Bergedorf. 158 Menschen drängten sich in dem völlig verkommenen Wohnhaus in Bergedorf, bis die Behörden eingriffen.
Die schlimmen Zustände erschüttern selbst erfahrene Beamte. Müllberge im Treppenhaus, Windeln und Fäkalien im Innenhof, Schimmel in den Wohnungen, Ungeziefer, lebensgefährliche Elektroinstallationen – bei einem Großeinsatz in einem völlig überbelegten, heruntergekommenen Wohnhaus in Bergedorf sind Polizisten und Behördenvertreter am Donnerstag auf teilweise unzumutbare Bedingungen gestoßen. Mehrere Familien müssen nun in eine städtische Ersatzunterkunft umziehen.
Gegen 6 Uhr hatten Bereitschaftspolizisten das zu zwei Dritteln von Rumänen und zu einem Drittel von Bulgaren bewohnte dreigeschossige Gebäude am Reetwerder, einer beschaulichen Gasse im Herzen von Bergedorf, umstellt. Auf Grundlage von Meldedaten hatte das Bezirksamt Bergedorf Hinweise erhalten, dass in dem Altbau viel mehr Menschen wohnen als erlaubt. Weil außerdem der Verdacht des Sozialleistungsbetrugs im Raum stand, waren auch Mitarbeiter des Jobcenters und des Zolls eingeschaltet worden.
Bis zu sieben Menschen in einem Zimmer
„Gemeldet sind unter der Adresse 139 Menschen, 78 Erwachsene und 61 Kinder“, sagte Amtssprecher Sebastian Kloth dem Abendblatt. Damit stünde jedem Bewohner rechnerisch eine Fläche von nur 7,7 Quadratmetern zur Verfügung. Die Mindestanforderung an erträgliche Wohnverhältnisse liege aber bei zehn Quadratmetern.
Am Donnerstag bestätigte sich dieser Verdacht nicht nur, die Beamten registrierten in dem Haus auch deutlich mehr Menschen, als sie erwartet hatten. „Insgesamt wurden 91 Erwachsene und 67 Kinder angetroffen“, so Kloth. 43 der 158 erfassten Bewohner seien gar nicht am Reetwerder gemeldet.
Die Beamten inspizierten 63 Räume in dem Gebäude. „In jedem leben Menschen“, sagte Kloth. In einigen Zimmern hätten bis zu sieben Männer, Frauen und Kinder gehaust. Ärger mit den Mietern habe es nicht gegeben. „Wir haben geklopft und wurden eingelassen.“ Zudem stießen die Beamten im Dachgeschoss auf Wohnungen, die nicht genehmigt worden waren. Die Wohnungen befänden sich zwar in einem „akzeptablen Zustand“, einige seien sogar „liebevoll“ eingerichtet, so Kloth. Auf den Rest des Gebäudes trifft das aber offenbar nicht zu.
Kohlenmonoxid strömt aus defekter Gastherme
Wie das Abendblatt erfuhr, stapelt sich im Treppenhaus der Müll, im Innenhof liegt überall Unrat herum, darunter benutzte Windeln. Eine völlig verdreckte Toilette auf einem Flur und ein Badezimmer seien stillgelegt worden. In dem Badezimmer sei aus einer defekten Gastherme giftiges Kohlenmonoxid entwichen; offene Stromkabel ragten aus der Wand.
„Da hätten auch Kinder reingreifen können“, so Kloth. Die Wohnung sei von der Bergedorfer Bauprüfung als unbewohnbar klassifiziert und versiegelt worden. Die Bewohner – 15 Erwachsene und vier Kinder – werden nun in einer Wandsbeker Unterkunft des städtischen Unternehmens „Fördern & Wohnen“ untergebracht. So wie drei weitere Familien mit fünf Erwachsenen und sechs Kindern. Zuvor hatte das Jugendamt festgestellt, dass den auf engstem Raum zusammengepferchten Familien viel zu wenig Platz zur Verfügung steht.
Eigentümer muss Mängel nun beseitigen
Der Hauseigentümer sei über die Kontrolle informiert worden, sagte Kloth. Ob das Jobcenter einen Großteil der Mieten zahlt, ob die Zimmer einzeln vermietet wurden und ob sich der Vermieter an seinen Mietern bereichert hat, ist nicht bekannt. Allerdings überprüft die Steuerfahndung nun seine Mieteinnahmen.
Außerdem erhält er Fristen, um die vielen Mängel in dem Haus zu beseitigen, so Kloth. Während der dreieinhalbstündigen Kontrolle waren die Alte Holstenstraße und der Reetwerder für den Verkehr gesperrt. Im Einsatz: 60 Polizisten und 70 weitere Behördenvertreter. Beteiligt waren unter anderem die Sozialbehörde, das Gesundheitsamt, der Wohnraumschutz, das Jugendamt, die Grundsicherung, der Verbraucherschutz, das Jobcenter, der Zoll, die Steuerfahndung und „Fördern & Wohnen“.
In Hamburg gab es bereits mehrere Fälle von „Elendsvermietung“. So brachte eine Kontrolle der Sozialbehörde ähnliche Missstände in zwei Häusern an der Seehafenstraße in Harburg ans Licht. Nach der Razzia im September kündigte Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde, an: „Dies waren nicht die letzten Häuser.“ Den Worten folgten am Donnerstag Taten.