Hamburg. Im August steigt wieder Wutzrock in Allermöhe. Wegen Corona fällt das Festival kleiner aus. Welche Einschränkungen es noch gibt.
Er ist derjenige, der die Bands auswählt, die bei Wutzrock auftreten: Florian Heinrich. Der 39-Jährige ist für den ehrenamtlichen Job der richtige Mann: Er ist selbst Musiker (Schlagzeug), hat Musikwissenschaft studiert und verdient seinen Lebensunterhalt in der Musikbranche. Auch unter erschwerten Bedingungen in Zeiten von Corona bringt er ein Programm auf die Bühne, das sich hören lassen kann.
Wutzrock fiel in den beiden vergangenen Sommern pandemiebedingt aus. Es gab lediglich digitale Übertragungen im Internet. Am Freitag und Sonnabend, 12. und 13. August, soll wieder am Eichbaumsee gefeiert werden – anders, als es noch bis 2019 der Fall war: Es wird nur zwei statt drei Tage gefeiert, es gibt nur eine Bühne und keine Campingmöglichkeiten. Das Gelände „wird vermutlich umzäunt“, berichtet Heinrich. Es gehe darum, die Besucherzahlen kontrollieren zu können. Maximal 5000 Menschen dürfen sich pro Tag vor der Bühne einfinden. Außerdem sollen Impfstatus und Testergebnisse geprüft werden.
Wutzrock: Impfstatus und Testergebnis werden kontrolliert
Der gebürtige Bergedorfer, der mit seiner Familie im Schanzenviertel lebt, arbeitet als Produktmanager bei einem Musikdienstleister, bringt „neue Musik auf ihren Weg in die Medien“. 1998 spielte er selbst bei Wutzrock: Damals eröffnete er im Alter von 16 Jahren mit seiner damaligen Band Funkkuchen das Festival. Heute spielt Heinrich in der Gruppe Coca Candy, die sich auf Cumbia spezialisiert hat.
Als Wutzrock-Booker begann Heinrich 2005. Er holte etliche Bands an den Eichbaumsee, darunter auch deutschlandweit und international bekannte Gruppen und Solokünstler wie die aus Bergedorf stammenden Deichkind, I-Fire und Aram Pirmoradi, der inzwischen als Malakoff Kowalski auftritt, sowie Slime, Dritte Wahl, Deine Freunde, 17 Hippies, Tito & Tarantula, Panteón Rococó, The Skatoons, Fehlfarben, die Sam Ragga Band, Antilopen Gang, Großstadtgeflüster, Gisbert zu Knyphausen und Feine Sahne Fischfilet. Viele Acts traten mehrfach auf.
Hervorragende Verpflegung als Gage
An die Auftritte von Feine Sahne Fischfilet und weiteren linksorientierten Bands wie Adam Angst, Egotronic und Waving the Guns vor fünf Jahren kann sich Heinrich gut erinnern: „Das war eine Woche nach dem G20-Gipfel in Hamburg, der von massiven Protesten und Ausschreitungen begleitet worden war – und wir hatten die linkspolitische Crème de la Crème der deutschen Musikszene auf der Bühne. Die Stimmung war ziemlich aufgeheizt. Zwei Hundertschaften der Polizei hielten sich bereit.“ Die Wutzrocker hätten damals die Künstler bitten müssen, dass sie mit ihren Ansagen zwischen den Liedern nicht weiteres Öl ins Feuer gießen, erinnert sich der Booker. Zum Glück sei alles friedlich abgelaufen.
Für die Bands stehe ihm „ein überschaubares Budget“ zur Verfügung, berichtet der Booker, der von weiteren Wutzrockern unterstützt wird. „Von dem Geld bekommen die Bands ihre Spesen erstattet.“ Denn Hotel-Übernachtungen und Transporte der Musiker und ihrer Ausrüstung muss Wutzrock bezahlen. Die eigentliche Gage sei jedoch die hervorragende Verpflegung vor Ort.
„Ich suche Bands als Headliner, die zur Wutzrock-Zeit eh unterwegs sind, idealerweise in der Nordhälfte Deutschlands, und die einen Off-Day haben.“ In diese Lücke stoße dann Wutzrock. Dass bekannte Bands mitspielen, sei dem guten Ruf des unkommerziellen Festivals mit seinen klaren politischen Ansagen, etwa gegen Rassismus, Faschismus und Sexismus, und seiner Unabhängigkeit von politischen Parteien zu verdanken. „Das sind dann Bands, die politisch mit Wutzrock auf einer Wellenlänge sind.“ Andere Headliner gelte es von Wutzrock zu überzeugen „und teilweise auch über mehrere Jahre daran zu arbeiten“.
Wutzrock: Auch eine Band aus der Ukraine soll auftreten
Es gehe darum, Zugpferde vor den Wutzrock-Karren zu spannen, die Publikum locken. „Wenn sich dann in den Umbaupausen der großen Bühne auch vor der kleinen Bühne viele Zuschauer einfinden und dort bleiben, weil ihnen die Musik gefällt, dann finde ich das super.“ Denn viele kleinere Bands, die (noch) keinen großen Namen haben, gelte es zu unterstützen.
