Hamburg. Der langjährige Präsident der Universität Hamburg spricht mit Chefredakteur Lars Haider über die allgemeine Sicherheit. Was Lenzen rät.
"Wie jetzt?" heißt ein Podcast, in dem sich Lars Haider und Dieter Lenzen über Themen unterhalten, die Wissenschaft und Journalismus gleichermaßen bewegen. Heute geht es um die Frage, wie ein Staat und seine Menschen resilient gegen Bedrohungen werden können. Ein Thema, dass angesichts der russischen Angriffskriegs besonders aktuell ist.
Lars Haider Ich würde mit Ihnen, lieber Herr Lenzen, heute gern über einen Begriff sprechen, der in den vergangenen zwei Jahren Hochkonjunktur hatte und weiter hat. Es geht um Resilienz und die Frage, ob man nicht nur einzelne Menschen, sondern auch Staaten und Völker resilient machen kann – und wenn ja, wie?
Dieter Lenzen: Wenn wir über Resilienz sprechen, und wir in der Wissenschaft machen das schon seit vielen, vielen Jahren, dann geht es um die Frage, wie man es erreichen kann, dass Menschen, Staaten oder Institutionen gegen Stress gewappnet sind. Was wir im Augenblick erleben, ist ein Doppelstress, hier Corona, dort der Krieg. Beides betrifft sowohl Menschen als auch Institutionen wie etwa die Bundeswehr oder Krankenhäuser, und natürlich ganze Nationen. Wir müssen jetzt Mittel und Wege finden, wie wir diese Krisen nicht nur bewältigen, sondern uns auch abhärten, um künftig ähnliche Situationen besser zu bestehen. Darüber ist spätestens nach der Wende und dem vermeintlichen Ende des Kalten Krieges nicht mehr produktiv nachgedacht worden. Ich erinnere nur daran, dass der Zivilschutz in Deutschland kein Thema mehr war, dass Luftschutzsirenen und Bunker abgebaut oder geschlossen wurden. Auch das systematische Anlegen von Essensvorräten, das ich noch aus meiner Jugend kenne, spielte so gut wie keine Rolle mehr. Auf das und vieles mehr ist in den vergangenen 30 Jahren bei uns in der naiven Vorstellung verzichtet worden, dass nur noch der Frieden und das Gute in der Welt existieren.
Lenzen: Müssen schnell Resilienz aufbauen
Was eine Erkenntnis ist, die uns im Moment nicht hilft.
Das stimmt. Deshalb müssen wir in Windeseile Resilienz aufbauen, damit die Menschen nicht noch weiter in Depressionen abrutschen. Eigentlich brauchen wir so etwas wie eine kollektive Therapie der Bevölkerung, damit sie all das aushalten kann, womit sie konfrontiert wird. An dieses Thema müssen wir ran, gerade bei jüngeren Leuten. Denn wenn man in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts oder später geboren wurde, hat man nichts erlebt, was Resilienz erforderlich machte.
Wenn Resilienz eine Absicherung des Lebens gegen große Risiken ist, dann ist es erstaunlich, dass ausgerechnet die Deutschen, die sich sonst gegen alles absichern, die Sicherheits- und Außenpolitik vernachlässigt haben.
Grundsätzlich muss man natürlich sagen, dass es keinen endgültigen Schutz, keine Versicherung gegen Krieg und gegen Seuchen gibt, weder für einzelne Menschen noch für Nationen. Trotzdem muss man sich darauf vorbereiten, und zwar gründlich. Wenn man das unterlässt, kommt man an den Punkt, an dem wir jetzt sind. Im Grunde müssten wir uns jetzt mit der Resilienz gegen Versorgungsengpässe oder Cyberangriffe beschäftigen. Vielleicht müssen wir uns auch mit der Frage beschäftigen, auf was wir im Falle eines Falles verzichten könnten, mit wie viel Essen oder Energie wir auskommen könnten. Ich will nicht dramatisieren, aber es ist eben viel besser, sich auf solche Szenerien vorzubereiten als von ihnen überrascht zu werden. Das ist eine der Kernaufgaben des Staates.
