Bergedorf. Hilfe für Bedürftige startet am 1. November. 300 Plätze stehen im Moorfleeter „Plaza Inn“ zur Verfügung.
Die Gefühlswelt schwankt zwischen Abscheu und Mitleid: Derzeit melden sich besonders viele Bergedorfer Bürger bei der Sozialberatungsstelle am Weidenbaumsweg, um sich über Obdachlose zu beschweren, die im Schlosspark oder nahe der Fußgängerzone übernachten. „Die Männer, die offenbar Leergut sammeln, sind gar nicht ungepflegt, aber ihre beiden Zelte im Gebüsch nahe dem Südbahnhof am Neuen Weg sehen grauselig aus“, meint etwa ein älterer Herr.
Der Obdachlose, der im Eingang des ehemaligen Sport-Karstadt nächtigt, ist längst ebenso bekannt wie jener, der wirr und oft barfuß an der Brücke beim Schlossteich sitzt. „Im Moment leben in Bergedorf etwa 40 Leute auf der Straße“, schätzt Straßensozialarbeiterin Sabine Fehr. Indes sei sie in vielen Fällen schlichtweg hilflos, etwa „wenn der Mensch, der körperlich verfällt und schon von Maden befallen ist, einfach nicht in den gerufenen Krankenwagen steigen will“. Die Menschen entschieden nun mal selbst, ob sie sich helfen lassen. „Wenn sie nicht wollen, haben wir keine Handhabe. Da stoßen wir Sozialarbeiter ebenso an unsere Grenzen wie die bürgernahen Beamten der Polizei“, meint Fehr und ergänzt, dass auch gesetzlichen Betreuern die Hände gebunden sind. Niemand darf zwangsweise zur Entgiftung oder Therapie eingewiesen werden: „Die Leute haben quasi ein Recht auf Verwahrlosung.“
Erstmals wird ein Hotel für Obdachlose gemietet
Damit die Obdachlosen bei nächtlichen Minusgraden wenigstens nicht erfrieren, startet am 1. November wieder das städtische Winternotprogramm, das in diesem Jahr 1030 zusätzliche Übernachtungsplätze zur Verfügung stellt, kündigt Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde, an: So gibt es etwa 400 Betten an der Friesenstraße und 224 an der Schmiedekoppel, dazu 60 Plätze nur für Frauen an der Hinrichsenstraße. Neu ist diesmal, dass das Haus an der Kollaustraße nicht im Winternotprogramm genutzt wird, stattdessen erstmals ein Hotel für Obdachlose gemietet wird – in Moorfleet: „Das „Plaza Inn“ an der Halskestraße 72 bietet 300 Plätze. Sie alle können bis Ende März kostenlos und anonym genutzt werden, es stehen Waschmaschinen und abschließbare Schränke zur Verfügung.
Voraussichtlich 13,3 Millionen Euro gibt die Stadt für den Erfrierungsschutz aus – und achtet zu Corona-Zeiten auf eine „lockere Belegung“. Zudem wird im Eingang der Impfstatus erhoben, werden Auffrischungsimpfungen angeboten, liegen Schnelltests bereit.
Geschützte Plätze werden lieber angenommen als große Sammelunterkünfte
Wenn sich die Stadt nun entschließt, fördern & wohnen als Betreiberin eines Hotels in Moorfleet einzusetzen, um im Winter Schlafplätze für Obdachlose anzubieten, ist das offenbar eine gute Entscheidung für die Betroffenen: Die geschützten Plätze werden lieber angenommen als große Sammelunterkünfte. Zuletzt waren Hotelzimmer nur Dank privater Spenden möglich, so hatten etwa die „Bergedorfer Engel“ einige Obdachlose im „My Bed“ am Kurfürstendeich unterbringen können.
Bis vor wenigen Jahren gab es zusätzlich noch zwei Kirchenkaten im Bezirk, die jeweils zehn Männern über Winter gute Worte, warme Suppe und eine saubere Matratze geboten hatten. In der Franz-von-Assisi-Gemeinde ist das Engagement erloschen, aber die Freikirche der Baptisten am Ladenbeker Furtweg 25 erwartet in der kommenden Woche wieder den Aufbau der Wohn-Container. Aber noch immer fehlt in Bergedorf eine Tagesaufenthaltsstätte, Obdachlose müssen daher tagsüber in die Hamburger City fahren: zur „Markthalle“ am Klosterwall.
Männerwohnheim soll eingezäunt werden
Unterdessen ist das Männerwohnheim am Achterdwars weiterhin gut belegt. Hier leben manche Bewohner schon seit vielen Jahren, andere versuchen spontan, einen der 160 Plätze zu ergattern – als heimliche „Fremdschläfer“. Das Problem indes „haben wir genauso in den Sommermonaten“, meint eine Mitarbeiterin.
Susanne Schwendtke, Sprecherin des Betreibers fördern & wohnen, kündigt für das nächste Jahre eine Einzäunung an: „Es bleibt ein freier Zugang, aber wir müssen ein bisschen einhegen, damit die alten und kranken Bewohner nicht von Fremden bedrängt werden, sie aufzunehmen.“ In einem nächsten Schritt sollen zudem Teile des Hauses rollstuhlgerecht umgebaut werden. „Außerdem ist eine neue und hübschere Bepflanzung geplant, da die Brombeersträucher alles zuwuchern“, sagt Schwendtke.