Bergedorf. Rundgang des Kultur- & Geschichtskontors bietet viel Historie und „neue Wege“ durch das größte zusammenhängende Villengebiet Hamburgs.
Schönheit und Schock liegen bei einem Spaziergang durch Bergedorfs Villengebiet nahe beieinander. Jedenfalls dann, wenn der Historiker Christian Römmer dabei ist. Denn der ehemalige Leiter des Kultur- & Geschichtskontors weiß (fast) alles über die diversen Baustile, namhaften Familien sowie die Skandale, die dieses gut 150 Jahre alte und mit Abstand größte zusammenhängende Hamburger Nobelviertel teils bis heute prägen.
Zwei Stunden nimmt sich Römmer am Mittwoch, 3. Juli, Zeit, um sich mit seinen Gästen auf „Neue Wege durch das Villenviertel“ zu begeben. Start ist um 18 Uhr vor dem Kultur- & Geschichtskontor am Reetwerder 17, das Veranstalter des Rundgangs ist. Teilnehmer zahlen dort 9 Euro pro Person, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Von hier aus geht es über die extra für die reichen Reeder, Kaufleute und Fabrikbesitzer aus dem Villengebiet gebaute Brücke der Ernst-Mantius-Straße: Sie machte den direkten Weg zum Bahnhof frei – ohne sich mit der Kutsche oder ersten Autos durch die engen Gassen des eher ärmlichen Ortskerns Bergedorfs zwängen zu müssen.
Reiche Hamburger investieren in Grundstücke für ihre Villen
Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft mit dem Nebeneinander reicher Hamburger und einfacher Bergedorfer prägte das „Städtchen“ seit die Herrschaften samt ihrer Familien und Hausangestellten ab 1842 per der Eisenbahn in den „Luftkurort“ reisen konnten. Schnell verliebten sie sich in die kleine Stadt am Sachsenwald und interessierten sich für große Grundstücke zum Bau ihrer Sommerresidenzen: am besten in den ausgedehnten Obst- und Gemüsegärten, die sich sie bis hinauf zum Bergedorfer Gehölz erstreckten.
Doch das neue Interesse an den vielfach verwilderten Flächen sollte nicht etwa die Bergedorfer reich machen. Vielmehr rief es Spekulanten auf den Plan, die ihnen das bis dahin als wertlos geltende Areal zu billigsten Preisen abkauften, neu parzellierten und teuer an Makler oder Bauunternehmer weiterreichten. Auch die schlugen wieder satte Margen auf und verkauften schließlich an die Hamburger „Pfeffersäcke“ – oder ab 1870 auch an Bergedorfs rasant aufsteigende Fabrikanten.
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Einige dieser Villen wird Christian Römmer bei seinem Rundgang ansteuern. Hinzu kommen alte Ballhäuser und nicht zuletzt die verschiedenen Schulbauten, die als Zeugen des Siegeszugs der Bildung zumindest der oberen bürgerlichen Schicht im Villengebiet erhalten sind. An ihrem markantesten Bau, dem 1913/14 nach den Plänen des Hamburger Oberbaudirektors Fritz Schumacher errichteten Hansa-Gymnasiums, entbrannte übrigens ein denkwürdiger Streit: Bergedorfs renommiertester, bis weit über Hamburg hinaus bekannter Architekt Hermann Distel protestierte gegen den imposanten Baukörper der damals ausschließlich Jungen vorbehaltenen Schule.
Aus Sicht von Distel, dessen Villa nur zwei Grundstücke entfernt liegt, sprengte der Neubau alle Dimensionen des Villengebiets, war Ausdruck Hamburger Überheblichkeit. Gebaut wurde dennoch – und die Straße davor ausgerechnet nach dem größten Kritiker benannt. So lautet die Adresse des Hansa-Gymnasiums heute Hermann-Distel-Straße 25.