Hamburg. Im Interview erzählt der BAP-Sänger von seinem Treffen mit dem Nobelpreisträger und wer für ihn ein Ekelpaket in der Branche ist.

Wir waren aufgeregt und trugen die angesagtesten Röhrenjeans, damals als Zwölfjährige: 1981 trat die schon legendäre Kölsch-Rock-Band BAP in unserer Schulaula in Köln-Kalk auf. Wir zahlten 3,50 Mark Eintritt, und der Hausmeister hatte uns gewarnt: „Ihr dürft aber nicht auf den Fensterbänken stehen!“ Die Fotos von Sänger Wolfgang Niedecken hüte ich wie einen Schatz – in Schwarz-Weiß natürlich, wie das Palästinenser-Tuch, das er überm Kopf trug – samt Anarchie-Zeichen im Namen des „Müsli Män“.

Damals war gerade das dritte Album „Für usszeschnigge!“ („Zum Ausschneiden!“) erschienen mit ganz zu Anfang gleich dem Song „Verdamp lang her“. Heute, gut 40 Jahre später, nun dieses Interview mit dem Mann, der am Freitag, 23. September, im ausverkauften Theater Haus im Park am Gräpelweg auftritt. Gemeinsam mit dem Pianisten Mike Herting wird das Duo ein literarisch-musikalisches Special geben rund um den US-Liedermacher Bob Dylan, der 2016 den Literaturnobelpreis erhielt und wie kein anderer die Weltgeschichte musikalisch begleitete.

BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken auf den Spuren von Bob Dylan

Du hast unzählige Dylan-Songs aufgenommen und wurdest mal als „Dylanologe“ bezeichnet – was ist der rote Faden in Dylans Lebenswerk, der dich bis heute fasziniert?

Wolfgang Niedecken: Das begann mit meiner Schülerband, in der ich Bass spielte, als der Sänger, der damals kurz vor dem Abi stand, meinte, wir müssten uns einen anderen Sänger suchen. Die Single „Like A Rolling Stone“ brachte er zu unserer Probe mit, die mich total aus den Schuhen gehauen hat. Ich wollte von da an auch so Songs schreiben wie der Typ mit der Sonnenbrille. Also brauchten wir keinen neuen Sänger, sondern einen neuen Bassisten. Bob Dylan bietet einfach bis heute einen unglaublichen Kosmos, der faszinierend ist und nie langweilig wird. Und er hat die Rockmusik vor der Verblödung gerettet, denn damals gab es nur Boy-meets-girl-Texte wie „She loves you“ von den Beatles.

Mehrfach durftest du ihn treffen - wie aufgeregt warst du?

Es war nur zweimal, wollen wir bescheiden bleiben. Und ich war überhaupt nicht aufgeregt, weil das erste Treffen völlig unverhofft war. Wir drehten gerade den Film mit Wim Wenders in Köln, wo eines Abends ein Dylan-Konzert in der Köln-Arena stattfand. Da er ihn aus den 70ern kannte, wurden wir gegenseitig wie Kumpels vorgestellt. Dylan war wissbegierig, wollte zum Beispiel viel über die deutschen Kaiser wissen. Aber es war ein ganz normales Gespräch unter drei Männern, zum Glück. Denn es ist schlimm, wenn man seine Helden trifft und die dann scheiße drauf sind. Das ist mir nur einmal mit dem berüchtigten Ekelpaket Chuck Berry passiert.

Dein Buch ist eine Hommage an den größten Songwriter der Musikgeschichte - durfte er es Korrekturlesen?

Ha, ich glaube nicht, dass man ihm eine Übersetzung vorgelegt hat. Aber er hat ein sehr gutes Management, das inzwischen auch meinen Namen kennt. Für das Remake-Video „Subterranean Homesick Blues 2022“ mit neuen Bildern von den Papptafeln durfte ich sogar eins gestalten. Nach den Farbvorgaben Rot-Schwarz-Weiß habe ich eine Erpresserbrief-Collage gemacht. Wim Wenders und ich waren die einzigen Deutschen, die mitmachen durften.

Du hast mal gesagt, deine eigene Lebensgeschichten könntest du anhand der Chronologie der Dylan-Texte erzählen. Auf welches Lied hättest du gern verzichtet?

Die meisten sind unfassbare Songs. Am meisten erinnere ich mich tatsächlich an das Lied „A Hard Rain’s a-Gonna Fall“, das er während der Kuba-Krise geschrieben hat. Da war ich elf Jahre alt und hatte Mörderangst, weil die größeren Schüler im Internat was von Atomkrieg erzählt hatten. Der Schreck saß tief. Das ist ein wirklich epochales Lied.

Ich nehme mal an, Leute, die weder Englisch noch Kölsch verstehen, sind dir scheißegal?

Naja, ich tue mein Bestes, mich verständlich zu machen – zum Beispiel mit aufwendigen Booklets. Ich mache keine Geheimniskrämerei aus meinen Texten, aber ich laufe den Leuten auch nicht mit Erklärungen hinterher.

Ist Musik ohne Text für dich überhaupt denkbar?

Nee, so was kann ich gar nicht, so viel Musiker bin ich nicht. Für die musikalische Umsetzung brauche ich schon meine Band, von denen zwei übrigens in Hamburg leben. Die Bläser kommen aus dem Süden. Also von wegen kölsche Band: Ich bin der einzige, der noch in Köln lebt (lacht).

Ich war Ende März auf dem Konzert an deinem 71. Geburtstag in der Köln-Arena. Die Dom-Stadt feiert dich schon heute wie eine Legende, zumal du ihr immer wieder „Seelenproviant“ schenkst. Was wäre noch dein größter Traum – etwa ein gemeinsamer Auftritt mit Bob Dylan, der jetzt 81 ist?

