Hamburg. Johann Adolf Hasse (✝ 1783) war zu Lebzeiten Nummer 1 in Europa. Aber Dr. Wolfgang Hochstein hatte einen Verdacht, dem er nachging.

Es ist ein überraschendes Fazit, das Prof. Dr. Wolfgang Hochstein nach jahrzehntelanger Forschung am Werk des Komponisten Johann Adolf Hasse zieht. Oder ist es eigentlich nur logisch? Schließlich war der 1699 in Bergedorf geborene und 1783 in Venedig gestorbene Komponist der größte Musikstar seiner Zeit: „Nicht überall, wo Hasse draufsteht, ist auch Hasse drin“, sagt der Wissenschaftler. „Besonders bei den Instrumentalwerken, die vor 300 Jahren unter seinem Namen europaweit erschienen und bis heute so in den Archiven liegen, stammen wohl mehr als 40 Prozent gar nicht von ihm.“

Genau zu diesem Bereich von Hasses schier unendlichem Gesamtwerk hat der Geesthachter jetzt ein Verzeichnis vorgelegt. Auf stattlichen 464 Seiten ist nachzulesen, was Wolfgang Hochstein in ganz Europa zusammengetragen hat. Es ist die erste Arbeit dieser Art, die alles auflistet, was der populärste Komponist des 18. Jahrhunderts an reinen Instrumentalstücken geschaffen hat – oder laut Beschriftung angeblich geschaffen haben soll. Besser erforscht sind Hasses Opern und seine Werke mit Gesang wie Choräle, Oratorien oder Kantaten.

Musikwissenschaftler enthüllt: Viele Hasse-Kompositionen sind Fälschungen

„Unter denen mit menschlichen Stimmen gibt es zwar auch Fälle, die gar nicht von Johann Adolf Hasse stammen. Aber dort liegt die Quote bei unter zehn Prozent“, sagt Hochstein (74), der bis zu seiner Emeritierung 2015 Professor an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater war – sowie seit Ende der 80er-Jahre Vorsitzender der Bergedorfer Hasse-Gesellschaft ist.

Dass es bei den Instrumentalwerken fast die Hälfte zu sein scheint, wundert den Experten nicht: „Es belegt einfach, welchen Stellenwert die Marke ‚Hasse‘ zu seinen Lebzeiten hatte. Da hat mancher unbekannte Komponist oder Drucker gern zugegriffen. Und noch häufiger sicher die Verleger, die den Umsatz mit einem neuen Werk so deutlich ankurbeln wollten.“

Instrumentalwerke jetzt mit Kommentar versehen

Erstmals wirklich überzeugt von der riesigen Anzahl dieser historischen Plagiatsfälle hat Wolfgang Hochstein die Entdeckung in Stockholm: Dort liegen 40 Flötenstücke im Archiv, die angeblich alle von Johann Adolf Hasse stammen sollen. Dabei war er niemals in seinem Leben in Schweden.

Damit war der lange gehegte Verdacht belegt, der im jetzt erschienenen Verzeichnis der Instrumentalwerke zu einer Ergänzung der Rubrik „Kommentar“ geführt hat: „Hasses Autorschaft ist ungewiss“, heißt es dort direkt unter dem jeweils abgedruckten ersten Notenblatt immer wieder.

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Ob die Einschätzung immer richtig ist, lässt Wolfgang Hochstein im Gespräch mit unserer Zeitung offen. „Eindeutig nachweisbar ist das nach 300 Jahren natürlich nur in den wenigsten Fällen. Aber es fällt doch schon sehr auf, wie viele Werke unter dem Namen Hasse veröffentlicht wurden, aber sehr untypisch für seinen Stil sind.“

Folgen für Verlage oder Archive hat der historischen Namensklau nicht. Und auch damals, als die Täter so mehr Geld mit unbekannten Komponisten machen wollten, war das nicht strafbar: „Vor 300 Jahren gab es nirgends in Europa ein gesetzlich festgeschriebenes Urheberrecht“, sagt Wolfgang Hochstein.

Den Komponisten selbst interessierten die Plagiate nicht

Aus heutiger Sicht hält der Musikwissenschaftler die juristische Komponente auch für weit weniger interessant als einen ganz anderen Aspekt: Er würde gern wissen, vom wem die angeblichen Hasse-Werke wirklich stammen.

Auch Johann Adolf Hasse selbst soll sich wenig um die illegale Nutzung seines Namens gekümmert haben. Aus einem Interview mit dem englischen Journalisten Charles Burney ist überliefert, dass er „mehr Freude an der Erzeugung meiner musikalischen Produkte habe, als mit der weiteren Beobachtung ihrer Aufführung oder Pflege“. Der zweite Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel, der etwa zur gleichen Zeit wie Hasse lebte, findet dagegen deutlichere Worte: „Es ist mir unerträglich, wie Verleger so etwas machen können.“