Hamburg. Rathaus und Co. sollen vom Behindertenverband gecheckt werden, das wünscht sich die Bergedorfer Politik. Warum das Thema so drängt.

Wer gut läuft und sieht, bemerkt sie kaum, all die Treppen und Hinweisschilder in Hamburg. Aber es kann sich ganz schnell ändern, und das Leben ist plötzlich voller Hindernisse. „Jeder Mensch ist immer nur einen falschen Schritt, eine Erkrankung oder eine Infektion davon entfernt, eine Behinderung zu erwerben“, stellte jetzt Diplom-Ingenieur Joachim Becker vom Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg im Bergedorfer Gesundheitsausschuss fest. Denn 90 Prozent aller Behinderungen würden im Laufe des Lebens erworben, zum Beispiel im Alter.

Was das bedeutet, machte Becker gemeinsam mit André Rabe, zweiter Vorsitzender des Blinden- und Sehbehindertenvereins Hamburg, im Ausschuss deutlich. Die Bergedorfer CDU hatte diesen Vortrag angeregt, der sich eigentlich vorrangig auf die barrierefreie Behörde beziehen sollte, aber dann weit mehr umfasste. Und der die Bezirkspolitiker sichtlich nachdenklich zurückließ.

Barrierefreie Verwaltung Bergedorf: Behindertenverband soll prüfen

Denn wie sehr eine Behinderung ein Leben einschränkt, erzählte Joachim Becker mit einfachen Beispielen. Er zeigte in seiner Präsentation, wie viele Fortbewegungsmittel es theoretisch für Menschen gibt – Autos, Fahrräder, E-Bikes, Roller, Taxen, ÖPNV. Und löschte dann alle, die für Menschen mit Behinderung meist nicht infrage kommen. Es bleiben oft nur der Öffentliche Nahverkehr und (teure) Taxen. Und natürlich der Weg zu Fuß.

Doch selbst mit diesen wenigen Fortbewegungsmitteln warten dann eine Menge Hindernisse, wie André Rabe, selbst erblindet, an einem einfachen Beispiel erklärte. Der Referent kam zu spät zur Sitzung, weil der Taxifahrer ihn an einer falschen Stelle des Rathauses abgesetzt hatte. Eine Orientierung war für André Rabe ohne fremde Hilfe nicht möglich, er wusste nicht, wo er war und musste sich Hilfe herbei telefonieren. Solche Beispiele gibt es viele: Von simplen Stolperfallen auf holprigen Gehwegen bis hin zum Busersatzverkehr, der am Bahnhof in dem Hinweis mündet: „Bitte beachten Sie die Anzeigetafeln“. Für Menschen ohne Sehkraft ebenso unmöglich wie etwa die Nutzung einer App.

Es geht nicht nur um bauliche Veränderungen

Nicht nur bauliche Verbesserungen, ein Umdenken allgemein in der Gesellschaft forderten die Experten. Ein Appell, der bei Bergedorfs Bezirkspolitikern auf offene Ohren stieß und die Erkenntnis brachte, dass es beispielsweise mit einem Aufzug im Rathaus nicht getan ist. Weil jeder Bereich der Verwaltung so weit möglich für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen mitgedacht werden muss, wurde vorgeschlagen, Rathaus und Co. genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Behindertenverband, so der Vorschlag, soll die Bergedorfer Verwaltung ganz genau unter die Lupe nehmen. Mit dem Bezirksamt soll nun gesprochen werden, wie sich das schnell umsetzen lässt.