Hamburg. In den 60er-Jahren hat Winking den Kahlschlag in der City mit verhindert. Über die zentrale Rolle der Kunsthochschule HfbK.

Was wäre, wenn? Es ist ein spannendes Gedankenspiel, wie Hamburg heute aussähe, wenn manche Idee verwirklicht, manches Liebgewonnene hingegen weggerissen worden wäre. Pläne für eine ganz andere Stadt gab es viele, die technokratischen Entwürfe könnten ganze Bücher füllen. Zugleich gibt es Zeitgenossen, die dazu beigetragen haben, dass manches nicht entstanden ist, anderes gerettet oder behutsam weiterentwickelt wurde. Einer dieser Architekten eines sanften Wandels ist Bernhard Winking.

Seit 1965 arbeitet der heute 88-Jährige als Architekt in der Hansestadt – und hält unter seinen rund 120 realisierten Bauten im In- und Ausland die Fleetachse von der Binnenalster bis zur Elbe für eines seiner wichtigsten Werke. Mitte der 60er-Jahre verfolgten die Planer das Ideal der autogerechten Stadt; im Herzen Hamburgs sollte eine Autobahn entstehen mit einem dritten Elbtunnel am Baumwall, das Herrengrabenfleet sollte zugeschüttet, die Finanzbehörde von Fritz Schumacher am Gänsemarkt gar abgerissen werden.

Damals wurde der Staatsrat Diether Haas auf den jungen talentierten Studenten Winking aufmerksam, der an einer Diplomarbeit über die Fleetachse arbeitete. „Als Nichthamburger habe ich damals die Schwächen der Stadt gesehen: Die Alster und die Elbe, diese beiden wunderbaren Gewässer, waren nicht richtig verbunden“, erinnert er sich im Podcast „Was wird aus Hamburg“. Dem gebürtigen Osnabrücker schwebte an dieser Achse etwas ganz anderes vor als den Planern der Baubehörde: ein Theater, ein Hotel, Bürogebäude und viel Wohnungsbau.

Bernhard Winking: Architekt eines sanften Wandels

Winking bekam einen Termin beim Staatsrat: „Haas war ein sehr guter Zuhörer. Er steckte sich die Zigarre an und hörte einfach zu. Und dann hat er gefragt: ‚Und wie lange haben Sie darüber nachgedacht?‘ Ich sagte, drei Monate. ‚So lange hat noch keiner drüber nachgedacht‘, antwortete Haas. ‚Dann muss es gut sein.‘“ Der Bebauungsplan basierte dann auf Winkings Diplomarbeit. Nur eine Idee wurde nicht umgesetzt – er hatte die Überbauung der Ost-West-Straße erdacht. „Letzten Endes war die Zeit noch nicht reif. Die Brücke hat es leider nicht gegeben. Trotzdem ist die ganze Fleetachse entstanden, und nach wie vor ist sie für mich sehr, sehr wichtig. Hoffentlich darf ich noch erleben, dass wir irgendwann für die Ost-West Straße eine Lösung finden.“

Schon damals fremdelte er mit den vorherrschenden Ideen dieser Zeit. „Ich habe bei Prof. Werner Hebebrand Städtebau studiert. Damals regierte die Vorstellung, dass in jedem Teil der Stadt ähnliche Bedingungen gelten. Dieser Ansicht war ich nie.“ Winking glaubte an Unterschiede zwischen Vororten und innerstädtischen Situationen.

Vor seinem Ingenieurstudium für Hochbau in Münster hatte er 1952 eine Maurerlehre in Schüttorf absolviert, eine Ausbildung, die ihm auch im späteren Berufsleben als Architekt half. „Ich habe nicht nur zweieinhalb Jahre eine Maurerlehre gemacht, sondern noch anderthalb Jahre als Geselle angehängt, um das Geld fürs Studium zusammenzubekommen“, erzählt er. „Ich habe bei einer kleinen Firma gelernt, in der man alles machen musste, Verputzen, Mauern, Fliesenlegen.“ Auf diese Ausbildung ist Winking bis heute stolz: „Man muss tief in die Materie eindringen. Ich habe als Architekt selbst beispielsweise in der Jarrestadt mit dem Polier auf den Knien gelegen, um den Ziegelverband richtig hinzubekommen. Das kann man nicht, wenn man nur drei Monate ein Praktikum gemacht hat.“

