Bergedorf. Wahlkampfhilfe vom Grünen Umweltsenator für den Fraktionschef im Bundestag: Gemeinsam besuchten sie den Bergedorfer Energie-Campus.

Er hat sich richtig viel Zeit genommen, um die in Bergedorf zusammenlaufende Energiewende Norddeutschlands „NEW 4.0“ in Augenschein zu nehmen: Mehr als drei Stunden war Anton Hofreiter, Grünen-Fraktionschef im Bundestag, am Montag im Energie-Campus am Schleusengraben. Mit ihm kam auch Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan.

Knapp 100 Forscher der Hochschule für Angewandte Wissenschaften koordinieren „NEW 4.0“ seit 2017 vom Energie-Campus aus mit seinen mehr als 60 Partnern aus Wirtschaft, Forschung und Verwaltung. Es soll den Weg ebnen, Hamburg und Schleswig-Holstein bis 2035 komplett mit Wind- und Solarstrom zu versorgen.

Energie-Campus ist federführend beim „Norddeutsche Reallabor“

Darauf sattelt seit einigen Wochen nun das „Norddeutsche Reallabor“ auf, das noch einen Schritt weiter geht: Neben der Stromversorgung soll es bis Mitte des kommenden Jahrzehnts auch 75 Prozent der Gas- und Wärmenetze im Norden über erneuerbare Energien versorgen. Konkret geht es darum, mit überschüssigem Wind- und Solarstrom Wasserstoff oder künstliches Methan herzustellen, teils auch nur Wärme.

Was gut klingt – und sich laut Energie-Campus-Chef Prof. Dr. Werner Beba technisch bereits auf dem Weg der Machbarkeit befindet – würde in der flächendeckenden Umsetzung aber noch scheitern. „Die gesetzliche Regulatorik schützt die alten fossilen Energieträger Öl und Gas“, gab Bebas Stellvertreter Prof. Dr. Hans Schäfers Anton Hofreiter als Arbeitsauftrag mit auf den Weg. „Es braucht dringend gesetzliche Anpassungen, wenn Deutschland über die Energiewende nicht nur reden, sondern sie auch umsetzen will.“

Gewerkschafter und Grüner kritisieren CDU-Wirtschaftsminister

Und die Kritik am Handeln der aktuellen Bundesregierung wurde noch deutlicher. Denn am Treffen im Bergedorfer Energie-Campus nahmen neben den Forschern auch Hamburgs Industrieverbandschef Matthias Boxberger, Vorstand der HanseWerk AG, und Daniel Friedrich teil, Bezirksleiter der IG Metall Küste.

Boxberger nahm vor allem das Wirtschaftsministerium von Minister Peter Altmaier (CDU) und die ihm unterstellte Bundesnetzagentur ins Visier: „Beide praktizieren seit Jahren eine Dauerblockade der erneuerbaren Energien. Zwar werden Forschungsprojekte wie die norddeutschen Energiewende mit zweistelligen Millionenbeträgen gefördert. Wenn es aber um die Novellierung bestehender Gesetze und Verordnungen geht, die die herkömmlichen Energieträger schützen, legt das Ministerium eine konsequente Gestaltungsignoranz an den Tag.“ Bleibe das so, sei die Energiewende zum Scheitern verurteilt.

Schwacher gewerkschaftlicher Organisationsgrad bei neuen Technologien

Einen Grund für dieses Verhalten des Altmaer-Ministeriums skizzierte Friedrich: „Die Branche der erneuerbaren Energien zeichnet sich durch einen sehr geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad aus. Etliche Betriebe, gerade im Bereich Windkraft, haben die Gründung von Betriebsräten sogar bekämpft. Das mag typisch für neue Technologien sein. Es hat aber zur Folge, dass die Politik keinen breiten gesellschaftlichen Druck fürchten muss, wenn sie die Branche nur mit Sonntagsreden unterstützt.“

Ein fast noch grundlegenderes Problem bekam Hofreiter von Beba aufgetischt: „Die Technik entwickelt sich in allen Bereichen der erneuerbaren Energien so rasant, dass wir schon heute einen eklatanten Fachkräftemangel haben. Es muss so schnell wie möglich eine breite schulische und universitäre Struktur der Ausbildung geschaffen werden. Gelingt das nicht, wird die Energiewende schlicht nicht zu schaffen sein.“