Hamburg. Mit Online-Konzerten kämpfen wir weiter gegen den Corona-Blues. Die Resonanz von “Bühne frei - Live dabei“ ist unerwartet groß.
Es war eine spontane Idee, als im Frühjahr 2020 wegen des Shutdowns plötzlich alle Veranstaltungen abgesagt wurden: Wir müssen etwas tun! Wir wollen lokalen Künstlern eine Bühne bieten, trotz Corona. Wir wollen Musik und Kultur den Lockdown-Geplagten direkt in die Wohnzimmer liefern - immer live und natürlich kostenfrei. Inzwischen hat sich die Aktion „Bühne frei – live dabei!“ der Bergedorfer Zeitung zu einem echten Online-Kultur-Festival gemausert, das in Vielfalt und Qualität trotz zahlreicher Kulturangebote im Netz seinesgleichen sucht.
50 Konzerte haben wir seit dem Auftakt Ende März per Livestream übertragen, insgesamt wohl mehr als 1,5 Millionen Zuschauer damit erreicht. Nicht nur in Bergedorf, Stormarn und dem Lauenburgischen, sondern auch Menschen aus den USA, Brasilien, Australien, Russland, Israel, der Türkei und Polen haben sich reingeklickt. Alle Streams bleiben online abrufbar.
Bühne frei - Live dabei! 1,5 Millionen Klicks – Zuschauerzahl wächst täglich
„Das Besondere an unserer Streaming-Reihe ist die musikalische Vielfalt und dass wir aus den unterschiedlichsten Locations unserer Region senden“, findet Elke Ammerschubert. Sie – normalerweise im Verlag für die Organisation von Automarkt oder Drachenbootrennen verantwortlich – koordiniert nun die wöchentlichen Livestream-Konzerte, Künstler und Locations. „Wir haben von Anfang an darauf geachtet, dass für jeden etwas dabei ist: Pop, Rock, Folk, Jazz, Klassik, Schlager, Musical, Chanson, Kabarett, Lesungen, ein Poetry-Slam“, zählt Ammerschubert auf: „Viele Zuschauer klicken sich am Dienstagabend, unabhängig vom Genre, rein und lassen sich überraschen.“
Überrascht waren die Zuschauer auch von der Bild- und Tonqualität der Liveübertragungen. „Jeder streamt ja heute mit seinem Handy. Aber häufig ist der Ton unverständlich und man hat nur eine langweilige Bildeinstellung“, sagt Prof. Hubert Rutkowski. „Die Bergedorfer Zeitung aber überträgt die Konzerte auf TV-Niveau.“ Das hat den Präsidenten der Chopin-Gesellschaft Hamburg & Sachsenwald dazu bewogen, als Kooperationspartner Klassikkonzerte im Spiegelsaal des Bergedorfer Rathauses für die Streamingreihe zu veranstalten. Rutkowski: „Wir sind weiter dabei. Das nächste mal am 2. März mit Julia Malik Sopran und Sijia Ma am Flügel.“
Crsten Neff ist für die Umsetzung der Livestreams vor Ort zuständig
Verantwortlich für die Umsetzung der Livestreams vor Ort ist Carsten Neff von der Produktionsfirma NEWS & ART. „Wegen der Corona-Beschränkungen müssen wir die Liveübertragungen meist mit nur einer Person vor Ort realisieren“, erklärt Neff: „Ich bin gleichzeitig verantwortlich für die Inszenierung, Lichtgestaltung, vier Kameras, Mikrofonie, die Livemischung von Bild und Ton und die Überwachung der Streams. Da fühlt man sich wie eine achtarmige Krake.“ Und an jeder neuen Location sind die Voraussetzungen völlig anders: „Aber ich bekomme jede Woche ein tolles Privatkonzert, im Raum nur die Musiker und ich. Das ist in der Pandemie ein unschätzbares Privileg“.
Für den Schlagerabend mit „Jelfi“ im Rieck-Haus rollte Neff Hunderte Meter Netzwerkkabel übers freie Feld, weil es vor Ort weder eine Internetleitung noch ausreichend LTE-Versorgung gab. Wir streamten das Duo Steve K. & Bea zwischen Mühlrad und Schwungscheibe aus der Bergedorfer Windmühle, die 16-jährige Singer/Songwriterin Remy Johannsen aus der historischen Bootshalle der Allermöher Werft, eine Country-Show aus der Wagenbauanstalt in Nettelnburg. Seine Shantys stimmte der lauenburger Akkordeonspieler Werner Krzenzck live auf der fahrenden Stadtbarkasse „Piep“ im Sonnenuntergang auf der Elbe an. Und die singende Meerjungfrau Jana Jundra tauchte im SmuX visuell mit Walen in den Ozean ein.
Carsten Neff: „Die Zuschauer wollen jede Woche neu überrascht werden. Musikalisch, aber auch optisch. Beste Unterhaltung – das ist unser Anspruch.“
Kein Applaus – Musiker vermissen das Publikum vor Ort
Die eigentliche Herausforderung liege dabei nicht bei Uploadraten, flinken Sicherungen oder Brummschleifen im Ton. „Als Produzent bin ich bei den Corona-Konzerten auch der einzige Ansprechpartner für die Künstler, der einzige Vor-Ort-Zuschauer“, erklärt Carsten Neff. Für Live-Musiker sei ein Auftritt ohne Menschen vor der Bühne eine sehr ungewohnte Situation: „Wenn der letzte Akkord verstummt, kommt kein Applaus. Die meisten Künstler brauchen aber die Rückkopplung mit dem Publikum. Carsten Neff ist dann auch Regisseur, Kritiker und Motivator. „Ich leite die Künstler nonverbal mit Zeichen. Das sieht manchmal ziemlich lustig aus“, sagt Neff: „Die meisten haben ja keine Fernseherfahrung, einige scheuen den direkten Blick in die Kameralinse. Andere sind so konzentriert, dass sie einfach vergessen, zu lächeln.“
Aber für fast alle Künstler ist das Livestream-Konzert die einzige Auftrittsmöglichkeit in der Pandemie. Auch für die Betreiber der Locations, wie etwa die Lola in Lohbrügge, das Zollenspieker Fährhaus oder das Café Petticoat in Lauenburg ist das Online-Kultur-Festival eine gute Möglichkeit zu sagen: „Wir sind noch da. Wir warten auf euch nach dem Lockdown“.
Deshalb machen wir weiter mit „Bühne frei – live dabei!“ Wir streamen jeden Dienstag um 20.15 Uhr. Auf bergedorfer-zeitung.de, bei Youtube und Facebook. Wer als Künstler auftreten oder als Location eine Bühne bieten möchte, kann sich gerne melden: buehne-frei@hybridveranstaltung.de
Hier gibt es eine Übersicht aller "Bühne frei - Live dabei!"-Konzerte.