Hamburg. Gerade lobte sich Jens Kerstan für das knappe Erreichen des Klimaziels 2020. Nun kommt heraus, auf welch dubiose Weise das geschah.
Ein bisschen stolz gab sich der grüne Umweltsenator Jens Kerstan schon, als er Anfang November im Rathaus den Zwischenbericht zum Hamburger Klimaschutz vorlegte. Zwar kam das Papier zehn Monate zu spät – und Kerstan musste einräumen, dass man bei Dachbegrünung, Aufforstung, Solardächern und anderen Maßnahmen noch nicht im Soll liege.
Aber immerhin, so betonte der Senator, das eigene Ziel beim Klimaschutz habe der Senat erreicht: Zwischen 2012 und 2020 seien wie versprochen zwei Millionen Tonnen CO2 in Hamburg eingespart worden. Von exakt 2.051.567 Tonnen ist im Zwischenbericht die Rede.
Klimabilanz: CO-Ausstoß 2020 durch Pandemie zurückgegangen
Was der grüne Umweltsenator nicht besonders herausstellte: Dass das nach heutigen Maßstäben wenig ambitionierte Ziel so denkbar knapp erreicht wurde, hatte wohl viel damit zu tun, dass der CO2-Ausstoß 2020 durch die Corona-Pandemie drastisch zurückgegangen war. Was Kerstan lieber gar nicht erwähnte: Um das Ziel gerade noch zu erreichen, hat Hamburg CO2-Zertifikate gekauft, die u. a. vom Anbieter Atmosfair stammen, bei dem man etwa auch den CO2-Ausstoß eigener Flugreisen per Spende kompensieren kann.
Im erst Tage nach Kerstans Pressekonferenz veröffentlichten Zwischenbericht ist der Zertifikatekauf nur verschämt in den Anlagen aufgeführt. Demnach hat sich Hamburg in den Jahren 2018–2020 eine CO2-Einsparung von 75.000 Tonnen für die eigene Bilanz beim Kompensationshändler gekauft – für insgesamt 999.750 Euro.
Neue Öfen in Nigeria statt CO2-Einsparungen in Hamburg
Mithilfe des Geldes sollen in Nigeria Holzöfen modernisiert worden und so CO2 eingespart worden sein. Statt in diesem Umfang in Hamburg CO2 einzusparen, hat man also angeblich Klimaschutz in Nigeria bezahlt – weil das einfacher und billiger ist. Fest steht: Ohne diese mit Steuergeld gekauften Zertifikate hätte die Stadt ihre Klimaziele nicht erreicht.
„Es ist absurd, dass Rot-Grün sich mit solchen Mitteln die Klimabilanz schönrechnet“, sagte CDU-Umweltpolitiker Sandro Kappe dem Abendblatt. „Nach dieser Logik müssten wir in Hamburg ja gar keine teuren Maßnahmen mehr ergreifen und könnten das mit dem Klimaschutz lassen. Denn es ist ja schließlich billiger, CO2 in Afrika einzusparen.“
Massive Kritik von CDU und Klimabeirat an Kerstans Zwischenbericht
Dass dem Senat das eigene Vorgehen wohl selbst nicht ganz koscher vorkommt, lässt sich aus seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Kappe schließen. Dort heißt es: „Da sich das aktuelle CO2-Reduktionsziel auf die Verursacherbilanz und somit in erster Linie auf Maßnahmen in Hamburg bezieht und der Erwerb von Emissionszertifikaten keinen Einfluss auf die Hamburger Klimaziele hat, ist die Umsetzung weiterer Maßnahmen dieser Art derzeit nicht geplant.“
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Schon der Klimabeirat des Senates hatte den Zwischenbericht aus dem Hause Kerstan scharf kritisiert. Dieser sei voll von methodischen Schwächen, Zahlen seien zu alt, wichtige Gutachten nicht eingearbeitet, und der Senat habe es nicht einmal geschafft, seine eigenen 2019 festgelegten Maßnahmen so systematisch auszuwerten, dass man daraus genauere Schlüsse ziehen könne, so das Urteil. Die 15 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnten sogar: Auch wenn SPD und Grüne ihre Klimaziele für 2030 gerade noch einmal auf 70 Prozent CO2-Reduktion gegenüber 1990 verschärft haben, werde Hamburg womöglich nicht einmal das alte Ziel von 55 Prozent erreichen – es sei denn, es werde sofort und massiv beim Klimaschutz nachgeschärft.
In sieben Jahren jetzt soviel einsparen wie in 30 Jahren bis 2020
Welche Anstrengungen in den nächsten Jahren auf die Bürger zukommen, zeigen die Zahlen: In den 30 Jahren zwischen 1990 und 2020 wurde der CO2-Ausstoß insgesamt um 34,7 Prozent gesenkt. Nun muss wohl etwa die gleiche Reduktion in nur noch sieben Jahren erreicht werden –zumal der Ausstoß des Klimagases im zweiten Pandemiejahr 2021 erst einmal wieder angestiegen sein dürfte.
Am Donnerstagabend befasste sich auch der Umweltausschuss der Bürgerschaft mit Kerstans Klimabilanz. Nach Aussagen von Teilnehmern konnten Kerstan und seine Mitarbeiter dabei nicht alle Fragen beantworten. Der Senat habe eingeräumt, dass die vorgelegten Zahlen oft nur geschätzt seien – von jeder Behörde für eigene Maßnahmen, so CDU-Umweltpolitiker Kappe. Die Umweltbehörde fasse die Zahlen dann in einer Excel-Tabelle zusammen.
Klimabilanz: „Der Bericht ist das Papier nicht wert, auf dem er steht“
Zudem sei die Systematik nicht immer nachvollziehbar, oft fehlten die Zuordnungen und für bereits abgeschlossene Maßnahmen würden auch weiterhin Einsparungen aufgeführt. „Wer immer noch keine einheitliche Methodik nutzt, keine schlüssigen Gesamtzahlen liefert und nicht mal für alle Maßnahmen Nummerierungen vergeben hat, will die Öffentlichkeit für dumm verkaufen“, so Kappes Fazit. „Das ist dilettantisch. Der vom Umweltsenator mitgebrachte ausgedruckte Zwischenbericht ist das Papier nicht wert, auf dem er steht.“
Kerstan gab sich auf Abendblatt-Nachfrage am Freitag selbstkritisch. Mit dem Bericht leiste Hamburg bundesweit „echte Pionierarbeit für das Klima“, sagte Kerstan. Die aber stecke „natürlich noch an der ein oder anderen Stelle in den Kinderschuhen – etwa im Bereich der eigens dafür entwickelten Datenerhebung oder der Systematik für das Monitoring“. Man werde diese Arbeit „jetzt intensiv diskutieren und kontinuierlich weiterentwickeln“.