Lohbrügge. ZDF-Krimis werden in unscheinbarem Bürohaus gedreht. Ortstermin bei den letzten Aufnahmen für „Soko Hamburg“ mit Marek Erhardt.
In Lohbrügge stapeln sich die Polizeikommissariate – im wahrsten Sinne: Gleich acht gibt es hier, nicht alle haben unterschiedliche Schreibtische, Stühle und Schränke – aber immer ein eigenes Polizeiwappen. Sogar eine „Fall-Wand“ gibt es im Requisitenlager. Kennt man: Da zeichnen die Ermittler die Verbindungen zwischen den Verdächtigen auf.
„Hier haben wir alles zusammen, das ist auch viel nachhaltiger, als immer Neues kaufen zu müssen“, sagt Dagmar Landgrebe, die Pressesprecherin der Hamburger Firma Network Movie, einer 100-prozentigen Tochter der ZDF-Studios. Zwei Etagen in einem unscheinbaren Bürohaus mit Adresse Havighorster Weg 8a hat die Firma als Filmstudio gemietet, zunächst für die Krimiserie „Unter anderen Umständen“. Die spielt eigentlich in Flensburg. Aber die Innenaufnahmen werden hier produziert, seit 2019 auch die für „Soko Hamburg“.
ZDF-Serie „Soko Hamburg“: Filmstudio in Lohbrügge ist auf Leichen spezialisiert
Derzeit aber bestimmt ein wenig Wehmut die Aufnahmen: Es ist der letzte Dreh für die sechste Staffel. „Das ZDF will ja seinen 100-Millionen-Euro-Etat umschichten und auf jüngere Zielgruppen ausrichten, die sich Filme streamen oder in die Mediathek gucken“, berichtet Landgrebe. Folge: Für die Soko und auch die „Letzte Spur Berlin“ ist Schluss.
Dabei müssen sich die 100 bis 120 festen Mitarbeiter nicht sorgen, sie werden projektweise weiter angefragt. Schließlich wird in Lohbrügge auch der Samstags-Krimi „In Wahrheit“ gedreht, ebenso die bereits 22 gezeigten Episoden des Stralsund-Krimis, dazu „Solo für Weiß“ mit Anna-Maria Mühe, „Helen Dorn“ (gespielt von Anna Loos) und „Der Kommissar und der See“ mit Walter Sittler.
„Licht und Vegetation sind am Bodensee natürlich anders, aber hier drehen wir die Innenaufnahmen, etwa in Einfamilienhäusern oder im Krankenhaus“, berichtet Dagmar Landgrebe und läuft an einem Schein-Fahrstuhl vorbei und an einem Krankenhausbett bis zur Pathologie. Hier steht der bekannte Stahltisch, hängt ein Röntgenbild an der Wand, liegen Spritzen und Skalpell bereit.
Ganz offensichtlich ist man hier auf Mörder und Leichen spezialisiert: „Nord-Nord-Mord“ sei die meist gesehene Krimireihe des ZDF. Wenn Peter Heinrich Brix, Oliver Wnuk und Julia Brendler auf der Mattscheibe flimmern, waren schon bis zu zehn Millionen Zuschauer dabei – das ist viel für eine Vorabendserie.
Immerhin 20 von 26 Soko-Drehtagen werden in Lohbrügge produziert, das Pensum sei immens: „Die müssen was schaffen, wir müssen die Bilder schon abrackern“, meint Set-Assistentin Felicitas Albers. Täglich sieben Minuten Spielzeit werden gedreht, da sei der Produktionsdruck natürlich höher als bei 90-Minütern, bei denen das Team meist bloß vier Minuten am Tag dreht.
Ulrich Noethen ermittelt im Wendland – und in Lohbrügge
Und es geht munter weiter: Der neue Samstags-Krimi heißt schlicht „Wendland“ – mit Ulrich Noethen in der Rolle von Jakob Stiller. Der aus Hamburg strafversetzte Kommissar löst nun Fälle im Wendland – wobei auch dann die Innenszenen in Lohbrügge gedreht werden.
So wird es wohl auch bei dem neusten Projekt des vor drei Jahren in Berlin gegründeten Labels „studiozentral“ sein: Lasse Scharpen und Tobias Ketelhut entwickeln derzeit eine Fitness-TV-Serie. Der Arbeitstitel: „Pumpen“. Dafür sucht der Motiv-Scout übrigens gerade ein Reihenhaus in Reinbek.