In diesem Jahr zählen Mono & Nikitman, Pöbel MC, ZSK und Mal Éléve zu den Headlinern. Besonders interessant findet der Booker The Hypnotunez, eine Band aus der Ukraine: „Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn die auch wirklich kommen können.“ Aktuell sehe es danach aus. Eine weitere internationale Band ist die argentinische Formation Kumbia Queers.
Eröffnet wird Wutzrock am 12. August, 16.30 Uhr, von der aus Ochsenwerder stammenden Nachwuchsband Batteries of Rock. Am Sonnabend startet das Musikprogramm um 13.30 Uhr. Auch ein Kinderfest soll es geben.
Weiniger Bands als in den vergangenen Jahrzehnten
Das Programm stehe noch nicht komplett. „Wir sind so spät dran wie noch nie. Sonst sind wir mit dem Booking Monate vor dem Festival fertig.“ In diesem Jahr würden aufgrund der besonderen Bedingungen in Pandemie-Zeiten weniger Bands als in den vergangenen Jahrzehnten auftreten: Am Freitag sieben und am Sonnabend acht. Einen musikalischen Schwerpunkt gebe es nicht, dafür einen bunten Stilmix.
Der 39-Jährige, der auf südamerikanische, jazzige und sphärische Klänge steht, trenne strikt seine Arbeit als Booker von eigenen musikalischen Vorlieben: „Bisher habe ich noch keine Band gebucht, für die ich mir selbst eine Konzertkarte kaufen würde.“ Wutzrock diene ihm nicht dazu, seine Lieblingsbands an den See zu holen.
Früher bewarben sich Bands mit Musikkassetten
In Corona-Zeiten werde das Booking der Bands, aber auch die Organisation von Wutzrock überhaupt, vor neue, große Herausforderungen gestellt, betont Heinrich: „Alles ist anders, alles ist neu. Darauf müssen wir Organisatoren und Planer uns alle einstellen und uns entsprechend einarbeiten, auch um die vielen freiwilligen Helfer anleiten zu können.“ Ging es vor zwei Jahren noch um eine digitale Wutzrock-Show, die in einem Livestream im Internet live aus der Lola übertragen worden ist, müssen die Wutzrocker nun ein Live-Spektakel unter völlig neuen Bedingungen wuppen.
„Allein schon, dass die Planungstreffen seit Beginn der Pandemie digital am Bildschirm ablaufen, empfinden gerade ältere Wutzrocker als Zumutung“, sagt Heinrich. Für ihn, einen Büromenschen mit viel Computerarbeit, sei es eher ein Vorteil: „Das kriege ich zeitlich einfacher hin als Präsenztreffen.“
Wurden früher noch CDs oder Musikkassetten verschickt, bekommt der Booker von Bands, die sich um einen Wutzrock-Auftritt bewerben inzwischen fast ausschließlich E-Mails oder Anfragen über die Wutzrock-Homepage. „Darüber bin ich auch sehr froh, da ich früher ganze Säcke mit CDs im Müll entsorgen musste und ich dabei natürlich ein wesentlich schlechteres Gewissen habe, als eine E-Mail als gelesen zu markieren.“ Aber: Jede Bewerbung werde gelesen und in die mitversandte Musik reingehört, „zumindest kurz“.
Das erste Wutzrock-Festival wurde 1979 im Billtal-Stadion gefeiert
Die Festivals nach Wutzrock 2022 hat Heinrich schon jetzt im Blick: „Ich buche grundsätzlich durchgehend, also das ganze Jahr über, und auch festivalübergreifend. Wenn es mit einer Band für das kommende Festival nicht klappt, wird sie mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein oder zwei Jahre später bei Wutzrock auftreten.“
Wie er zum Booking kam? „Mein Vorgänger war Bassist in meiner früheren Band. Er suchte einen Nachfolger und fragte mich. Nach meiner Zusage hat er mich ein, zwei Jahre lang eingearbeitet.“
Das erste Wutzrock-Festival wurde am 30. Juni 1979 im Bergedorfer Billtal-Stadion gefeiert. Seitdem hat das Spektakel längst Kultstatus und einen hervorragenden Ruf in der Festivalszene erlangt. Zu Wutzrock dürfen keine Getränke mitgebracht werden, da das Festival maßgeblich durch den Verkauf von Bier und weiteren Durstlöschern finanziert wird.
Außerdem sind die Organisatoren auf viele ehrenamtliche Helfer angewiesen. Infos zu den verschiedenen Arbeitsbereichen finden sich auf der Internetseite wutzrock.de. Wer mitanpacken will, schickt eine E-Mail an mithelfen@wutzrock.de – oder kommt zum Helfertreffen am Sonnabend, 23. Juli, 15 Uhr, im Café Flop (Verein Unser Haus) an der Wentorfer Straße 26.