Bergedorfer fürchten Gettobildung durch Flüchtlingsstadt
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Bergedorf . Es ist eins der größten Hamburger Bauprojekte für Flüchtlinge: In Billwerder sollen bis Ende kommenden Jahres 4000 Asylbewerber leben.
Es ist gerade einmal zwei Monate her, da wollte Bergedorfs Bezirksamtsleiter Arne Dornquast (SPD) die Pläne weder „bestätigen noch dementieren“. Jetzt aber setzt der Senat eines der größten Hamburger Bauprojekte für Flüchtlinge mit Hochdruck in die Tat um. Ende 2016 sollen auf dem strukturschwachen Gelände im Gleisdreieck am Mittleren Landweg in Billwerder 800 Wohnungen für 3000 bis 4000 Flüchtlingeentstehen. Mit den Planungen für dieses Vorhaben würde gegenwärtig begonnen, sagte der Bergedorfer SPD-Fraktionsvorsitzende, Paul Kleszcz, dem Abendblatt. Die Verantwortung dafür liege bei der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. „Die Bergedorfer Bezirkspolitik und das Bezirksamt sollen aber eng und zeitnah in die Planungen einbezogen werden“, betonte Kleszcz.
Der Senat hatte die Bezirke aufgefordert, eine Fläche von insgesamt acht Hektar für den Bau von Flüchtlingswohnungen bereitzustellen. Ende August berichtete die „Bergedorfer Zeitung“, dass eine Massenunterkunft für 3000 Flüchtlinge in Billwerder geplant sei. Im Bezirk Bergedorf werde erstmals ein eigener „Stadtteil“ für Migranten entstehen – als „Prototyp“ für andere Stadtteile. Inzwischen ist klar: Bezirksamt und Behörde für Stadt-entwicklung und Wohnen arbeiten zügig an der Realisierung. Allerdings gibt es auch erhebliche Bedenken. So hält die CDU-Bezirksfraktion die Entscheidung für einen „großen Fehler“. Zwar könnten auch die Bergedorfer die Augen vor der Dramatik der Flüchtlingssituation nicht verschließen. Aber der Beschluss führe zu „unnötigen Spannungen in der Bevölkerung“. Bürger kritisieren unter anderem die negativen Auswirkungen auf den Naturschutz und fürchten eine Gettoisierung wie in Berlin-Neukölln und Duisburg-Marxloh.
„Die Kritik an der Größe der Unterkunft können wir nachvollziehen“, sagt der Bergedorfer SPD-Politiker Kleszcz. Unterkünfte dieser Größenordnung würden zwar „Konfliktpotenzial“ in sich bergen. Aber das müsse durch die notwendige soziale Infrastruktur und personelle Betreuung vor Ort minimiert werden. Die Bezirksversammlung Bergedorf hat deshalb jetzt einem Antrag der SPD-Fraktion zugestimmt. Er zielt darauf, bei den Planungen zwingend die soziale, städtebauliche und technische Infrastruktur zu berücksichtigen.
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Auf der acht Hektar großen Fläche im Gleisdreieck am Mittleren Landweg werden künftig keine Containerbauten, sondern Wohnungen in festen Häusern entstehen. Nach Abendblatt-Informationen sollen hier Flüchtlinge aus bereits bestehenden Unterkünften einziehen, die in Deutschland eine Bleibeperspektive haben und schon lange in einer Wohnunterkunft leben. Es werden also Menschen sein, die sich mit den örtlichen Gepflogenheiten auskennen, hieß es. Das Unternehmen „Fördern & Wohnen“ wird die Gebäude für bis zu 15 Jahre anmieten und betreiben. „Danach können sie dem normalen Wohnungsmarkt zugeführt werden“, sagt Paul Kleszcz. Die Belegung werde dann deutlich geringer sein.
Als Ausgleich für den Bau von insgesamt 5600 Hamburger Sozialwohnungen für Flüchtlinge auf der grünen Wiese hatte der Senat beschlossen, drei neue Naturschutzgebiete auszuweisen (Abendblatt berichtete). Eines davon befindet sich in Allermöhe. Es wird nach SPD-Angaben das grüne Band zwischen den Naturschutzgebieten Boberger Niederung und Die Reit schützen. Gerade um diesen Biotopverbund und seinen Erhalt kämpfen Bürgerinitiativen vor Ort. Sie kündigten an, alle juristischen Möglichkeiten zu nutzen. Derzeit wird die Fläche landwirtschaftlich genutzt. Ein ersatzloser Verlust würde für den Pächter den Wegfall von zehn Prozent seiner Grünfläche bedeuten; das wäre für ihn existenzbedrohend, schreibt die „Bergedorfer Zeitung“.
Inzwischen hat sich auch ein Pastor aus Allermöhe in die Debatte eingeschaltet. In einem neunseitigen offenen Brief an Bezirksamtschef Dornquast mahnt Pastor Michael Ostendorf das Mitspracherecht der Bürger an. „Wichtig ist mir (...), dass Menschen in unserer Demokratie mitsprechen und mitentscheiden können.“ Das sei für ihn bei der jetzt beschlossenen Bebauung des Gleisdreiecks am Mittleren Landweg infrage gestellt. Seine Kritik und Sorge, fügt er hinzu, richte sich ausschließlich auf die geplante Größe der Unterbringung und „den politischen Weg dorthin“. Er hege ansonsten keinerlei Vorbehalte gegen Flüchtlinge.
Außerdem weist der Geistliche der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Moorfleet-Allermöhe-Reitbrook auf die fehlende Infrastruktur hin. Zwar lebten die Menschen gern in „ihrer Siedlung“. Dafür nähmen sie aber auch Nachteile wie die fehlende Kanalisation in Kauf. Tatsächlich ist der Mittlere Landweg eine Verbindungsstraße, in der Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten fehlen. Es gibt den S-Bahnhof mit Parkplatz, die Kleingärten von Milan 95, eine Grundschule mit Sporthalle und das Gelände des ETSV Hamburg von 1924 mit großem Sportplatz. Daneben gibt es auch Wohnhäuser mit Rotklinkern, Gärten und einem alten Baumbestand. Die regionale SPD hat nun in ihrem „Masterplan“ klargestellt, das Bezirksamt müsse die Beteiligung der Bezirksversammlung sowie der „Akteure und Betroffenen sicherstellen“. Die SPD, versichert Paul Kleszcz, werde die „Sorgen der örtlichen Bevölkerung bestmöglich berücksichtigen“.
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