„Das war eine wilde Zeit“

Nachdem er bei Prof. Gerhard Graubner an dem Technischen Rathaus und der Domsingschule zwischen Aachener Karlsdom und mittelalterlichem Rathaus gearbeitet hatte, wechselte er 1961 auf Anraten von Graubner nach Hamburg an die Hochschule für bildende Künste (HfbK). Er wurde Assistent von Godber Nissen, einem Meister der Nachkriegsmoderne. Später musste er dessen Lehrveranstaltungen übernehmen, nachdem Nissen schwer verunglückt war. „Das war eine wilde Zeit“, erinnert sich der heute 88-Jährige. „Damals wurden die Lehrveranstaltungen über den Haufen geworfen, es wurde nicht mehr gezeichnet, es wurde über den Sinn des Lebens diskutiert.“ An der Hochschule debattierte er mit seinen Studenten über die neuen Zeiten, beim international beachteten Großprojekt Neue Stadt Wulfen, einer modernen „Zechensiedlung“ in Dorsten, setzte er Theorie in Praxis um. „Ich war damals Vorsitzender der Prüfungskommission, habe die dicken schwarzen Bücher der Studenten nach Wulfen mitgenommen und auf der Rückfahrt gelesen. Da habe ich irgendwann den Studenten gesagt: Sie müssen mir nicht mehr den Mehrwert erklären – kommen sie auf das Wesentliche.“

Der Träger des Fritz-Schumacher-Preises fühlt sich dem 1997 verstorbenen Godber Nissen und dessen Werk bis heute verbunden. Dass einer der berühmtesten Nissen-Bauten in Hamburg, das ehemalige Commerzbank-Hochhaus Ecke Große Reichenstraße / Domstraße, nun fallen soll, ärgert Winking. Das zwölfgeschossige Hochhaus steht zwar unter Denkmalschutz, lässt sich aber kaum wirtschaftlich sanieren und soll abgerissen werden. Winking vermutet andere Gründe: „Ich glaube einfach, dass es nicht mehr richtig in die Zeit gepasst hat.“

Dabei hat sein Büro Winking Froh Architekten gezeigt, wie aus alter Bausubstanz etwas Neues entstehen kann. Zwischen 1966 und 1969 baute Werner Kallmorgen das IBM- und das „Spiegel“-Hochhaus als optischen Endpunkt des fließenden Raumes der Ost-West-Straße. Das Ensemble war Ausdruck eines neuen städtebaulichen Selbstbewusstseins, aber zuletzt in die Jahre gekommen. Winking baute das „Spiegel“-Hochhaus und das IBM-Hochhaus bis auf den Rohbau zurück und gab ihnen neben einer neuen, denkmalgerechten Fassade einen neuen Innenausbau. „Es ist so schön, wie es vorher nie war“, sagt Winking. Das Ensemble haben die Architekten um drei neue achtgeschossige Bauten „aus einem Guss“ ergänzt. Auf der „Spiegel“-Insel sei ein ganz neues Quartier entstanden. „Wenn Sie da heute durchgehen, ist der Stadtraum sehr dicht und sehr spannend. Es ist eine neue Qualität entstanden – und die alten Häuser sind erhalten geblieben, was uns sehr wichtig war.“

Winking rät zu einem besonnenen Umgang mit dem Erbe

Ähnliches gilt für das Hochhaus an der Straße Esplanade, das sein Büro entworfen hat. Das langjährige Vorstandsmitglied des BDA Hamburg ergänzte hier die beiden prägenden Hochhäuser, die Helmut Hentrich und Hubert Petschnigg 1959 und 1966 errichtet hatten, um einen dritten Bau. „Dort waren immer drei Hochhäuser geplant. Das BAT Hochhaus und das Finnlandhaus sind Ikonen ihrer Zeit, aber sie standen zu weit auseinander. Die kann man nicht einfach abräumen, sondern muss sie erhalten. Mit dem dritten Hochhaus haben sie eine Schwester bekommen, eine wunderbare Baugruppe aus den 50er-Jahren mit einer Zutat aus dem Jahr 2015.“

Winking rät zu einem besonnenen Umgang mit dem Erbe: „Jede Zeit hat wunderbare Häuser. Die Stadt besteht aus diesen einzelnen Epochen.“ Er verweist auf das Hochhaus von Hamburg Süd, das Cäsar Pinnau entworfen hat. „Das ist eine wunderbare klassische Übertragung aus Amerika. Die Ost-West-Straße sollte ja mal eine Folge von Plätzen werden.“ Man müsse die Gebäude aus ihrer Zeit heraus sehen und verstehen. „Die Vergangenheit ist etwas, das man als Architekt auf jeden Fall kennen sollte. Das ist auch unser Leitbild – wissen, was vorher gewesen ist. Und dann können wir in die Zukunft schauen und etwas Neues machen.“ Winking, der 1982 in die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung berufen wurde, vermisst diese Sensibilität mitunter in seiner Zunft: „Leider gibt es Kollegen, die etwas Wildes bauen und sich nicht darum kümmern, was links und rechts steht.“

