Hamburg. Das Israelitische Krankenhaus macht sich die neuste Technik zunutze. Das Abendblatt hat dem Neuzugang über die Schulter geguckt.

Jeder kennt wohl das Gefühl, bei bestimmten Tätigkeiten mindestens einen Arm zu wenig zu haben. Am Israelitischen Krankenhaus schafft jetzt „da Vinci Xi“ Abhilfe – zumindest in einem der Operationssäle des auf Erkrankungen des Verdauungstraktes spezialisierten Klinikums. Dort sorgt der OP-Roboter der neuesten Generation für höchste Präzision bei onkologischen Operationen.

Gerade hält „da Vinci“ in seinen vier Armen Werkzeuge, die kaum größer sind als ein halbes Gummibärchen: eine Pinzette (Arm 1), eine 3-D-Kamera mit Scheinwerfer (Arm 2), eine Schere (Arm 3) und eine Greifzange (Arm 4). Der Operateur Professor Dr. Jan-Hendrik Egberts, international anerkannter Spezialist der Robotik-Chirurgie und ebenso neu am Klinikum wie „da Vinci“, kann dank seines technischen Assistenten doppelt so viel gleichzeitig tun wie ohne ihn. Und das, ohne selbst am Operationstisch zu stehen.

„Da Vinci“ wird von Hamburger Chirurg gelenkt

Dort liegt Patient Andreas G. unter grünen Tüchern in Kopftieflage (so rutschen die Eingeweide Richtung Kopf, und der Druck wird vom Darm genommen). Von dem 66-Jährigen ist nur der Bauch zu erkennen. Darin stecken die vier schlanken Unterarme des Roboters. Das sieht auf den ersten Blick martialisch aus.

Hier kommt Hightech fast geräuschlos zum Einsatz: Operation mit dem Roboter-Chirurgiesystem „da Vinci Xi“ an einem Darmtumor.
Hier kommt Hightech fast geräuschlos zum Einsatz: Operation mit dem Roboter-Chirurgiesystem „da Vinci Xi“ an einem Darmtumor. © Funke Foto Services | Roland Magunia

Aber das wäre der Anblick der sonst notwendigen rund 25 Zentimeter langen OP-Wunde auch. Und diese würde viel mehr Zeit zum Heilen benötigen. Etwa 30 Zentimeter von G.s Darm müssen raus, anschließend muss das Organ wieder zusammengenäht werden. Anders als ein echter Roboter führt „da Vinci“ dabei keine programmierte Aktionen aus. Er wird, ähnlich wie bei einem Videospiel, von Chirurg Egberts gelenkt.

Chirurg sitzt an Konsole

Der 47-Jährige sitzt knapp zwei Meter vom Fußende des Operationstisches entfernt an einer Konsole. Sie ist mit einem Bildschirm ausgestattet, auf dem er in zehnfacher Vergrößerung sieht, woran er gerade arbeitet. Daumen und Mittelfinger stecken in Kunststoffringen an den beiden „Joysticks“, mit denen Egberts die Roboterarme in Echtzeit lenkt.

Operateur Professor Jan-Hendrik Egberts steuert den Roboter.
Operateur Professor Jan-Hendrik Egberts steuert den Roboter. © Funke Foto Services | Roland Magunia

Sowohl durch Fingerdruck als auch durch Bewegungen seiner Handgelenke kann er die Instrumente in jede gewünschte Position bringen – weitaus genauer und ruhiger, als es einem menschlichen Operateur möglich wäre. Eine zweite Konsole neben Egberts dient Ausbildungszwecken. Wer dort sitzt, kann „da Vinci Xi“ ebenfalls lenken. Wie ein Fahrlehrer im Schulungsauto kann Egberts aber jederzeit eingreifen und wieder die Kontrolle übernehmen.

