Hamburg. Gehaltsforderungen versus Finanzlage der Krankenhäuser: Der Tarifstreit wird rauer. Ein prominenter UKE-Arzt warnt vor den Folgen.
Mit Trillerpfeifen und Plakataufschriften wie „Gute Arbeit – gutes Geld“ und „Überfordert – unterbezahlt“ sind in Hamburg am Dienstag rund 2000 Ärztinnen und Ärzte zahlreicher Krankenhäuser von der Asklepios Klinik St. Georg zum Gänsemarkt gezogen, wo ihre Abschlusskundgebung stattfand.
Aber nicht nur in Hamburg, sondern in mehreren Bundesländern sind Tausende Ärzte für eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gegangen. Sie folgten damit dem Warnstreik-Aufruf des Marburger Bundes.
Hamburger Ärztestreik: Weitere Aktionen angekündigt
Derzeit laufen die Verhandlungen zwischen der Ärztegewerkschaft und den Arbeitgeberverbänden. Der Marburger Bund fordert für Klinik-Ärzte einen Inflationsausgleich für die Zeit seit der jüngsten Entgelterhöhung im Herbst 2021 sowie zusätzlich eine Gehaltsanhebung um 2,5 Prozent. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) kritisierte die Streikaktionen. Für den 30. März hat die Gewerkschaft weitere ganztägige Warnstreiks in anderen Bundesländern angekündigt.
Urban Sieberts, der Geschäftsführer der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg e.V. (AVH) hält die Forderungen für nicht angemessen. „Der Marburger Bund fordert einen vollen Ausgleich der Inflation plus weitere 2,5 Prozent. Das halten wir für überzogen. Denn Inflation wird in dieser Art nicht von Dauer sein.“ Daraus aber eine dauerhafte Gehaltserhöhung abzuleiten zu wollen, sei nicht nachvollziehbar. „Außerdem muss man die Entlastungspakete berücksichtigen, die die Inflationswirkung verringern.“
UKE-Herzchirurg Reichenspurner: Konsequenzen für Patienten
Klar ist: Der Streik von Ärzten und Pflegekräften belastet das ohnehin angespannte Personal der Krankenhäuser zusätzlich. Die Lage auf den „normalen“ bis hin zu den Intensivstationen wird angesichts des Pflegekräftemangels als „kritisch“ eingestuft. Nach den arbeitsintensiven Corona-Jahren und der Notlage rund um den Jahreswechsel, als eine Welle von Grippe-Infektionen und RS-Viren auch in die Kliniken schwappte, wird umso deutlicher, dass die Pflegekrise auch mittel- und langfristig Auswirkungen auf die Patientinnen und Patienten haben dürfte.
Der UKE-Herzspezialist Prof. Hermann Reichenspurner hatte bereits im Oktober im Abendblatt darauf hingewiesen, dass 30 bis 40 Prozent der Intensivbetten in Deutschland aufgrund fehlender Pflegekräfte gesperrt seien. Nun appelliert Reichenspurner an beide Tarifparteien: „Einigt euch!“ Im Gespräch mit dem Abendblatt zeigte er Verständnis für die Forderungen von Ver.di (für die Pflegekräfte) und Marburger Bund (für Ärztinnen und Ärzte). Die seien auch in der Höhe unter anderem wegen der Inflation berechtigt. „Doch ich appelliere an beide Seiten in dieser Tarifauseinandersetzung, dass es eine schnellstmögliche Einigung gibt. Die Konsequenzen für die Patientinnen und Patienten sind sonst dramatisch.“
Ärztestreik Hamburg: Operationen verschoben
Zwar würden „elektive Operationen“ während der Streikaktionen verschoben. Und ein zwischen den Tarifparteien vereinbarter Notdienst sichert Notfälle ab. Reichenspurner sagte jedoch: „Man kann auch angeblich nicht so dringende Eingriffe nicht permanent neu terminieren. Wenn eine Bypass-Operation an den Herzkranzgefäßen immer wieder verschoben wird, besteht möglicherweise die Gefahr eines Herzinfarktes. Das kann man einem Patienten nicht zumuten.“ Der renommierte Operateur sagte, es müssten zum Teil in Krankenhäusern bereits aufgenommene OP-Kandidaten wieder entlassen werden, weil Personal fehle.
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Auch Asklepios-Vorstandschef Kai Hankeln warnte vor Folgen für die Kranken: „Ver.di nutzt die arbeitsrechtlichen Lücken für einen Wild-West-Arbeitskampf zu Lasten der Patienten, um mit dem PR-Spektakel neue Mitglieder zu werben.“
Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass Patienten Untersuchungen und Behandlungen aus Furcht vor einer Infektion mit dem Virus verschoben hätten. Das habe „gefährliche Befundverschlechterungen und verheerende Folgen“ für ihre Gesundheit gehabt.
Asklepios-CEO Hankeln warnt vor Folgen für Patienten
Hankeln sagte: „Jetzt erzwingt Ver.di das Gleiche für eine reine Machtdemonstration.“ Im vergangenen Jahr habe das Universitätsklinikum Bonn vor diesem Hintergrund eine einstweilige Verfügung gegen Streiks erwirkt. „Hier ist der Gesetzgeber gefordert und muss durch Regelungen, wie sie in Europa sonst gelten, den Missbrauch des Streikrechts für solche Machtdemonstrationen eindämmen“, sagte Hankeln.
Dennoch: Viele Hamburger Ärztinnen und Ärzte sehen den Streik als notwendig an. Eine von ihnen ist die Hamburger Ärztin Jara Pascale Schlichting. Die 33-Jährige ist Ärztin für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie in der Asklepios Klinik St. Georg. Als Mitglied der Verhandlungskommission des Marburger Bundes nimmt sie direkt an den aktuellen Verhandlungen teil. „Wir haben bislang kein Gegenangebot bekommen. Das können wir so nicht hinnehmen.“
Zu der Kritik, dass das Patientenwohl durch Streiks gefährdet sei, sagt sie: „Wir haben bei uns eine Personaldecke sichergestellt, wie sie auch am Wochenende üblich ist. Wenn das von den Arbeitgebern als gefährdend eingestuft wird, sollten sie vielleicht mal überlegen, ob die Arbeitsbedingungen generell nicht stimmen..“