Jüngst prämiert wurde sein Atelierhaus der Hochschule für bildende Künste Hamburg – als „Glücksfall“ gelobt, ergänzt und erweitert es den alten Schumacher-Bau am Lerchenfeld. Winking verbindet damit auch einen Wunsch. „Ich habe in dem Haus studiert, ich habe dort gelehrt. Und ich würde mir wünschen, dass wir hier wieder eine Architekturausbildung bekommen. Eine Kunsthochschule ohne Architekten, das ist doch nichts.“ An der HfbK haben Größen des Faches gelehrt wie Werner Hebebrand, Godber Nissen, Fritz Trautwein, Paul Schneider-Esleben oder Jacob Berend Bakema. „Es gibt einen Zug von Architekten, die an Kunsthochschulen studiert und gearbeitet haben. Die sind ein bisschen anders, und ich glaube, das sollten wir heute wieder pflegen.“

3800 neue Quadratmeter haben die  Studierenden zur Verfügung.
Das Ateliehaus: 3800 neue Quadratmeter haben die Studierenden zur Verfügung. © Roland Magunia / Hamburger Abendblatt | Unbekannt

Winking lobt die HafenCity

Am Ende lobt Winking, der seit 58 Jahren in Hamburg als Architekt selbstständig ist und noch immer jeden Tag arbeitet, ein Projekt seiner Heimatstadt: die HafenCity. Jedes Mal, wenn er im Ausland war – unter anderem hatte er eine Gastprofessur in China – lobte er dort die Stadterweiterung am Fluss. „Das ist die beste Stadterweiterung, die ich kenne.“ Die Körnung sei sehr gelungen, die Öffnung mit kleinen Plätzen und mit Parks funktioniere gut.

 „Hamburg ist in den sechs Jahrzehnten, die ich in der Stadt lebe, schöner geworden“, sagt Winking und verweist auf die vielen Verbesserungen wie die Perlenkette von Egbert Kossak, das Wirken seines Nachfolgers Jörn Walter und von Franz-Josef Hoeing. „Die Oberbaudirektoren spielen eine wichtige Rolle – und eine gute.“ Derzeit arbeitet sein Büro an der Weiterentwicklung des Alten Walls. „Die Innenstadt kann wieder sehr gut und sehr neu werden.“

Und noch etwas gefällt dem 88-Jährigen an seiner Wahlheimat: „Hamburg hat sehr gute Architekten: Die Stadt exportiert Architektur mit ihren bedeutenden Architekturbüros. Wir tragen das, was wir hier gemacht haben, in die Welt.“

Die fünf Fragen

  • Meine Lieblingsstadt ist Hamburg geworden. Es gab damals, als ich aus der Grafschaft Bentheim wegzog, drei Städte, in die ich wollte: Berlin, München oder Hamburg. Am Ende ist es Hamburg geworden: Ich musste noch entwerfen lernen. Und da hat mir mein Mentor Günther Vaupel die HfbK in Hamburg empfohlen. Das habe ich gemacht – und nie bereut. 
  • Mein Lieblingsstadtteil ist die Jarrestadt. Dieses Viertel von Karl Schneider und Fritz Schumacher funktioniert wunderbar, und ich bin stolz, dass ich die Jarrestadt um einen Baustein erweitern durfte. Die Wohnhöfe am Osterbekkanal sind noch immer eines meiner Lieblingsprojekte. Das neue Pergolenviertel mag ich auch sehr gern: Es ist ein Rückgriff auf die Fritz-Schumacher-Zeit und sehr mutig; wir trauen uns wieder, große Komplexe zu bauen. 
  • Mein Lieblingsgebäude in Hamburg steht in der Jarrestadt, ist von Karl Schneider und bildet den zentralen Hof mit innenliegendem Park. Karl Schneider war ein bedeutender Architekt, der emigrieren musste. In Erfurt planen wir gerade nach gewonnenem Wettbewerb ein großes Wohngebiet neben einem großen Gebäude ebenfalls von Karl Schneider, das macht mich stolz.
  •  Mein Lieblingsort ist der Gerhart-Hauptmann-Platz. Ich mag diese Wellen von Hinnerk Wehberg. Das ist nach wie vor ein sehr intimer und sehr schöner Platz, auch wenn die Bäume nun etwas hochgewachsen sind. Mich treibt die Sorge um, dass bei der geplanten Neugestaltung nicht mehr viel von Wehbergs Ideen übrig bleibt. 
  • Einmal mit der Abrissbirne … Diese Frage ist schwer zu beantworten. Ich bin stolz darauf, dass von meinen Häusern noch keins abgerissen worden ist. Nur die Zerstörung der wunderbaren Buchhandlung Sautter + Lackmann in der Admiralitätstraße schmerzt: Wir hatten damals die Inneneinrichtung mit versetzten Ebenen entworfen und sind vorher mit dem Ehepaar Sauter durch die Republik gereist, um uns Buchhandlungen anzuschauen. Sautter + Lackmann war für mich die beste Buchhandlung für Architektur und Kunst nördlich des Mains. Ich bin sehr traurig, dass es sie nicht mehr gibt.