Hamburg. Berndt Fuhrmann (76) bringt Kindern Schach bei – und nebenbei noch Respekt. Doch er engagiert sich noch anderweitig im Bezirk.

Endlich Sommer! Dutzende Kinder aus der Kita am Edith-Stein-Platz toben über den Vorplatz und genießen die Wärme, die sich zwischen den Gebäuden fängt. Einige Eltern stehen still drumherum und betrachten schmunzelnd das bunte Gewusel. Wer hier nahe der Fußgängerzone am S-Bahnhof Nettelnburg groß wird, der wächst in einer großen, fröhlichen Gemeinschaft auf.

Strahlend bahnt sich Berndt Fuhrmann seinen Weg durch die Menge, holt einige der Kinder zum Schachunterricht hoch ins Obergeschoss. Schach? Bei dieser Hitze? Im Ernst? Aber klar, der Nachwuchs brenne geradezu darauf, versichert er: „Wenn ich morgens zum Frühstück ins Kinderrestaurant komme, dann rufen schon die ersten: ,Berndt, ich bin heute bei dir!‘“.

Berndt Furhmann unterrichtet Schach in Neuallermöhe

Viele der Familien, die hier ihren Nachwuchs in Obhut geben, haben Wurzeln in Russland, wo Schach Volkssport ist, oder sie stammen aus Polen, vom Balkan, aus China oder Indien. Neuallermöhe ist ein Schmelztiegel der Nationen. Gerade das reizt Fuhrmann besonders: „Ich unterrichte die ganze Welt!“, freut sich der Rentner, der als Kandidat für den Bergedorfer Bürgerpreis 2021 nominiert ist, gestiftet von der Volksbank Bergedorf und unserem Zeitungshaus.

Doch Schach ist nur ein Gebiet, auf dem sich der frühere Unternehmensberater ehrenamtlich tummelt, seitdem er 2004 nach dem Tod seiner Frau in Rente ging. „Ich bin nicht der Typ, der zu Hause rumsitzen kann“, sagt Fuhrmann. „Ich muss immer mit anpacken. Das war schon als Zwölfjähriger in der Parfümerie meiner Eltern so.“ Für die Loki Schmidt Stiftung etwa bringt Fuhrmann als staatlich zertifizierter Waldpädagoge Interessenten die Natur näher.

Für die AWO Hamburg-Hamm hat er jahrelang Jugendliche, die weder Schulabschluss noch Ausbildung hatten, für den Einstieg ins Berufsleben qualifiziert. Keine einfache Klientel. „Da mischten sich 30 Ethnien“, schildert er, „wir sind zu zweit da rein, einer hat etwas erklärt, der andere die Gruppe beobachtet, und dann haben wir sie zu 100 Prozent durch die Prüfung geboxt und zu 80 Prozent in Lohn und Brot gebracht.“

Furhmann bringt Spielern Regeln des "königlichen Spiels" weiter

Der Bürgerpreis Bergedorf.
Der Bürgerpreis Bergedorf. © BGZ | Daniel Reichstaller

Derweil sortieren in der Kita die „Polarfüchse“ und „Rotfüchse“ ihre Figuren. Wo steht der König? Wie ziehen die Bauern? Die Antworten sind für die Kinder längst Routine. Mit Spielen wie „Bauernkloppe“ oder „Autorennen“ bringt Fuhrmann ihnen die Regeln des „königlichen Spiels“ näher. Ein Jahr lang hat er Einzelunterricht beim Hamburger Schachklub genommen, um alles über das Spiel zu wissen. Was immer er anfängt, dem verschreibt er sich mit ganzer Energie. Berndt Fuhrmann ist jemand, der alles auf die stürmische Art angeht und doch geduldig bleibt.

Sieben Jahrzehnte trennen die Kids von ihrem Seminarleiter, doch der lächelt das einfach weg: „Wer ist fünf Jahre alt?“, ruft er in die Runde. Einige Finger gehen hoch. „Wer ist schon sechs?“. Die anderen Kinder melden sich. „Und wer ist 76 Jahre alt?“, fragt Fuhrmann und meldet sich selbst. Alle grinsen. Rund 150 Kinder unterrichtet der Bergedorfer pro Woche in Kitas und Grundschulen. Aus dem Nichts hat er bei der TSG Bergedorf eine Schachabteilung mit 80 Mitgliedern aufgebaut. An jedem Freitagabend hält er Online-Turniere ab, bei denen er selbst – digital höchst affin – am Laptop die Turnierleitung übernimmt.

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Kinder, die sich von klein auf mit Schach beschäftigen, sind häufig sozial kompetenter und besser in der Schule, hat eine Untersuchung der Universität Trier ergeben. Eltern schätzen so etwas, und daher kann sich Fuhrmann vor Nachfragen kaum retten. „Ich darf im hohen Alter noch mein Erfahrungswissen an die jüngere Generation weitergeben. Das ist ein Privileg, denn das würde ja sonst alles untergehen.“

Fuhrmann hat über 70-Jährige TSg-Mitglieder zu Impftermine gefahren

Doch nicht nur die Jugend hat Fuhrmann im Blick. Als die TSG Freiwillige suchte, die über 70-jährige Mitglieder zu Impfterminen fahren, da gehörte der frühere Dressurreiter und Tennisspieler zu den ersten, die sich gemeldet haben. „Ich genieße die Gespräche, die man auf solchen Fahrten führen kann“, sagt der 76-Jährige, der früher einen Lehrstuhl für deutsch-jüdische Geschichte in Potsdam innehatte.

Nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft ist sein Blick gerichtet. „Ich erlebe ihn als sehr agil und engagiert“, lobt der TSG-Vorsitzender Boris Schmidt. „Er ist sehr aufgeschlossen gegenüber Neuem, auch was das Digitale angeht.“ Als Schmidt sich kürzlich bei einer Fortbildung des Deutschen Olympischen Sportbunds einwählte, war er baff erstaunt, seinen Schach-Abteilungsleiter – stilecht vor einem TSG-Logo – über Zoom dort anzutreffen.

Kindern Werte wie Achtung und Respekt vermitteln

In der Kita Edith Stein geht der Schachunterricht mit einem Lied zu Ende, das sich die Gruppe aussuchen darf und das dann aus dem Internet vorgespielt wird. Berndt Fuhrmann weiß, was bei den Kids zieht. Im Behrensdorfer TSG-Ferienlager in hat er seine Schach-Projekte schon angeboten, ebenso im CCB. Den Kindern Werte wie Achtung und Respekt zu vermitteln, das ist es, was ihn antreibt. „Ich hatte mal einen Jungen in der Gruppe, dessen Familie aus Rumänien stammte“, erzählt er. „Der war sehr schüchtern und wurde daher von den anderen nicht so geachtet. Ich habe dann mit ihm gearbeitet, er hat sie alle im Schach geschlagen und war plötzlich in der Gruppe ganz anders angesehen.“ Solche Erfolge sind für ihn der schönste Lohn.