Hamburg. Wie die Bergedorferin, deren Training wir zwei Jahre verfolgt haben, ihr Rennen beim Haspa Marathon Hamburg erlebte.
Es herrscht Partystimmung am Bahnhof Ohlsdorf. Stampfende Rhythmen pushen die Läuferinnen und Läufer des Haspa Marathons Hamburg vorwärts. Dicht an dicht drängen sich die Schaulustigen und feuern die Aktiven an. Hier bei Kilometer 30, wo der „Mann mit dem Hammer lauert“, wie die Marathonis sagen, haben viele schon schwer zu kämpfen. Die Sonne brennt vom Himmel herunter. Ein junger Mann hat sich offenbar völlig übernommen. Er wird von Sanitätern auf der Liege weggetragen. Er trägt eine Sauerstoffmaske, sein Kopf liegt auf der Seite, die Augen sind geschlossen, er nimmt nichts mehr wahr. So kann das Abenteuer Marathon auch enden.
Alexandra Simon-Homberger ahnt von all dem nichts, das sich da wenige Hundert Meter vor ihr abspielt. Vor zwei Jahren hatte sich die heute 46-jährige Hobbysportlerin aus Alt-Nettelnburg in den Kopf gesetzt, einen Marathon laufen zu wollen. Angeleitet wurde sie von Laufcoach Björn Andressen (laufen-macht-spass.com) aus Bergedorf, der auch Schwimmtrainer bei der SG Bille ist. Unsere Sportredaktion hat das Projekt von Anfang an begleitet. Niemand aber konnte sich beim Startschuss im Januar 2020 vorstellen, was für eine Berg- und Talfahrt es werden würde.
Nach der zweiten Corona-Infektion Angst um den Marathon bekommen
Denn aus dem Plan „Von Null auf Marathon in 16 Monaten“ wurde wegen Corona schnell eine Odyssee ins Ungewisse. Als Simon-Homberger dann trotz aller Lockdowns so richtig schön ins Rollen gekommen war, erkrankte sie im Dezember 2020 an dem Virus und brauchte danach Wochen, um sich erneut in Form zu bringen. Im Sommer 2021 war sie dann topfit. Ehrgeizig, wie die Juristin ist, hatte sie ihre Corona-Impfung aufgeschoben, um ihr Training nicht zu gefährden. Das erwies sich als Bumerang. Denn als der Marathon im vergangenen Herbst endlich nachgeholt werden konnte, war sie als Ungeimpfte außen vor. Statt eines Starts also: Impfung und wieder ein Trainings-Neuaufbau. Nun zählte nur noch der Hamburg-Marathon 2022.
Alles wurde auf den „Tag X“ am letzten April-Wochenende ausgerichtet. „Als ich mich dann im Februar zum zweiten Mal mit Corona infizierte, habe ich wirklich Angst um meinen Marathon bekommen“, blickt die 46-Jährige zurück.
„Die ersten zwölf Kilometer an Hafen und Alster habe ich mich total super gefühlt
Doch es wurde eine Punktlandung: Am 24. April 2022 um 9 Uhr morgens stand Simon-Homberger mit Coach Andressen und 10.500 Gleichgesinnten an der Startlinie. Block N wie „Neulinge“. „Ich dachte, da stehen lauter Unsportliche um mich herum, aber die waren alle total fit“, staunte sie. Neun Minuten dauerte es, bis sie nach dem Startschuss überhaupt zur Startlinie kam. Doch dank eines Chips am Schuh, der eine Echtzeit-Messung für jeden einzelnen Teilnehmer ermöglicht, ist das egal. Über eine Tracking-App waren so auch Ehemann Gerrit, ihre Töchter Christine (14) und Susanne (12) sowie Andressens Tochter Sophie (16) jederzeit darüber informiert, wo sie sich gerade aufhielten. „Sie sind uns siebenmal an der Strecke begegnet – unglaublich!“, staunte Simon-Homberger.
„Schau nicht auf die Uhr, lauf einfach!“, hatte Andressen zuvor gepredigt. „Die ersten zwölf Kilometer an Hafen und Alster habe ich mich total super gefühlt“, schildert die Nettelnburgerin. Erst nach dem Halbmarathon, als Steigungen mit Gegenwind kamen, wurde es schwer. Doch nicht nur davor hatte Andressen sie gewarnt. „Björn hatte mir auch gesagt, ab Kilometer 25 kann es vorkommen, dass Leute am Streckenrand sitzen oder abtransportiert werden. Er sagte: ,Wenn das passiert, schau nicht hin.’“
Ohne Gehpause in 4:51 Stunden ins Ziel gekommen
Auch das Gehirn funktioniert unter höchster Belastung langsamer. „In Ohlsdorf bei Kilometer 30 fiel mir ein Plakat in den Blick“, schildert die Nettelnburgerin. „Darauf stand: „Go, Simon, du schaffst das!’ und ich dachte mir: ,Oh, wie nett, da hat jemand für einen Simon ein Plakat gemalt, und ich heiße ja auch Simon. Bis mir auffiel, dass es meine Freunde waren, die mich schon seit jeher ,Simon’ nennen, und das Plakat für mich war.“
Mit diesem Motivationsschub zur rechten Zeit schaffte sie es schließlich ohne Gehpause in 4:51 Stunden bis ins Ziel. „Ich dachte, im Ziel überkäme mich eine große Freudenwelle, aber ich war einfach nur kaputt“, blickt Simon-Homberger zurück. „Erst als ich zu Hause in der Badewanne saß, kamen die Freude und die Tränen. Da habe ich erst so richtig realisiert, dass ich das jetzt tatsächlich getan habe.“
So hat sich der Lebenstraum Marathon für Alexandra Simon-Homberger nach 28 Monaten und 3700 Trainingskilometern also endlich erfüllt. Und so, wie es aussieht, wird es wohl nicht ihr einziger Lauf über die magischen 42,195 Kilometer bleiben. „Im Ziel habe ich gesagt: ,Nie wieder!’“, verrät sie, „am Tag danach: ,Warum nicht?’“