Hamburg. Arbeitnehmer werfen Hamburger Konzernen vor, die Corona-Pandemie als Vorwand zu nutzen, um die Löhne nicht zu erhöhen.
Sie waren gut 200 – und mit Abstand kein bisschen leise, um „gegen wachsende Kinder- und Altersarmut zu protestieren, gegen prekäre Beschäftigung und Armutslöhne“, so Bergedorfs DGB-Chef Ernst Heilmann, der zur Kundgebung auf dem Lohbrügger Markt aufgerufen hatte. Unter dem Motto „Solidarität ist Zukunft“ erinnerte er an die Anfänge der internationalen Arbeiterbewegung, die seit 1890 den 1. Mai feiert und sich auch in Bergedorf die ersten Gewerkschaftsverbände gründeten, „gegen den erbitterten Widerstand der Fabrikbesitzer“.
Metaller und Tabakarbeiter gingen damals auf die Straße, um die Kinderarbeit abzuschaffen, einen Zehn-, später Acht-Stunden-Tag zu fordern. „So war es auch bei den Glasarbeitern, deren Verband sich übrigens am 3. August 1890 bei uns in Bergedorf gründete“, erwähnte Heilmann.
Scharfe Kritik: „Die Politiker lassen sich korrumpieren“
Dass Solidarität bis heute „kein kalter Kaffee“ ist und sich durchaus auszahlt, wissen auch die Hauni-Arbeiter, so Betriebsratschef Uwe Zebrowski, der in den vergangenen zwei Jahren fast 300 neue Mitglieder in der Bergedorfer IG Metall begrüßen konnte: „Gemeinsam haben wir bis Ende 2024 eine Beschäftigungssicherung für 1600 Stellen erreicht. Zwar werden auch 700 abgebaut, aber sehr sozialverträglich, denn mehr als 400 Kollegen gehen in die Altersteilzeit.“
Während an der Kurt-A.-Körber-Chaussee die Belegschaft vom Management ernst genommen werde, werde an anderer Stelle mehr erwartet als ein Durchwurschteln: „Die Politiker der Regierung lassen sich vom System der Reichen korrumpieren und instrumentalisieren“, kritisierte Zebrowski mit Blick auf Konzerne, die auch in der Pandemie große Gewinne einfahren.
Gesellschaftliche Ungleichheiten in Deutschland mindern
Es sei unanständig vom Immobilienverband, „die Pandemie als Vorwand zu nutzen, keine Lohnerhöhungen zu zahlen“, meint Andreas Tilsner, Betriebsratschef der Baugenossenschaft Bergedorf-Bille. Für die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie sprach Ali Simsek: Es sei empörend, dass der Otto-Versand in Hamburg 840 Stellen streichen wolle, Daimler-Benz zwar Kurzarbeitergeld zahle, aber keine Arbeitsplätze sichere. Und: „Wir fordern, dass der Mindestlohn auf mindestens zwölf Euro erhöht wird.“
Dem mag sich Bergedorfs Bezirksamtsleiter anschließen und wünscht zudem „günstigen Wohnraum vor allem für jene, die nicht auf der Sonnenseite des Erwerbslebens stehen“. Vieles wolle man nach der Pandemie besser machen, so Arne Dornquast: „Es ist unsere Herausforderung, die gesellschaftlichen Ungleichheiten zu mindern.“
Dass sie sehr wohl gleich sind, die gleichen Kenntnisse und Abschlüsse haben, müssen Menschen anderer Herkunft jedoch immer wieder betonen – „selbst noch in der vierten Generation müssen wir unsere Integration unter Beweis stellen“, kritisiert Kibele Acar (27) von der Alevitischen Gemeinde Bergedorf: „Rassismus grassiert an Schulen, Unis und am Arbeitsplatz. Überall wird denunziert, erniedrigt und angegriffen.“
„Bauarbeiter wurden massiv eingeschüchtert“
Von einem Klima der Angst zeugen auch die Zimmerleute aus der IG Bau, die in der nächsten Verhandlungsrunde am 12. Mai eine Lohnerhöhung von 5,3 Prozent fordert. „Mit den Chefs ist keine Solidarität angebracht. Denn während wir mauern, zimmern und baggern, sacken die sich satte Gewinne ein.“ Dass zu Corona-Zeiten keine Warnstreiks erlaubt sind, erschwert den Kampf: „Die Strabag-Arbeiter wurden massiv eingeschüchtert. Ihnen wurde mit der Kündigung gedroht, wenn sie auch nur zur Kundgebung gingen.“ Und so wollen auch die beiden jungen Leute, die sich an der Gewerbeschule in Bergedorf-West zum Bautechniker weiterbilden, lieber anonym bleiben: „Wir sind kurz vor den Bewerbungen. Da dürfen künftige Chefs unsere Namen nicht im Internet finden.“
Der 1. Mai gehöre wieder auf die Straße, fordert auch Michael Petersen (Betriebsratschef von Federal Mogul in Glinde): „Es ist ein Skandal, dass wir heute nur 200 sein dürfen, aber alle Schwurbler und Verschwörungstheoretiker zu Tausenden durch die Innenstädte laufen.“
Friedliche Kundgebung auf dem Lohbrügger Marktplatz
Immerhin kam es am Sonnabend zu keinen Auseinandersetzungen mit Rechtsgesinnten: Dem hatte der DGB einen Riegel vorgeschoben und vorsichtshalber auch den Bergedorfer Bahnhofsvorplatz für eine Kundgebung reserviert. So wurde friedlich und bei Sonnenschein auf dem Marktplatz gefeiert – mit grooviger Live-Musik der Band „Rock die Straße“, die mit französischen, irischen und auch englischen Liedern einheizte – vom „Uptown girl“ (Billy Joel) bis „We can change the world“ (Eric Clapton).