Hamburg. Um Wohncontainer für die Überlebenden des Erdbebens in der Türkei zu finanzieren, verkaufen die Frauen Pizza und Kuchen.
„Die Bagger fahren ganz vorsichtig durch das Erdbebengebiet. Weil ja auch noch Leichen aus den Trümmern geborgen werden.“ Der Anblick sei schockierend gewesen. Und sicher noch zwei Jahre werde es dauern, bis die ersten Häuser wieder aufgebaut werden, meint Safiye Kiliç. Gerade war die Bergedorferin fünf Tage lang in der Türkei, in der Provinz Hatay, wo das Trinkwasser verunreinigt ist und sauberes per Lastwagen in die Zeltstädte gefahren wird: „Dort werden dringend Filteranlagen benötigt“, erfuhr die 46-Jährige.
Erdbeben in der Türkei: Viele müssen in Zelten leben
Mit elf weiteren Frauen reiste sie ebenso nach Kahramanmaras im Süden Anatoliens, brachte Hygieneartikel, Unterwäsche und Spielzeug für die Kinder mit. „Dort funktioniert die Essens- und Kleiderausgabe perfekt mit Termin. Und jeden Abend fährt die Müllabfuhr durch das Zeltlager“, berichtet die Frau – und blickt auf das Chaos zurück: „Nach dem Erdbeben liefen die Telefone heiß, weil alle wissen wollten, ob ihre Verwandten überlebt haben.“
Inzwischen sei von 10.000 toten Syrern und 45.500 verstorbenen Türken die Rede. „Meinen Eltern geht es zum Glück gut. Doch viele Bekannte leben jetzt in Zelten“, sagt die in Hamburg aufgewachsene zahnmedizinische Fachangestellte und verheiratete Mutter zwei Töchter.
Frauenpower ist angesagt, denn Safiye Kiliç vertritt 100 weibliche Gemeindemitglieder der Bergedorfer Moschee an der Stuhlrohrstraße. Zudem ist sie Vize-Vorsitzende im Landesverband und gleichzeitig Vorsitzende im Bundesfrauenverband der 858 Ditip-Moscheegemeinden der Türkisch-Islamischen Union. „Wir haben in Deutschland 45.000 aktive, ehrenamtliche Frauen in den Gemeinden“, sagt Kiliç durchaus stolz.
Bis zu 3000 Wohncontainer sollen geliefert werden
Vor allem finanzielle Hilfen sind dringend gefragt: „Wir haben schon 250 Wohncontainer geliefert, mit zwei Räumen, Küche und Bad. Denn die Zelte können kein Dauerzustand sein.“ Bis zu 3000 Container mögen es noch in diesem Jahr für die Erdbeben-Opfer werden. Auch die Bergedorfer Gemeinde will dafür sammeln, immerhin kostet ein Container rund 6000 Euro. „In den ersten drei Wochen haben wir in unserer Moschee fast 10.000 Euro sammeln können. Das haben vor allem die Frauen geschafft, die Pizza und Kuchen gegen Spenden verkauften“, sagt Safiye Kiliç: „Eine Firma hat gleich 300 Pizzen für alle Mitarbeiter bestellt.“
Jeden Mittwoch treffen sich bis zu 50 Frauen von 10 bis 13 Uhr beim Frühstück in der Cafeteria. Auch bosnische, ukrainische und arabische Frauen sind dabei. „Insgesamt kommen wöchentlich bis zu 1000 Leute in die Moschee, allein zum Freitagsgebet sind es vielleicht 500 Männer. Da lassen sich gut Spenden sammeln“, weiß die Frauenvorsitzende, die nicht nur den eigenen Leuten helfen will: „Wir haben auch schon gespendete Rollstühle nach Mazedonien gebracht.“ Das werde allerdings nicht immer an die große Glocke gehängt, denn „Tue von Herzen Gutes und sprich nicht laut drüber“, lautet ein traditioneller Ratschlag.
Häuser werden auf Stabilität geprüft
Man wolle sich offen präsentieren und alle Menschen willkommen heißen – so auch die Bergedorfer Schüler, die regelmäßig durch die Moschee geführt werden – und erklärt bekommen: Einerseits werde der Imam Gündüz Karakaş zwar aus der Türkei bezahlt, andererseits dürfe man die hiesige Sozial- und Integrationsarbeit „nicht mit der Politik des türkischen Präsidenten in einen Topf werfen“, bittet Kiliç.
Mit Blick auf die türkischen Wahlen im Mai betont sie: „Wir Frauen machen keine politische Werbung für unsere Hilfen. Es ist traurig, wenn man daraus Profit schlagen wollte.“ Es sei nur folgerichtig, dass nach dem Erdbeben politisch gehandelt werde: „Alle Häuser werden nun auf ihre Stabilität geprüft, notfalls geräumt und abgerissen. Da ist es gut, dass es zinsfreie Kredite für Neubauten gibt.“
Wer die Bergedorfer Moschee näher kennlernen möchte, ist dazu auch während des Ramadan eingeladen, zum abendlichen Fastenbrechen: Geöffnet ist vom 22. März bis zum 21. April an jedem Wochenende. Zwischen 20 und etwa 22 Uhr ist jeder zum gemeinsamen Essen und Gebet willkommen.