nicht.“
St. Petri und Pauli in Bergedorf stockt Gottesdienst-Angebote auf
Während sein Lohbrügger Kollege mit Nachdruck den Verzicht auf alle Präsenzgottesdienste Weihnachten fordert, gab Pastor Andreas Baldenius am Freitag bekannt, dass St. Petri und Pauli neben den drei geplanten Weihnachtsgottesdiensten vor der Kirche nun noch zu weiteren drei Vormittagsandachten in der Kirche einlädt. Als „verantwortungslos“ sieht sich der Bergedorfer Pastor deshalb aber nicht und lässt sich dies auch ungern vorwerfen. „Natürlich machen Viren zu Weihnachten keine Ansteckungspause. Aber das Weihnachtsfest steht symbolisch für die Dinge, die unsere Gesellschaft solidarisch zusammenhalten – jenseits aller Glaubens- und Kirchenfragen. Deswegen haben uns Politiker und Verwaltungsleute schon vor Monaten gesagt: Weihnachten muss stattfinden, sonst geht uns der Konsens in der Gesellschaft verloren.“
Abonnieren Sie hier unseren täglichen Corona-Newsletter
Zu Beginn der Pandemie habe man viel weniger über das Virus, seine Wege und auch über die Dauer, die diese Krise haben werde, gewusst. Deshalb seien die Kirchenschließungen vor und an Ostern vernünftig gewesen. Nun aber, betont Pastor Andreas Baldenius, sei die Situation eine andere: „Jetzt wissen wir mehr, können Maßnahmen ergreifen, die uns und andere schützen. Ich persönlich habe gegenwärtig noch das Gefühl, dass wir vernünftig mit den Risiken umgehen und nachvollziehbar die Gefahr einer Ansteckung im Gottesdienst minimieren. Mit unserem Hygienekonzept fühle ich mich in unserer Kirche und auf dem Vorplatz viel sicherer als im Supermarkt, auf dem Wochenmarkt in einer vollen Fußgängerzone oder im Taxi.“
Bergedorfer Pastor sieht keine Alternative in virtuellen Gottesdiensten
Digitale oder virtuelle Alternativen könnten den Gemeindegottesdienst keinesfalls ersetzen, meint Baldenius: „Im evangelischen Verständnis feiert und gestaltet die Gemeinde ihren Gottesdienst, nicht etwa der Pastor hält ihn. Digitale Formate reduzieren den Gottesdienst wieder ganz auf das, was der Pastor tut.“ Das könne nur als Erinnerung an den analogen Gottesdienst, als Ergänzung oder Überbrückung dienen. „Im Gefühl der Menschen – nicht theologisch – gibt es kein wichtigeres Fest im Jahr als Weihnachten. Unser Auftrag ist, den Menschen und dem Gemeinwesen mit dem Evangelium zu dienen.“
Lesen Sie auch
- Weihnachtsbotschaft in Hamburg auf dem Fußballplatz
- Kirchen planen Corona-Gottesdienste mit Kerzen-Aktionen
- Lohbrügger Pastor will das wahre Leben kennenlernen
Dennoch: „Wenn wir zu der Einsicht kommen, dass der Verzicht auf Präsenz-Evangelium gemäßer ist als ein Gottesdienst, dann lassen wir es.“ Da sei das letzte Wort noch nicht gesprochen: „Nicht nur die Argumente von Jonas Goebel machen mich nachdenklich. Ich studiere, zusammen mit den anderen Leitungsverantwortlichen in St. Petri und Pauli, aufmerksam die Entwicklung.“ Natürlich mache er sich Sorgen, so der Pastor: Auch ihn und seine Familie könne es treffen.
„Moralische Keulen mag ich allerdings nicht. Aber Todesfälle sind ein Drama. Ich werde nicht dafür stehen, sie sehenden Auges in Kauf zu nehmen mit einem Gottesdienst.“ Man müsse sich die Argumente der Politiker und Fachleute anhören und dann verantwortliche Entscheidungen fällen, meint Andreas Baldenius: „Dazu gehört durchaus auch die Möglichkeit, alle Pläne wieder in die Tonne zu treten und Weihnachten ,ausfallen’ zu lassen.“
- St. Petri und Pauli feiert Weihnachten – Alle Infos
Nun werden es sogar sechs Feiern, die die Kirchengemeinde St. Petri und Pauli Heiligabend anbietet: Neben den bereits angekündigten Messen unter freiem Himmel am Nachmittag (14, 15.15 und 16.30 Uhr) gibt es vormittags drei zusätzliche Kurzandachten mit der Weihnachtsgeschichte in der Kirche. Die Uhrzeiten: 10, 11 und 12 Uhr.
Singen darf das Publikum dort nicht. Aber es wird eine Solostimme zur Orgelmusik erklingen. Wer dabei sein will, muss sich zuvor eines der kostenlosen Tickets für sich oder seine Familie besorgen. Karten für alle sechs Feiern gibt es ab Montag, 14. Dezember, jeweils von 14 bis 17 Uhr am Ticket-Tisch in der Kirche. Auf dem Kirchenvorplatz werden unter freiem Himmel rund 250 Menschen Platz finden. Drinnen lässt das Hygienekonzept der Gemeinde etwa 70 Gäste zu.