ZDF-Serie „Soko Hamburg“: Marek Erhardt im Polizeieinsatz
Erst mal aber ist letzter Innen-Drehtag für die „Soko“ – seit 9 Uhr ist Set-Leiter Marc Maschmann im Einsatz und ruft immer wieder „Probe läuft!“. Erst nach der Verhörszene gegen 19 Uhr wird Hauptdarsteller Marek Erhardt Feierabend haben: „Das ist schon ganz ordentlich“, meint der 54-Jährige, der früher immer die Verbrecher mimte, seit 20 Jahren aber den Kommissar spielt.
Diesmal soll er sich als verdeckter Ermittler in der Obdachlosen-Szene von St. Pauli herumtreiben („ich bin eh oft zu faul, mich zu rasieren“), denn der 27-Jährige „Teddy“ ist tot aufgefunden worden. Doch die beiden Ermittlerinnen (gespielt von Anna von Haebler und Paula Schramm, Letztere ist von den „Wilden Hühnern“ und „Schloss Einstein“ bekannt) glauben nicht an einen Suizid. „Seine Freundin war bis vor drei Jahren in Eppendorf gemeldet“, berichten sie gerade Tiago Braga de Oliveira, der den Kommissar spielt und mit der Aussprache des Wortes „Substitutionsprogramm“ zu kämpfen hat.
Im Aufenthaltsraum samt Kaffee, Ingwer-Tee und belegten Brötchen warten drei Komparsen in Polizeiuniformen auf ihren Auftritt. „Die müssen immer Jacken anziehen, wenn sie rausgehen, damit es bei der Bevölkerung nicht zu Verwechslungen kommt“, erklärt Dagmar Landgrebe. Wenn draußen gedreht werde, seien meist auch echte Polizisten mit Streifenwagen dabei: „Unsere Drehbücher werden immer von Polizeiberatern gelesen, die uns Tipps geben, wie ein SEK ein Gebäude stürmt, also wer wann was ruft, wie der Festnahme-Griff geht und wann die Handschellen angelegt werden.“
Kragenspitze und Locken müssen sitzen
Heute tummeln sich gut 30 Leute um Regisseur Steffen Heidenreich am Set, darunter drei am Licht, zwei am Ton und fünf Kameramänner, die aus verschiedenen Richtungen aufnehmen. „Schuss und Gegenschuss“ heißt das im Fachjargon. Im Nachbarraum wird alles auf Monitoren verfolgt. Die „Script-Continuity“ achtet auf Details, damit zwischen den Bildern keine Anschlussfehler entstehen, der Kragen noch genauso sitzt wie vorher oder die Locke es Schauspielers. „Halt, der Stuhl stand ganz nah dran“, ruft der aufmerksame Innenrequisiteur Jan Meybeck.
„Das mehrfache Umziehen am Tag nervt mich am meisten“, meint Marek Erhardt, der jetzt im verlotterten „Penner-Outfit“ erscheint. „Vieles kaufen wir secondhand und nähen es dann um“, sagt Kostümbildnerin Kati Ostermann. Bloß flimmernde Muster dürfen es nicht sein. Unterdessen trennt ihre Assistentin Anna Klages gerade den mittleren Adidas-Streifen von Turnschuhen: „Es dürfen keine Labels zu sehen sein. Da achten wir auch bei Getränken drauf und bei Automarken.“
„Labradoodle“ spendet seine Gage
Unterdessen läuft Fiete völlig entspannt und schwanzwedelnd mit seinem blauen Halstuch durch die Flure: Der achtjährige Hund gehört Marek Erhardt: „Das ist ein Labradoodle. Und seine Gage spende ich stets dem Tierschutz“, sagt er. Keine Frage, dass Fiete auch zu den nächsten Dreharbeiten mit nach Süddeutschland kommt: „Im Herbst starte ich zwei Projekte in München. Dazu darf ich aber noch nicht mehr verraten“, meint sein Herrchen.
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Für diesen Tag jedenfalls sind alle froh, wenn der zweite Kameraassistent zum letzten Mal „Klappe“ ruft. Dann fällt auch die Klappe für den Cateringwagen, der an der Straße steht, schließt das Kostümmobil, verschwinden die Laster mit der Aufschrift „Movie Network“. Dann ahnt keiner mehr, dass sich am Havighorster Weg nahezu täglich Leichen und Mörder treffen.