Die Dylan-Songs sind für mich Seelenproviant, aber der Mann ist unfassbar kompliziert. Den zu handhaben ist wie Schmetterlinge fangen, weil er unberechenbar ist und plötzlich in andere Tonarten wechselt. Ich bin nicht so gut, dass ich darauf reagieren könnte. Gern aber würde ich mal mit den Stones spielen, am liebsten den Song „Sympathy For The Devil“, der mich von der ersten Schülerband bis zu BAP begleitet hat.

Ich denke an das Konzert „Arsch huh, Zäng ussenander“ („Arsch hoch, Zähne auseinander“) im November 1992 auf dem Chlodwigplatz gegen Rassismus und Neonazis. Das wäre jetzt genauso aktuell, wo nationalistisches und rechtsextremes Gedankengut wieder aufkeimt. Welchen BAP-Song würdest du heute am liebsten Wladimir Putin vorspielen und ihn an euer Moskau-Konzert im Mai 1989 erinnern?

Für Diktator Putin wäre es wohl die „Ruhe vor’m Sturm“ oder „Jeisterfahrer“ (Textauszug: Heimathirsche, Scharlatane schleimen öm die Wett, Jeisterfahrer hann die Roll vum allerletzte Depp.) Als Studenten der Kunstgeschichte hörten wir, es wiederhole sich alles, allerdings wie auf einer Wendeltreppe, immer auf einer anderen Ebene. Der Populismus aus dem Dritten Reich hat heute andere Medien zur Verfügung. Da muss man in einem vereinigten Europa schon damit zurechtkommen, wenn Italien womöglich bald eine rechtsgerichtete Regierung hat. Das kann uns auch in Frankreich blühen, da bin ich wirklich kein Optimist, gelbwestenmäßig. Jetzt gibt es sogar rechte und linke Demonstrationen gegen die Maßnahmen der Energiekrise. Die Leute sollten verdammt noch mal vernünftig sein und nachdenken. Auch, wenn das etwas komisch klingt, wenn das ein Rockmusiker sagt.

Seit 2004 bist du Botschafter der Hilfsorganisation „Gemeinsam für Afrika“ und dem Projekt Rebound. Da dürfen etwa Kindersoldaten aus Uganda, die teils von ihren Familien ausgestoßen wurden, jetzt einen normalen Beruf lernen. Wie sehr politisch engagiert sich der Privatmann Niedecken noch für den Kontinent?

Oh, viel. Wir versteigern immer die hübsch gestalteten Setlisten nach den Auftritten, sammeln Spenden und geben Benefiz-Konzerte. Auch wenn ich Preisgelder bekomme, fließen die an Rebound. Früher war ich ja auch fast jährlich in Afrika, aber mit 71 sind die Widerstandskräfte nicht mehr so juvenil. Vor allem in Zeiten von Covid.

BAP gibt es seit über 45 Jahren und trat gerade zum 50. Bühnenjubiläum der Bläck Fööss auf dem Domplatz auf. Heute läuft im Radio viel Musik vomn Bands, deren Namen man nach ein bis zwei Jahren vergessen hat. Was macht die New Generation falsch?

Man muss halt mit den Medien zurechtkommen, die es jetzt gibt. Damals war es leichter. Da haben wir nur Sachen rausgebracht, die wir gut fanden, wo wir auch hinter standen. Und achteten auf Qualität, machten also nicht nur „Musik, die nicht stört“. Heute ist es schwierig, für eine junge Band, einen langen Atem zu haben. Aber man darf sich eben nicht nur an den Trend ranschmeißen und sich nach dem Radioformat richten. Die stecken in einer Zwickmühle.

Die Jugend steht gerade auf Revivals von Abba oder den Backstreet Boys. Musst du als vierfacher Vater (und Opa von Noah und Quinn) genauso schmunzeln wie viele andere Eltern?

Abba ist ja auch Qualität, sogar Kurt Cobain hat mit Nirvana auf deren fantastisch komponierte Songs gestanden. Mich haben die allerdings nie erreicht. Ich erinnere aber, dass meine Söhne, als sie jung waren, etwas hörten, das wie Led Zeppelin klang. Da habe ich gesagt: Die Platten haben wir alle da, aber in Richtig.

Du warst im Juni im Hamburger Stadtpark, kommst jetzt zu uns nach Bergedorf. Worauf freust du dich bei der Anreise (mit Bus oder Bahn) in den Norden?

Wir kommen mit zwei Autos, in dem einen sitzen Mike und der Tonmann, in dem anderen Tina, der Hund und ich. Und ich bin wirklich gern in Hamburg und weiß meine Wege in die Schanze und um die Außenalster. Da gibt es auch bestimmte Läden und Cafés in St. Georg, die ich immer haben muss.

Wolfgang, ich danke dir herzlich für das Gespräch – muss es leider aber für unsere Leser auf Hochdeutsch transkribieren. Dafür verstehen dich die Norddeutschen umso mehr, weil du ja wohl auch keinen Karneval magst.

Ach, da bin ich altersmilde geworden. Früher war mir das immer zu aufgesetzt, zu bestellt. Aber inzwischen habe ich meinen Frieden zumindest mit dem Straßen- und Kneipenkarneval gemacht und bin toleranter geworden. Schade nur, dass unser Dialekt bald ausstirbt, es gibt kaum noch eine Büttenrede op Kölsch.

Ich wünsche Dir alles Gute und viel Spaß in Bergedorf!!

Dankeschön – und schick mir bitte mal das Foto von 1981.