Wie jeder einzelne mithelfen kann
Wobei man auch als Einzelner etwas für die gesellschaftliche Resilienz tun kann. Etwa, wenn man jetzt anfängt, sich Gedanken zu machen, wie man seinen Energiebedarf mit möglichst wenig Gas, Öl oder Kohle decken kann. Soll heißen: Zum Beispiel jetzt im eigenen Haus eine Wärmepumpe einbauen zu lassen, kann Bestandteil einer Resilienz-Strategie sein. Und ja, man kann auch Vorräte anlegen, was die Regierung übrigens seit Jahrzehnten empfiehlt.
Es gibt eine Lagerliste für den Krisenfall, aber ich möchte mal wissen, wie viele Menschen die überhaupt kennen. Das müsste jetzt in Eile nachgeholt werden. Die Aktion Eichhörnchen, die es in den 60er-Jahren gab, war ein bisschen so etwas. Damals hat die Bundesregierung die Menschen aufgefordert, Vorräte anzulegen, es wurden entsprechende Broschüren in die Briefkästen geworfen. Es ging sogar so weit, dass man empfahl, beim Bau von neuen Häusern Schutzräume mit einzuplanen, das wurde sogar gefördert. Darüber kann man sich lustig machen, aber es ist sicher nicht gut, dass all diese Fragen heute überhaupt keine Rolle mehr spielen. Dafür braucht man doch einen Plan. Warum haben wir als Wählerinnen und Wähler in der Vergangenheit nicht darauf bestanden, dass die Politikerinnen und Politiker das machen?
Weil wir uns der Gefahr einer Pandemie oder eines Krieges in Europa nicht bewusst waren. Jetzt, wo beides eingetreten ist, stellt sich nicht nur die Frage, wie man einen Staat und eine Nation logistisch, sondern auch, wie man die Menschen psychologisch starkmacht.
Eine große psychologische Gesellschaft aus den USA hat dazu verschiedene Empfehlungen entwickelt. Da heißt es zum Beispiel: Vermeide es, Krisen für unüberwindbar zu halten! Vernetze dich mit den Nachbarn, damit ihr euch gegenseitig helfen könnt! Akzeptiere, dass Veränderungen zum Leben gehören! Verliere deine eigenen Ziele nicht aus den Augen, ganz egal, was passiert! Bleibe entscheidungsfreudig, warte nicht ab, sondern handle! Entwickele eine positive Selbstsicht, und denke immer daran: Es geht nicht alles schief, wir müssen nur etwas dafür tun! Ein weiterer Rat ist, die Dinge nüchtern zu betrachten. Das ist ein Ausschnitt aus einem Katalog, um Stress abzuwehren und resilient zu werden. Entscheidend ist, dass wir uns vorbereiten und dass wir gemeinsam gegen die Angst einschreiten, die gerade in einem Krieg mit der entsprechenden Rhetorik verbreitet wird.
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Sie haben gesagt, dass man die Hoffnung nicht verlieren darf und stark bleiben muss. Das fällt vielen Menschen nach zwei Jahren Pandemie, die nahtlos in einen Krieg in Europa übergeht, aber sehr schwer. Alle hatten doch gehofft, dass das Leben in diesem Frühjahr endlich wieder normal werden könnte, aber das wird es nicht, im Gegenteil. Es ist nicht leicht, optimistisch zu bleiben.
Das stimmt einerseits, andererseits kann ich Ihnen aus meinem langen Leben sagen, dass viele der Sorgen, die sich die Menschen gemacht haben, am Ende unberechtigt waren. Es ist auch vieles gut gegangen, und wir haben schwere Zeiten überwunden. Auch daran könnte man sich orientieren und sagen: Wenn wir stark sind, gemeinsam handeln und ein wenig Glück haben, werden wir das überstehen. Abwarten und Jammern helfen dagegen gar nicht.