Monitor überträgt Blick in den Bauchraum

Ein großer Monitor neben dem Operationstisch überträgt den Blick in den Bauchraum und das Voranschreiten der Operation für das gesamte Team. Ebenfalls vergrößert und in 3-D kann jeder sehen, wie sich die Roboterarme in Richtung Darm vorarbeiten – vorbei an Milz, Nebenniere und Dünndarm. Manchmal muss Gewebe zerschnitten werden: weißes Fett, dünne Häutchen oder spinnenwebartige Fasern. Wenn Blutgefäße mit Hitze verödet werden, taucht ein Rauchwölkchen auf.

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Bei jeder durchgeführten Aktion ertöne ein Signalton, und eines der vier Felder am Rande des Monitors (eines für jeden Arm) leuchtet auf. „Da Vinci“ dagegen bewegt sich völlig geräuschlos – nicht mal ein Sirren ist zu hören, wenn er seine mit Schutzhüllen überzogenen Arme anwinkelt oder dreht. Immer wieder gibt Egberts knappe Anweisungen – bittet den Chirurgen am OP-Tisch darum, den Dünndarm wegzuhalten oder das Gewebe unter Spannung zu halten, damit es besser zerschnitten werden kann.

Egberts soll Digitalisierung in der Chirurgie voranbringen

„Roboterassistiert zu operieren ist eine völlig andere Art zu arbeiten. Man steht nicht mit dem Team am Operationstisch, hat keinen Blickkontakt und kann sich nicht zunicken oder anders nonverbal verständigen. Man kann nur reden“, sagt Egberts, der bislang stellvertretender Direktor der Chirurgischen Klinik im Universitätsklinikum Kiel war.

Anfang April wechselte er ans Israelitische Krankenhaus – und ist damit ebenso lange dort wie „da Vinci“. Gemeinsam mit dem rund zwei Millionen Euro teuren Roboter soll Egberts an seinem neuen Arbeitsplatz die Digitalisierung in der Chirurgie etablieren. Dafür eingesetzt hatte sich Professor Dr. Carsten Zornig, der seit 1998 Chefarzt der Chirurgischen Klinik ist und dessen Nachfolge Egberts Anfang August antritt.

Schon 1700 Operationen in Brust- und Bauchraum

In den vergangenen zwölf Jahren hat der Chirurg aus Kiel rund 1700 roboter-assistierte Operationen durchgeführt – im Brustraum bei Lungenkrebs, im Bauchraum an Verdauungsorganen. Die Operation von Andreas G. ist seine achte am Israelitischen Krankenhaus. Am Vortag der Operation danach befragt, ob es ihn beunruhige, mithilfe eines Roboters operiert zu werden, hatte G. vehement verneint.

Reporterin Friederike Ulrich beobachtete die Robo-OP für das Abendblatt.
Reporterin Friederike Ulrich beobachtete die Robo-OP für das Abendblatt. © Roland Magunia/Funke Foto Services | Roland Magunia

„Im Gegenteil. Ich habe einmal vor einiger Zeit einen NDR-Bericht aus Kiel über die ,da-Vinci-Methode‘ gesehen und fand das sehr interessant“, so der Industriekaufmann. „Schließlich wird durch den minimalinvasiven Eingriff die OP-Wunde klein gehalten und die Heilung beschleunigt.“

Schnelle Genesung durch Roboter-Assistenz

Wie schnell er nach der knapp vierstündigen Operation aber auf den Beinen kam, hat ihn dann doch überrascht. Nach dem Eingriff habe er nur einen Tag auf der Intensivstation verbracht, berichtet G. aufgeräumt am vierten Tag nach der OP. Ab Tag zwei habe er wieder rumlaufen und ab Tag drei auf Schmerzmittel verzichten können, sagt er. Und morgen, an Tag fünf, werde er schon entlassen.

Bis auf die vier kleinen Narben für die Roboterarme wird er keine weiteren Spuren der Operation davontragen. Zumindest keine neuen. Denn für die Entnahme des 30 Zentimeter langen „Präparats“, das aus dem betroffenen Darmstück sowie dem umliegenden, noch auf Metastasen zu untersuchenden Gewebe bestand und etwa acht Zentimeter dick war, öffnete Egberts G.s seit Jahren vorhandene Blinddarmnarbe.