Hamburg. Gerichtsverhandlung nach Messerstichen in Neuallermöhe: 38-Jähriger spürte die Klinge schon am Hals und ging zum Gegenangriff über.

Warum musste der 35-jährige Lars Hagemann (Namen aller Beteiligten geändert) im Januar 2024 in Neuallermöhe sterben? Und wer hat ihn getötet? Seit Donnerstag stehen der 20-jährige Osman Coulibaly und der 19-jährige Ahmed Karimi vor dem Hamburger Landgericht. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sollen sie Hagemann am 20. Januar in den Von-Moltke-Bogen gelockt haben, um dort angeblich ein Drogengeschäft über die Bühne zu bringen. Stattdessen hätten die beiden jungen Männer Hagemann und seinen Begleiter mit Messern bedroht, um ihm das Drogengeld mit Gewalt abzunehmen. Der Überfall eskaliert, als die Opfer sich wehren. Am Ende wird Hagemann mit mehreren Messerstichen verletzt und stirbt vier Tage später im Krankenhaus.

Die Ereignisse in dem Bergedorfer Stadtteil im Detail zu ergründen, wird dem Gericht am Freitag nicht leicht gemacht. Zwar war Lars Hagemann am Tag der Tat nicht allein unterwegs. Doch seine beiden Begleiter waren möglicherweise selbst in illegale Geschäfte verstrickt. Eine Aussage könnte sie selbst belasten. Tim Bodenfeld lässt sich jedenfalls kurzfristig entschuldigen, legt ein ärztliches Attest vor. Was bleibt, sind die Aussagen der Polizisten, die Bodenfeld im Januar vernommen hatten.

Messerattacke in Neuallermöhe: Einer der Überfallenen wehrte sich mit Erfolg

Der Kriminalpolizei erzählt Bodenfeld, dass er Hagemann seit schon seit etwa einem halben Jahr kenne. Gemeinsam seien sie mit einem Mietwagen von ihrem Heimatort Börßum in Niedersachsen aus nach Hamburg gefahren. Nach einem Einkaufsbummel in der Hamburger Innenstadt habe ihn der Bekannte jedoch nach Bergedorf gelotst. Im Von-Moltke-Stieg sei Hagemann dann ausgestiegen und in einer Stichstraße verschwunden.

Nach gerade einmal fünf Minuten sei Hagemann blutend aus der Straße gekommen und habe ihm gesagt, er solle schnell in ein Krankenhaus fahren. Auf dem Weg habe der Verletzte aber das Bewusstsein verloren, woraufhin Bodenfeld einen Notruf absetzte und anhielt, um seinen Bekannten zu reanimieren. Was in der Stichstraße passiert ist, will Bodenfeld nicht gesehen haben. Einen weiteren Begleiter beim Ausflug nach Bergedorf erwähnt er ebenfalls nicht.

Zeuge verrät den Grund des Besuchs in Bergedorf nicht

Eben diese Person ist aber der zweite Zeuge. Der 38-jährige Martin Kowalski spaziert selbstbewusst in den Gerichtssaal. Er macht gleich klar: Eigentlich will er gar nicht aussagen, sei nur bereit, einige wichtige Fragen zu klären. Und zu manchen Themen werde er sich auf keinen Fall äußern. Im Gespräch mit dem Vorsitzenden Richter Georg Halbach erzählt Kowalski am Ende doch allerhand. Nur der Grund für den Besuch in Bergedorf mit Lars Hagemann und Tim Bodenfeld bleibt bis zum Schluss im Dunkeln. Falls es wirklich um ein Drogengeschäft ging, muss er sich nicht selbst belasten.

„Ich kannte Hagemann vorher nicht. Wir haben uns über Telegram verabredet. Sie haben mich mit dem Auto in Heimfeld abgeholt“, schildert der Zeuge. Am Von-Moltke-Bogen klingelt er gemeinsam mit Hagemann an einer vorher ausgemachten Adresse. Doch niemand öffnet.

Martin Kowalski schleudert seinen Angreifer auf den Boden

Stattdessen erscheinen zwei Männer, die Kowalski als die Angeklagten im Gerichtssaal identifiziert. „Die beiden Jungs haben gesagt, dass sie zur gleichen Adresse wollen wie wir.“ Als Kowalski erneut an der Tür läutet, packt ihn nach seiner Aussage Ahmed Karimi im Schwitzkasten und hält ihm ein Messer an den Hals. Coulibaly habe das Gleiche mit Hagemann gemacht.

Kowalski wartet nicht ab, bis die Angreifer Forderungen stellen. Stattdessen wehrt sich der heute 38-Jährige – auch Hagemann geht zum Gegenangriff über, wie der Zeuge bestätigt. Kowalski packt die Hand des Angreifers, mit der dieser das Messer hält.

Zeuge hat die mögliche Messerattacke nicht gesehen

Mit einem Beinhaken schleudert der kampfsporterfahrene Mann seinen viel jüngeren Gegner auf den Boden und wirft sich auf ihn. Plötzlich stehen zwei Zeugen neben den Kämpfenden. „Der Herr hat gefragt, ob wir bald fertig sind“, erinnert sich Kowalski, der seinen Gegner daraufhin losgelassen habe.

Karimi nutzt die Gelegenheit, um zu verschwinden. Und auch Martin Kowalski macht sich aus dem Staub, fährt mit der S-Bahn nach Hause. Da sind Coulibaly und Hagemann schon längst nicht mehr zu sehen. Aufgrund der Rangelei hat der Zeuge die beiden anderen Männer aus den Augen verloren. Messerstiche hat er nicht gesehen, kann auf Nachfrage noch nicht einmal sicher sagen, dass Coulibaly auch bewaffnet war. Dass der zweite Kampf möglicherweise eskaliert ist, sieht er aber beim Verlassen der Stichstraße. „Der Boden war voller Blut“, sagt Kowalski.

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Kowalski sagt, er habe sich lange mit Freunden und Familie beraten, ob er gegenüber der Justiz aussagen wolle. „Ich will aber zumindest ein bisschen Gerechtigkeit für Herrn Hagemann.“ Außerdem ärgert ihn die Heimtücke des Überfalls. „Wir sind alle keine Engel, aber jemanden von hinten mit einem Messer zu bedrohen, das ist wirklich räudig“, betont der 38-Jährige.

Nach der Befragung bittet Ahmed Karimi, das Wort an Kowalski richten zu dürfen und entschuldigt sich für die Tat. Dieser blickt den Angeklagten erneut direkt an und bedankt sich: „Hoffentlich lernst du etwas daraus und machst so etwas nie wieder.“

Ein direkter Augenzeuge für die tödlichen Messerstiche gegen Lars Hagemann fehlt bislang. Bei der nächsten Verhandlung am 8. Juli sollen die beiden Passanten befragt werden, die die Kontrahenten auf der Straße überraschten. Auch Ermittler der Mordkommission sollen zu Wort kommen.