Hamburg. Der FDP-Chef spricht über einen Rücktritt, den er „geprüft“ habe, über erhoffte Signale von der CDU – und über seine Lebensplanung.

Wie schnell und emotionslos das politische Geschäft sein kann, zeigt der Abschied von Christian Lindner aus dem Bundesfinanzministerium: Als er nach der Entlassung durch Bundeskanzler Olaf Scholz an seine alte Wirkungsstätte kam, war das Büro schon leer geräumt und die wenigen persönlichen Dinge auf dem Weg in die FDP-Zentrale.

Dort träumt der Chef der Liberalen jetzt von einer Rückkehr in die Regierung und davon, dass sich für ihn und seine Partei das Jahr 2012 wiederholt. Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt spricht Lindner auch über sein endgültig zerstörtes Verhältnis zu Scholz und über die Frage, wie andere Parteien der AfD Wähler abluchsen können.

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Christian Lindner: „Ich habe für mich entschieden, nicht aufzugeben“

Das sagt Christian Lindner über …

… sein Verhältnis zu Olaf Scholz: „Wenn Sie mit jemandem Hunderte Stunden verhandeln und das meistens kollegial tun, und hören dann von diesem Gegenüber plötzlich öffentliche Charakterstudien über sich, die gelinde gesagt überraschend sind – dann lässt das mich nicht kalt. Wichtiger als das persönliche Verhältnis ist allerdings: Der Bundeskanzler hat sich einer grundlegenden Neuausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik verweigert, obwohl die Wirtschaftskrise nun bei den Jobs ankommt, sondern er hat stattdessen ultimativ 15 Milliarden Euro neue Schulden an der Schuldenbremse vorbei gefordert. Da habe ich mich lieber entlassen lassen.“

… sein Auszug aus dem Bundesfinanzministerium: „Als ich ein letztes Mal ins Finanzministerium zurückkam, um mich von meinen engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verabschieden, war mein Büro schon besenrein.“ 

… einen möglichen Rücktritt als FDP-Vorsitzender nach dem Ampel-Aus: „Ich habe mich geprüft, ob ich wieder für meine Partei antreten soll. Ich war ja eines der drei Gesichter der Ampel. Aber ich war auch derjenige, der deutlich gemacht hat, dass es in Deutschland grundlegende Veränderungen in der Politik braucht. Ich habe für mich entschieden, nicht aufzugeben, sondern für die Wirtschaftswende und für mehr Respekt vor Freiheit und Leistungsbereitschaft zu kämpfen. Ich glaube außerdem, dass die Bereitschaft, auf ein Amt und die Regierungsbeteiligung zu verzichten, der Anfang von Vertrauen in einen Neuanfang für unser Land ist.“ 

„Es fühlt sich gerade an wie 2012.“

… Disruption in Wirtschaft und Gesellschaft: „Wir müssen grundlegend an die Bürokratielast ran. Ganze Gesetze wie das Lieferkettengesetz müssen wir abschaffen. Wir müssen die Steuerlast senken, zum Beispiel durch einen höheren Grundfreibetrag für kleine Einkommen und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Wir brauchen eine realistischere Klima- und Energiepolitik, indem wir das Ziel der Klimaneutralität von 2045 auf 2050 verschieben, um Milliarden an Subventionen zu sparen und Technologien länger für Wertschöpfung zu nutzen. Dadurch verschlechtert sich für das Weltklima nichts, weil das europäische Ziel von 2050 ja bleibt. Aber wir würden die Mittel gewinnen, um Steuern zu senken und öffentliche Investitionen zu erhöhen. Wir haben Bedarf zur Disruption. Denn wir sind kein Modell mehr für die Welt, teilweise werden wir belächelt. Die Menschen würden die Wachstumsschwäche in den kommenden Jahren bei ihrem individuellen Lebensstandard spüren, wenn wir nichts ändern. Das erhöht die Polarisierung in der Gesellschaft weiter.“

… die Aussichten für die Bundestagswahl: „Es fühlt sich gerade an wie 2012. Damals bin ich 60 Tage vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen Spitzenkandidat geworden, unsere Kampagne lief unter dem Motto: „Lieber neue Wahlen als neue Schulden.“ Am Anfang des Wahlkampfes standen wir in den Umfragen bei zwei, drei Prozent und haben am Ende mehr als acht Prozent erhalten. So fühlt es sich jetzt gerade wieder an. Wir müssen alles geben und sehr klar in unseren Positionen sein, dann wird diese Aufholjagd gelingen. “

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Christian Lindner: „Unser klares Ziel ist eine erneute Regierungsbeteiligung“.

… die Hoffnung auf eine neue Regierungsbeteiligung: „Unser klares Ziel ist eine erneute Regierungsbeteiligung. Ich gehe davon aus, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der nächste Kanzler Friedrich Merz heißt. Das ist aber unerheblich, weil die CDU in Regierungen immer die Farbe ihrer Koalitionspartner annimmt. Das hängt damit zusammen, dass die CDU eine Partei mit unterschiedlichen Flügeln und Strömungen ist. Und es setzen sich dann immer die Flügel parteiintern durch, die dem jeweiligen Koalitionspartner nahe sind. Meine Befürchtung ist: Wenn die CDU mit der SPD regiert, bekommen wir eine Politik wie wir sie in der Großen Koalition unter Frau Merkel hatten, und nicht die Veränderung, von der ich glaube, dass wir sie dringend brauchen. Ich will jetzt die CDU nicht stalken, die wollen ja keine Aussage in Richtung FDP machen, zumindest noch nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dass Schwarz-Gelb die beste Konstellation in der Sache wäre. Und wenn die CDU den Mut hätte, das auch zu sagen, sähe ich die Chance, viele gemäßigte Wählerinnen und Wähler von der AfD zurückzugewinnen, die sich mehr Ordnung und Begrenzung bei der Migration, eine praxistaugliche Klimapolitik ohne Verbote und insgesamt weniger staatliche Bevormundung wünschen.“

… Koalitionsmöglichkeiten: „Eine Ampel ist ausgeschlossen, alles andere klärt sich, wenn man die Wahlprogramme sieht.“

… seine Lebensplanung: „Ich bin mit einem gewissen Abstand der am längsten amtierende FDP-Vorsitzende. Irgendwann werde ich natürlich den Parteivorsitz abgeben, aber da habe ich noch keinen konkreten Plan. Dann wird eine neue Phase in meinem politischen Leben beginnen. Derzeit bin ich für alles verantwortlich. Als Politiker ohne Parteivorsitz hat man mehr Freiheiten.“