Hamburg/ Borkum. Beim „Klaasohm“ fangen Männer Frauen und schlagen ihnen ein Kuhhorn aufs Gesäß. Der veranstaltende Verein fühlt sich vor allem unverstanden.

Man kann es nicht anders formulieren, weil es genauso ist: Einmal im Jahr werden auf der Insel Borkum im Zeichen der Brauchtumspflege Frauen verhauen. Kostümierte junge Männer schlagen ihnen bei dem ritualisierten Gewaltakt mit einem Kuhhorn auf den Hintern. Vielleicht nicht alle Männer, aber einige nachweislich in jedem Fall.

Seit vor wenigen Tagen ein Beitrag über die mindestens verstörende, männerbündische Tradition des „Klaasohm“ im NDR-Magazin „Panorama“ ausgestrahlt worden ist, tobt ein Shitstorm in den sozialen Netzwerken – gegen die Stadt Borkum, die Verwaltung und den Touristenverband. Insbesondere aber richtet sich die vernichtende Kritik gegen den Verein Borkumer Jungens von 1830, der die alljährliche Frauen-Hatz veranstaltet. Der Verein zieht nun Konsequenzen: Das kollektive Verprügeln mit dem Kuhhorn sei ab sofort Geschichte, teilen die Borkumer Jungens auf der Internetseite der Stadt Borkum mit.

Frauen hauen – damit soll auf Borkum jetzt Schluss sein

Bisher hat es der Verein gehalten wie im legendären Film „Fight Club“, in dem sich allerdings nur Männer zur Auslotung der individuellen Schmerzgrenze freiwillig brutal verprügeln – über den „Klaasohm“ spricht man nicht, schon gar nicht mit Journalisten. Selbstkritisch räumt der Verein nun ein, dass darin möglicherweise ein gravierender Fehler lag: eben nicht mit den NDR-Reportern gesprochen zu haben, als diese zu Recherchezwecken beim vorjährigen „Klaasohm“ auf der Insel waren und auch Befürworter suchten. Die Journalisten hatten zwar Interviews bekommen. Doch dann seien so viele Zusagen zurückgezogen worden „wie selten zuvor“, berichtete das TV-Team.

Blick aus der Luft auf die ostfriesische Insel Borkum in der Nordsee
Blick aus der Luft auf die ostfriesische Insel Borkum in der Nordsee © dpa | Sina Schuldt

Offenbar ein Versäumnis, wie der Verein einräumt. „Wir merken, dass die Reportage, die ein verzerrtes Bild des Festes zeichnet und zahlreiche journalistische Ungenauigkeiten enthält, das Ergebnis der Ablehnung sämtlicher Anfragen unsererseits ist“. Und weiter: „Es ist bedauerlich, dass daraus etwas entstanden ist, das weder der starken Inselgemeinschaft noch unserem Fest gerecht wird.“

„Klaasohm“ geht auf alten Brauch aus der Zeit der Walfänger zurück

Der „Klaasohm“ geht nach Angaben des Vereins auf eine 200-jährige Tradition zurück und ist historisch mit Bräuchen aus der Zeit des Walfangs verknüpft. In der Nacht vor dem Nikolausfest am 6. Dezember werden sechs männliche Vereinsmitglieder bestimmt, die schaurig kostümiert durch die Straßen ziehen und jede Frau einfangen, derer sie habhaft werden können. Dann setzt es einige – der Geräuschkulisse im TV-Beitrag nach zu urteilen nicht eben sanfte – Schläge mit dem Kuhhorn aufs Gesäß, während die Kinder mit Honigkuchen beschenkt werden. In dem Bericht kommen auch mehrere Frauen zu Wort, die über starke Schmerzen nach den ritualisierten Übergriffen und über blaue Flecken klagen. Eine Nachrichtenagentur zitiert eine junge Insulanerin gar mit den Worten: „Ich habe erlebt, dass ich von Jungs, die mich verkloppen wollten, festgehalten wurde. Ich habe in dieser Zeit immer panische Angst gehabt.“

Nach dem Image-Gau werben die Stadt Borkum und der Verein nun um Verständnis für die „Tradition“. Die Essenz des langen Statements auf der städtischen Internetseite könnte auch lauten: Das Prügeln gehört schon lange nicht mehr zur DNA des „Klaasohm“-Fests; und wer nicht auf der Insel lebt, versteht das ohnehin nicht (inklusive NDR-Team). Oder in den Worten von Bürgermeister Jürgen Akkermann: „Wir verstehen, dass nicht jeder Außenstehende diese Tradition nachvollziehen kann.“ 

Verein räumt ein: Fest kann „auf Außenstehende kontrovers wirken“

Weiter heißt es in dem Vereinsstatement, das Fest könne „wie viele andere Brauchtümer im heutigen Zeitgeist und der Sicht Außenstehender kontrovers wirken“. Der „Klaasohm“ habe auch „keinen touristischen Anspruch“, sondern diene „vielmehr dazu (...), den Abschluss einer langen und anstrengenden Saison zu feiern – ein Tag, der allen Insulanerinnen und Insulanern gleichermaßen gehört.“ Überdies befinde sich das Fest seit „mehreren Jahren“ und schon lange vor Veröffentlichung der NDR-Reportage „im Wandel“.

Auch habe Gewalt gegen Frauen „nie den Kern des Festes ausgemacht, sondern war lediglich ein minimaler Bestandteil, der in den letzten Jahren fast gar nicht mehr durchgeführt wurde“. Leider sei das im Vorjahr „vereinzelt in Ausnahmefällen passiert“ und auch im TV-Beitrag zu sehen gewesen, räumt der Verein ein.

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Geht es nach den Borkumer Jungens, ist auch das auf ein Minimum beschränkte und vereinzelte Prügeln künftig passé. In dem Statement heißt es wörtlich: „Der Verein wird den Brauch des ,Schlagens‘ vollständig abschaffen. Wir als Gemeinschaft haben uns klar dazu entschieden, diesen Aspekt der Tradition hinter uns zu lassen und den Fokus weiter auf das zu legen, was das Fest wirklich ausmacht: den Zusammenhalt der Insulanerinnen und Insulaner.“