Hamburg. Etwa 20 Menschen leben im Bezirk Bergedorf auf der Straße. Ehrenamtliche helfen mit Essen oder einer Unterkunft.

Russische Lieder zu Gitarrenmusik, ein Akkordeon oder einfach nur das Pappschild des älteren Bulgaren mit der Aufschrift „Bitte helft mir mit kleinen Spenden“ – wer dieser Tage durch das Sachsentor in Bergedorf geht, kann wirklich nicht behaupten, er hätte die Armut nicht gesehen.

„Es werden im Moment etwa 20 Menschen sein, die noch draußen schlafen. Also im Schlosspark, vor Sport-Karstadt, in Lauben oder Treppenhäusern“, schätzt Sozialarbeiterin Sabine Fehr, die am Mittwoch mit ihrem Team von der sozialen Beratungsstelle am Weidenbaumsweg zur kleinen Weihnachtsfeier eingeladen hatte. Dazu wurde Pastor Andreas Baldenius gebeten, einen Gottesdienst abzuhalten. Der Pastor weiß um die Sorgen der Bergedorfer Obdachlosen: Zuletzt hatte er vorgeschlagen, das ehemalige Gebäude von „Sport-Karstadt“ in eine Tagesaufenthaltsstätte umzuwandeln. Im Januar wird er seine Idee im Sozialausschuss vorstellen.

Bergedorfer Bezirksversammlung spendet 1000 Euro für Obdachlose

Das Schild hat sich der bulgarische Obdachlose, der gestern im Sachsentor stand, schreiben lassen: Er selbst spricht kein Deutsch.
Das Schild hat sich der bulgarische Obdachlose, der gestern im Sachsentor stand, schreiben lassen: Er selbst spricht kein Deutsch. © Anne K. Strickstrock

Auch die Bergedorfer Bezirksversammlung sorgt sich um die Menschen, die im Winter keine Bleibe haben – und sammelte nach einem Aufruf von Katja Kramer (SPD) im Dezember die Sitzungsgelder ihrer Abgeordneten, denn die obligatorische Weihnachtsfeier muss wegen Corona ausfallen: „Stattdessen möchten wir mit jeweils 500 Euro die Tafel und die Bergedorfer Engel unterstützen“, so die Vize-Vorsitzende des Sozial- und Gesundheitsausschusses.

Über deftiges Sauerkraut, Kartoffelpüree und warme Würstchen freuten sich am Mittwoch rund 40 Menschen, die vor St. Petri und Pauli anstanden, zudem Plätzchen und Schoko-Weihnachtsmänner geschenkt bekamen. „Das ist eine tolle Sache, denn meine Rente reicht einfach nicht, deshalb hole ich meine Lebensmittel auch oft bei der Tafel“, erzählt Sabine Gellersen. Schon lange arbeitet die Gas- und Wasserinstallateurin nicht mehr auf Baustellen: „Dafür sind meine Beine einfach zu krank“, sagt die 53-Jährige, die für ihre Ein-Zimmer-Wohnung in Lohbrügge 485 Euro Kaltmiete bezahlt.

„Bergedorfer Engel“ wurden 2017 mit dem Bergedorfer Bürgerpreis ausgezeichnet

Nicht nur zu Corona-Zeiten kommen jetzt für viele Menschen die „Bergedorfer Engel“ gerade recht. Der Ende März 2014 gegründete Verein wurde 2017 mit dem Bergedorfer Bürgerpreis ausgezeichnet – zur Anerkennung seiner ehrenamtlichen Arbeit: Alle zwei Wochen versorgen sie die Obdachlosen auf der Reeperbahn mit Kleidung und warmem Essen. Zudem sind die Ehrenamtlichen in der Hamburger Innenstadt und am Bahnhof Sternschanze anzutreffen, wo sie Menschen in Not unterstützen.

Zusätzlich startete jetzt wieder die Hotelunterbringung, konnten die ersten beiden Gäste im „My Bed“ am Kurfürstendeich einziehen. Eine warme und sichere Nacht kostet dort 30 Euro. „Es wäre schon toll, wenn wir wieder für 15 Gäste sorgen könnten, am besten bis Ende März“, hofft Vereinsvorstand Thorsten Bassenberg. Wer die „Engel“ dabei unterstützen möchte, kann das per Überweisung tun bei der Vierländer Volksbank (IBAN: DE28 2019 0109 0089 0600 90) oder auf betterplace.org. Dort sind bereits 431 Spenden zwischen 5 und 600 Euro eingegangen. Gebraucht werden gut 1000 Euro pro Monat – und der klirrende Winter ist noch lang.

Lebenssituation nach dem Winter im Hotel zum Besseren gewandelt

Thorsten Bassenberg ist von den Hotel-Aufenthalten überzeugt: „Für fast alle unserer Gäste hat sich die Lebenssituation nach dem Winter im Hotel zum Besseren gewandelt, sie sind zur Ruhe gekommen. Was für uns selbstverständlich ist, war für sie großer Luxus: die Nacht in Wärme und Sicherheit zu verbringen und den Tag ausgeschlafen beginnen zu können.“

Allein nicht bei jeder Witterung den Hausstand mit sich tragen und sich nicht ständig angesichts der eigenen Verwahrlosung schämen zu müssen, ist eine große Erleichterung für die Obdachlosen, die unter anderem von Straßensozialarbeiter Johan Graßhoff betreut werden. Er regelt mit ihnen Behördenangelegenheiten und hilft, dass sie wieder krankenversichert sind oder das Begleichen ihrer Schulden in Angriff nehmen.

Mit Glück lässt sich eine kleine Wohnung finden

Manche konnten sogar aus dem Hotel in eine Wohnunterkunft oder eine eigene Wohnung ziehen – wie der 70-Jährige, von dem die Vize-Vorsitzende Susanne Diem erzählt: „Er lebte drei Jahre lang an einer Bushaltestelle am Hauptbahnhof. Jetzt hat er eine warme Heimat in Bergedorf gefunden.“ Und so ist bei jeder Hilfsaktion klar: „Je mehr mitmachen, desto mehr Menschlichkeit, Respekt und Würde kehrt zurück in unsere Gesellschaft.“