Hamburg. 15 Teilnehmende gestalten das diesjährige internationale Workcamp an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Warum sie dabei sind.
Die Gruppe ist so international aufgestellt wie nie: 15 Jugendliche aus Aserbaidschan, Polen, Thailand, Vietnam, Peru und Mexiko haben in Neuengamme Quartier bezogen. Zwei Wochen werden sie auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte arbeiten, über deutsche Geschichte und den Rechtsruck in Europa sprechen. Diesjährige Besonderheit: Es fehlen Teilnehmer aus der Ukraine und aus Russland. Bisher waren immer einige Jugendliche aus Osteuropa beim Workcamp dabei. Ihre Abwesenheit führt den anderen vor Auge: Es ist Krieg in Europa.
Seit 1981 finden die internationalen Workcamps des SCI („Service Civil International“) in Neuengamme statt. Die ersten Teilnehmer legten Rundwege an, gestalteten das damalige Gefängnis-Areal zur Gedenkstätte um und positionierten die ersten Texttafeln. An einem Sommertag 2024 muten die Wiesen in Neuengamme beinahe idyllisch an. Der Blick auf die Texttafeln erinnert die Workcamper von heute an das Grauen von gestern.
Workcamp: Auswirkungen des Rechtsrucks auf die Erinnerungskultur
„True History“ sei, was sie interessiert, sagt eine der Teilnehmerinnen. Alle im Begrüßungs-Rund nicken ihr zustimmend zu. Fernanda aus Mexiko ist hier, weil sie wissen will, woher die Gewalt im Zweiten Weltkrieg kam. Magda aus Polen kann etwas dazu erzählen. Sie erinnert sich gut an ihre erste Schulexkursion nach Auschwitz: „Not a very nice trip“.
Seit 2006 koordiniert Teamleiter Martin Reiter den Mix aus theoretischem Studienteil und praktischer Arbeit während der Camp-Tage. Diesmal startet das Programm mit einem mehrstündigen Rundgang über das weitläufige Gelände. Am Tag darauf werden die Eindrücke durch den Besuch der Ausstellungen vertieft. Neben Restaurierungsarbeiten vor Ort sind eine Fahrt zur Gedenkstätte am Bullenhuser Damm, ein Treffen mit Menschen aus der zweiten Generation und das Gespräch mit der 95-jährigen KZ-Überlebenden Dita Kraus geplant.
Begegnung mit NS-Zeitzeugen zählt zu eindrücklichsten Momenten des Lebens
Für Workcamp-Teilnehmerin Alicia (25) gehört die Begegnung mit Zeitzeugen zu den eindrücklichsten Momenten in ihrem Leben. Im vergangenen Jahr traf die einzige deutsche Teilnehmerin am diesjährigen Workcamp den kürzlich verstorbenen Holocaust-Überlebenden Natan Grossmann. Eine Stunde habe sie ihm zugehört.
Seine Fähigkeit zur Vergebung habe sie umgehauen. „Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut“, erklärt Alicia den Eindruck, den das Treffen auf sie gemacht hat. Umso mehr fühlt sie sich verpflichtet, etwas davon weiterzugeben. Die Geschichtsstudentin will mehr erfahren, um im Kampf gegen Holocaust-Leugner von heute „weniger hilflos“ zu sein.
Großer Unterschied zwischen Arm und Reich fördert Ausgrenzung und Rassismus
Die Brücke zum diesjährigen Schwerpunkt, dem Erstarken rechter politischer Strömungen, bildet die Neuengammer Sonderausstellung zur rechten Gewalt in Hamburg seit 1945. „Wir wollen herausfinden, in welcher Gesellschaft wir leben, und wir wollen die verschiedenen Gesichter menschenfeindlicher Ideologien erkennen“, erklärt Martin Reiter. Jedes Jahr sei es auch für ihn spannend, deutsche Geschichte aus den unterschiedlichsten Perspektiven reflektiert zu sehen.
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In einem Punkt sind sich die Workcamp-Teilnehmenden schon jetzt einig: Die Unüberbrückbarkeit von wohlhabenden und in Armut lebenden Menschen unterstützt extremistische Strömungen, fördert Ausgrenzung und Rassismus. Umso wichtiger ist es, miteinander ins Gespräch zu kommen.