Bergedorf. Die Sozialbehörde kündigt sich bei Menschen über 80 Jahre zum Hausbesuch an. Ein Experte fragt nach dem Befinden. Das steckt dahinter.

Alle Bergedorfer, die ihren 80. Geburtstag feiern, bekommen persönliche Post von der Hamburger Sozialbehörde: „Herzlichen Glückwunsch! Geht es Ihnen gut?“ Dazu wird angekündigt, dass ein geschulter Experte zu Besuch kommen wolle, denn Ziel des 2020 eingeführten Projektes ist es, das Wohlbefinden der Senioren zu erfragen, damit sie so lange wie möglich (barrierefrei) in ihren eigenen vier Wänden leben können. Medizinischer oder pflegerischen Hilfebedarf soll so rechtzeitig erkannt werden. Aber: Nutzen die Bergedorfer dieses Angebot überhaupt?

Das erfragte nun die Links-Fraktion im Bergedorfer Sozial- und Gesundheitsausschuss und erfuhr, dass allein von Januar bis September 2022 insgesamt 691 Senioren Post erhielten, wobei aber nur 109 auch tatsächlich einen Besuch wünschten. „Zuvor waren es 25 Prozent, jetzt aber nur noch 15 Prozent. So ist das kein Erfolgsmodell, sollte das Geld vielleicht lieber für die Unterbringung von Obdachlosen in Hotels ausgegeben werden“, meint Maria Westberg (Linke). Immerhin 1,5 Millionen Euro stellt die Gesundheitsbehörde hamburgweit bereit.

Sozialbehörde macht Hausbesuche bei Senioren

Bei der Diskussion zeigte sich indes, dass alle Fraktionen die „Hamburger Hausbesuche“ weiterhin begrüßen, denn „der Rückgang der Zahlen ist ja durch Corona begründet“, so Birger Kirstein (SPD). Tatsächlich wurde zu Pandemiezeiten das Prozedere zwischenzeitlich geändert: War üblicherweise ein konkreter Termin angekündigt, den die Senioren aktiv hätten absagen müssen, wurde mit Blick auf eine Infektion vorübergehend bloß verkündet, dass man sich melden könne, wenn ein Besuch tatsächlich erwünscht sei.

So rutschten zwar die Zahlen, womit aber künftig nicht mehr zu rechnen sei, meint Angelika Lange. Die Leiterin des Bergedorfer Fachamtes für Grundsicherung und Soziales betont, dass es bei den Gesprächen immerhin zu 56 Prozent um Fragen rund um die Gesundheit ging – wobei lediglich in fünf Fällen an den Pflegestützpunkt verwiesen wurde, um konkrete Änderungen zu bewirken. Welche Hilfen genau erforderlich waren, soll eine Evaluierung der Fachstelle am Albertinen-Haus klären: „Wann die Ergebnisse kommen, ist mir noch nicht bekannt“, so Lange.

Mehr Einsamkeit während der Pandemie

Davon abgesehen müsse es nicht immer um einen konkreten Bedarf gehen, meint Katja Kramer (SPD): „Wir reden ja nicht nur über Altersarmut, sondern auch über Einsamkeit im Alter. Sowas lässt sich in Zahlen schlecht quantifizieren.“ Ein Gespräch beim Hausbesuch könne durchaus anregen, sich wieder mehr einzubringen, etwa einen Seniorentreff zu besuchen. Ähnlich sieht es die Nettelnburger Hausärztin Dr. Anne-Marie Stüven: „Die Einsamkeit hat sich durch Corona sehr verstärkt. Daher ist der Bedarf an Hausbesuchen eher noch größer geworden.“

Ebenso begrüßt Heribert Krönker das Projekt, denn „nicht nur kein Kind darf uns verloren gehen, sondern auch kein alter Mensch“, so der Grünen-Politiker, der betont: „Wir haben auch hoch einsame Menschen im Bildungsmilieu.“

Flyer in neun Sprachen geplant

Was aber mit den migrantischen Senioren sei, fragt Brigitte Knees vom Bergedorfer Seniorenbeirat nach. Aktuell werden die Einladungen allein auf Deutsch verschickt, Flyer in neun weiteren Sprachen werden derzeit entwickelt. Und „wir haben einen Kontakt zur türkischen Gemeinde geplant“, verspricht Angelika Lange. Das ist eine gute Nachricht auch für Cetin Akbulut (FDP), Bergedorfer Mitglied des Hamburger Integrationsbeirates: „Mein 80-jähriger Vater bekam gerade Besuch, hat sich sehr gefreut und gelächelt. Er fühlte sich richtig wertgeschätzt.“

Im Übrigen gibt es in Hamburg diverse Angebote von ehrenamtlichen Besuchsparten. Interessierte können sich beispielsweise bei „Hamburg besucht“ erkundigen, bei der Senior-Partner-Diakonie (Alte Holstenstraße 65-67) oder den Vereinen „Freunde alter Menschen“ und „Wege aus der Einsamkeit“.