Hamburg. Das kleine Mädchen aus Afghanistan litt an einem verdrehten Bein. Selbst für die Boberger Klinik war dies ein schwieriger Fall.

Da saß es nun, ein neunjähriges Mädchen aus Afghanistan, fern der Heimat, in einem fremden Arztzimmer. Fremde Menschen untersuchten sein krummes Bein, sprachen eine fremde Sprache. „Morsal war am Anfang ziemlich schüchtern“, erinnert sich Dr. Rita Schoop, Oberärztin in der Septischen Unfallchirurgie und Orthopädie im BG Klinikum Boberg.

Heute nun, Monate nach diesem ersten Zusammentreffen, strahlt Morsal, wenn sie die Boberger Ärzte sieht. Denn dank der Mediziner kann das Mädchen zum ersten Mal in seinem Leben ohne Hilfe laufen. Die Boberger Ärzte mussten dazu einen der schwierigsten Fälle der vergangenen Jahrzehnte lösen.

Schon lange behandelt das Krankenhaus schwer kranke Kinder aus Kriegs- oder Krisengebieten. 51 Jungen und Mädchen wurden seit 1997 in Boberg operiert, allein im vergangenen Jahr waren es acht. Aktuell sind zwei Mädchen und drei Jungen in Behandlung. Oft werden die Kinder über das Friedensdorf in Oberhausen vermittelt oder – so wie Morsal – über den Verein „Kinder brauchen uns“.

Angeblich wurde Morsal aus Afghanistan als Säugling fallengelassen

Was genau mit Morsal geschah und ihre Verletzungen verursachte, das weiß auch Oberärztin Dr. Rita Schoop nicht. „Die Berichte sind ja alle nur Hörensagen“, stellt sie fest. Morsal selbst sei immer erzählt worden, dass sie als Säugling fallengelassen wurde – und dabei einen komplizierten Unterschenkelbruch erlitt. Ob das stimmt, oder ob sie etwa misshandelt wurde, lässt sich nicht sagen.

Auch die Art ihrer Verletzungen sprachen keine deutliche Sprache: Denn zu den schlecht verheilten Brüchen kam eine chronische Knochenentzündung hinzu und ein Fehlwachstum. Ärzte in Afghanistan machten es nur noch schlimmer, sie operierten das Mädchen wohl bis zu zehnmal – vergeblich.

Eine „fast abstruse Fehlstellung“ hatte das Mädchen

Morsals Fuß war extrem verbogen.
Morsals Fuß war extrem verbogen. © Foto: Unternehmenskommunikation BGKH | Unternehmenskommunikation BGKH

Das Ergebnis: „Eine fast abstruse Fehlstellung“, sagt Dr. Rita Schoop. Unterhalb ihres Knies war Morsals Bein 30 Grad nach oben gebogen. Der Fuß stand wiederum in einem Winkel von 90 Grad ab. Morsal konnte nicht richtig laufen lernen, sich allenfalls mit Krücken etwas fortbewegen.

Die Schwierigkeit bestand nun darin, zu erkennen, was wann wo genau gebrochen oder operiert worden war – und wie sich das Durcheinander am besten retten ließe. Zudem gab es ja zwei Fehlstellungen, unterhalb des Knies und am Fuß. „Wir haben uns lange Gedanken gemacht“, sagt Dr. Rita Schoop.

Erneut mussten dem Kind die Knochen gebrochen werden

Schließlich war es soweit. In einer ersten Operation wurden dem Kind im November die Knochen zweimal gebrochen: unterhalb des Knies und weiter unten am Unterschenkel. Ein Fixateur mit Schrauben wurde befestigt, der nun die eigentliche Arbeit verrichten musste: Durch langsames Drehen der Rädchen Tag für Tag wurden die Knochen in die richtige Position gebracht. Ein langsamer Prozess, damit sich auch Nerven und Muskeln Stück für Stück mitbewegen konnten. Eine eigene Computersoftware wurde für Morsal programmiert, um den Prozess richtig auszurechnen.

Das neunjährige Mädchen verbrachte die folgenden Monate in seiner Pflegefamilie. Ein Glücksgriff: Die Familie stammt selbst aus Afghanistan, lebt aber schon lange in Hamburg – und die Tochter ist Krankenschwester. So hatte Morsal alle Hilfe, die sie brauchte, lernte sogar noch etwas Deutsch. Der Erfolg der Behandlung stellte sich schnell ein. In einer zweiten Operation konnte der Fixateur vor einigen Wochen entfernt werden. Für Morsal ein besonderer Tag. Seitdem kann sie ohne Krückenhilfe laufen.

In einer letzten OP wird eine Platte eingesetzt

Damit das Bein auch künftig gerade wächst (die Wachstumsfugen sind glücklicherweise nicht betroffen), soll dem Mädchen nun wohl noch eine Platte eingesetzt werden. Wenn alles gut geht, kann Morsal dann in drei Monaten nach Hause fliegen. Ihre gute Laune hat die Neunjährige jedenfalls längst wieder: Zu den ambulanten Terminen kommt sie strahlend, „und schick gemacht, mit Kleidchen“, hat Oberärztin Schoop festgestellt. Ein ganz normales, neunjähriges Mädchen.