Hamburg. Das Handwerk bietet nicht nur einen sicheren Job, sondern auch Vielfalt und Chancen auf eine Karriere. Welche Berufe „in“ sind.
Da fiel ihm doch glatt die Kinnlade runter: In einem Zeitungsartikel las der Boberger Schlossermeister Uwe Nitzbon über die Gattin des Bundeskanzlers, Brandenburgs Bildungsministerin. Britta Ernst habe große Karriere gemacht, wobei sie als Tochter eines Zimmermanns und einer Schneiderin eher aus einer „bildungsfernen Schicht“ komme. „Was für ein blöder Begriff. Dabei sollte längst jeder wissen, welche hohen Ansprüche das Handwerk stellt und wie wichtig das ist“, ärgert sich Nitzbon.
Ausbildung im Handwerk ist wichtig - 2030 werden viele Leute fehlen
Gerade jetzt, zum anstehenden Generationenwechsel in vielen Handwerksbetrieben, komme eine solche Aussage zur Unzeit: „Spätestens 2030 werden uns viele Leute fehlen. Daher gab es ja schon für 50 Millionen Euro diese große Image-Kampagne vom Zentralverband des Deutschen Handwerks“, erinnert Nitzbon, der in Bergedorf zum Kreis der „Altmeister des Handwerks“ zählt.
So auch Wolfgang Bierkarre von der Bau-Innung: „Das Handwerk ist längst nicht mehr staubig, nass und schwer, da fährt man nicht mit der Schubkarre den Dreck durch die Gegend. Inzwischen werden Steine punktgenau vom Kran versetzt, gibt es Computer-Technik und modernes Werkzeug, das die Arbeit erleichtert.“
Problem: Großteil der Schüler macht Abitur und will studieren
Warum aber fehlt es an Nachwuchs? An den Löhnen könne es nicht liegen: „Nach den Binnenschiffern hat das Baugewerbe die höchste Ausbildungsvergütung. Ein Maurer oder Zimmerer startet mit 800 Euro im ersten Lehrjahr. Und später, wenn er übernommen wird, hat er gut 3300 Euro brutto im Monat“, rechnet Bierkarre.
Nun aber würden 60 Prozent der Schüler mit einem Abiturzeugnis entlassen und wollen oftmals studieren. „Dabei könnten sie ja mal ein Probepraktikum im Betrieb machen und erfahren, wie anspruchsvoll die gut 130 Ausbildungsberufe des Handwerks sind.“ Immerhin zählen komplette Dachkonstruktionen zur Abschlussprüfung eines Zimmerers, der millimetergenau messen, sichern und prüfen muss.
Gefragt ist aktuell das Klimaschutzhandwerk
Sehr gefragt wird auch bleiben, wer Dämmstoffe einbauen kann für den Wärme- und Kälteschutz, für den Schall- und Brandschutz. Das gehört zum sogenannten „Klimaschutzhandwerk“, das dringend Fachkräfte aus- und weiterbilden muss, „sonst schaffen wir die Klimawende nicht“, meint Hjalmar Stemmann, der Präsident der Hamburger Handwerkskammer.
Die „vielen unbesetzten Lehrstellen“ – Hamburg verzeichnete nach Auskunft der Schulbehörde im vergangenen Jahr einen Rückgang neuer Ausbildungsverträge um 13,5 Prozent – bereiten ihm ebenso Sorgen wie der Arbeitsmarkt: „Wir benötigen in hohem Maße zugewanderte Fachkräfte“, so Stemmann. Schon bald werde es mehr Profis brauchen, die sich in Elektrifizierungs- und Wasserstofftechnik auskennen, Gebäude vor Starkregen und Überhitzung schützen können.
„In der Branche gibt es keine Hire-and-Fire-Mentalität"
Holger Löding von der Bergedorfer Arbeitsagentur weiß, dass eine Fachkraft „nirgendwo vom Hof geschickt“ würde – selbst ohne Gesellenbrief. Händeringend werde gesucht, sogar übertariflich bezahlt, ein Firmenwagen angeboten – und Sicherheit: „In dieser Branche gibt es keine Hire-and-Fire-Mentalität. Da steht man solide, gehört mit zur Familie und kann bis zur Rente gut alt werden.“
Um die Jahreswende zähle er indes immer weniger Gesuche, derzeit aber werden zehn Anlagenmechaniker im Bereich Sanitär/Heizung/Klimatechnik gebraucht, drei Klempner-Helfer, sechs Elektroniker, fünf Zimmerer und drei Maler. Auch die Autowerkstätten haben Bedarf, suchen neun Mechatroniker sowie drei Karosseriebauer und Lackierer.
Corona sorgt für weniger Praktikanten und Azubis
Aus dem Bergedorfer Büro der Handwerkskammer ist zu hören, dass es aktuell genau 1149 Handwerksbetriebe im Bezirk gibt, 25 mehr als im Vorjahr. Die meisten, nämlich 308, zählen zum Elektro- und Metallgewerbe.
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Dass die Zahl der Ausbildungsplätze zurückgegangen ist, liege auch an Corona, sagt Bezirkshandwerksmeister Christian Hamburg: „Die Friseure etwa können das im Moment nicht leisten.“ Und wo sonst oftmals eine Lehre an ein Praktikum anschloss, gibt es auch hier Hemmnisse: „In der Pandemie will man ja nicht unbedingt einen Praktikanten neben den Monteur ins Fahrzeug setzen“, erklärt Hamburg.
Gemeinsame Initiative mit dem Wirtschaftsverband in der Überlegung
Aber es gebe zudem ein systematisches Problem, denn „die duale Ausbildung mit der Kombination aus Betrieb und Berufsschule ist in vielen Elternhäusern und Schulen einfach nicht bekannt“, so Christian Hamburg, der aktuell für den eigenen Betrieb Bodenleger sowie Maler- und Lackierer sucht – auch wenn mancher Kunde gerade die Wohnzimmer-Renovierung verschiebt, weil er im Homeoffice sitzt.
Damit aber die Handwerker-Ausbildung wieder ein bisschen Schwung bekommt, wird über eine gemeinsame Initiative mit Bergedorfs Wirtschaftsverband WSB nachgedacht. Schließlich, so der Bezirkshandwerksmeister, „stellen Dienstleister wie Änderungsschneidereien, Kosmetiker, Optiker, Akustiker oder Friseure die meisten Arbeitsplätze im Sachsentor“.
Handwerker stellen sich auf den Bergedorfer Bautagen vor
WSB-Geschäftsführer Marc Wilken bestätigt: „Wir werden uns noch mal in kleiner Runde treffen, auch mit der Ausbildungsleiterin der Hauni. Auf jeden Fall wollen wir noch in diesem Jahr etwas auf die Beine stellen, damit die dualen Ausbildungsberufe bekannter werden.“
Die nächste Gelegenheit, um auf das Handwerk hinzuweisen, werden die Bergedorfer Bautage sein, die Ende März erneut auf dem Frascatiplatz werben. Hier wird die Zukunft des Handwerks vorgestellt, zeigen die Meister und Fachwirte, was sie draufhaben: Eine moderne Heizung etwa mit digitaler App-Steuerung braucht sehr viel technisches Wissen von gut ausgebildeten Installateuren. „Heute“, so Christian Hamburg, „haben längst alle Monteure ein Tablet.“