Hamburg. Feuerwehr hat erhebliche Bedenken zur Sicherheit des Gebäudes. Schulbehörde vereitelt einen Neubau. Es gibt weitere Probleme.

Vielleicht könne er bei einem Freund unterkommen, meint ein afrikanischer Informatik-Student. „Ich ziehe zurück zu meinen Eltern nach Baden-Württemberg“, sagt die 25-jährige Fardoos enttäuscht. „Ich wäre hier gern geblieben, ist echt günstig“, meint ihr syrischer Zimmernachbar Omar (25), der gerade als Gesundheits- und Krankenpfleger ausgelernt hat, sich jetzt um einen Medizin-Studienplatz bewirbt.

190 Studenten haben die Kündigung bekommen und müssen so schnell wie möglich das Studentenwohnheim an der Billwiese 22 verlassen. Der Grund: Die Feuerwehr hat erhebliche Bedenken zur Sicherheit des Gebäudes.

Die langen Flure haben keine Rauchabschlüsse, die drei Etagen sind offen miteinander verbunden, von außen fehlt zudem ein zweiter Rettungsweg. Das alles bestätigt ein Gutachten von der Brandverhütungsschau im Dezember 2018.

Studentenwohnheim an Billwiese: Neubaupläne mussten auf Eis gelegt werden

Aber längst hatte der Betreiber, die Johann-Carl-Müller-Stiftung, Modernisierungen geplant. Schließlich besticht das im Februar 1970 eingeweihte Haus mit eher marodem Charme: Die Sanitäranlagen sind alt (eine Toilette für zwölf Personen), die Heizung fällt oft aus, und das Mobiliar dürfte auch noch aus der Zeit stammen, als es Ikea noch nicht in Deutschland gab. „Eigentlich müsste man das ganze Ding wegmöbeln“, meint Bergedorfs Baudezernent Uwe Czaplenski, der selbst vor 40 Jahren hier mal ein Studentenzimmer bewohnte.

Ursprünglich war mal tatsächlich ein Neubau geplant auf dem 10.000 Quadratmeter großen Grundstück – direkt in Nachbarschaft der alten Förderschule, auf deren Gelände die Saga Neubauwohnungen bauen wollte. „Wir hätten uns mit der Fläche geeinigt, ein Stück für eine Tiefgarage abgegeben“, meint Stiftungsvorstand Peter Eck. Doch dann ereilte ihn die Nachricht aus der Schulbehörde, dass es weiterhin Bedarf für eine Schule gebe, für Bergedorfs sechstes Gymnasium.

Sanierung des Hauses würde 18 bis 20 Millionen Euro kosten

Der hell gestrichene Sichtbeton ist typisch für das Wohnheim.
Der hell gestrichene Sichtbeton ist typisch für das Wohnheim. © BGZ | strickstrock

Damit nicht genug. Inzwischen hatte der Architekt eine erste Schätzung vorgelegt: 18 bis 20 Millionen Euro würde die Sanierung des Hauses kosten – mögliche Asbestfunde noch nicht einkalkuliert. Also stand fest: „Eine Erhaltung ist uns nicht möglich, wir liegen wirtschaftlich bei plus/minus null und sind in der blöden Situation, dass wir unser Vermögen erhalten müssen“, sagt Rolf Wolgast, der seit 20 Jahren dem Kuratorium der Stiftung vorsitzt.

„Sozialhistorisches Zeugnis“ unter Denkmalschutz

Es folgte der Tragödie dritter Teil: Ohne jegliche Vorwarnung, „aus heiterem Himmel kam dann die Bombe“, so Wolgast. Denn am 29. August 2019 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Denn nicht nur die vielen Glasbausteine, sondern vor allem die Sichtbetonweise sei schützenswert – ähnlich wie bei der Hochschule am Ulmenliet, die ebenfalls einem Entwurf des Architekturbüros Graaf, Schweger & Partner entstammt.

„Die Erhaltung des Wohnheims liegt aus historischen und architekturhistorischen Gründen im öffentlichen Interesse“, erklärt Marianne Kurzer, Pressereferentin der Hamburger Kulturbehörde: „Der hohe architektonische Anspruch, der sowohl der Bauaufgabe des Wohnheims als auch der Hochschule beigemessen wird, dokumentiert die Bedeutung von Bildungsbauten in den 1960er/70er-Jahren.“ Das Studierendenwohnheim sei zudem ein „wichtiges sozialhistorisches Zeugnis als Dokument gemeinschaftlichen Wohnens von Studierenden“.

Was nun? Den Abbruchantrag vom Februar 2021 musste das Bezirksamt ablehnen, „aber wir haben jetzt Widerspruch eingelegt“, sagt Dr. Ronald Steiling. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Mediator weiß, dass er sich mit Fingerspitzengefühl für die Stiftung einsetzen muss: „Der Denkmalschutz steht nicht immer über jedem öffentliche Interesse. Wir müssen eine Lösung finden.“

Betreutes Service-Wohnen wäre denkbar

Und es möge bitte kein jahrelanges Klageverfahren geben, hofft Rolf Wolgast, denn „jeder Tag kostet Geld, und wir verlieren Mieteinnahmen von 260 Euro pro Zimmer“. Zudem wolle man kein Geisterhaus, sondern sehe sich weiterhin dem gemeinnützigen Stiftungszweck verpflichtet: Vielleicht könne man künftig Studenten und Senioren gemeinsam unterbringen.

„Ein betreutes Service-Wohnen mit insgesamt 230 Wohneinheiten wäre denkbar“, überlegt auch Vorstand Peter Eck und hofft auf einen Kompromiss „zwischen Denkmalschutz und Nutzbarkeit“.

Studierende sollen bevorzugt untergebracht werden

Um eine Lösung zu finden, die allen Belangen gerecht werde, stehe das Denkmalschutzamt „als kompetenter Gesprächs- und Beratungspartner zur Verfügung“, signalisiert die Kulturbehörde.

Schulterzuckend nach neuen Perspektiven müssen nun auch die überwiegend ausländischen Studenten suchen. Noch ist das Haus halb gefüllt, aber wenigstens hat Hamburgs Studierendenwerk versprochen, sie mit Vorrang bei der Platzvergabe zu berücksichtigen – so sie nicht an Privat-Unis oder Musikkonservatorien studieren.