Hamburg. Ein mysteriöser K.o. und wilde Spekulationen: Wie Abendblatt-Reporter Björn Jensen Wladimir Klitschko auf die Spur kam.
April 2004, ich war als Jungredakteur gerade ein paar Monate mit un-befristetem Arbeitsvertrag beim Abendblatt, schickte mich unser damaliger Sportchef Jan Haarmeyer an die Westküste der USA. Innerhalb von 14 Tagen sollten die Klitschko-Brüder Vitali und Wladimir um zwei vakante Weltmeistertitel im Schwergewicht boxen, Wladimir am 10. April in Las Vegas gegen Lamon Brewster (USA) um die Krone der WBO, Vitali am 24. April in Los Angeles gegen Corrie Sanders (Südafrika) um den Gürtel des WBC.
Was zum Triumphzug werden sollte, mündete schon in Las Vegas ins Chaos. Der Jüngere der Brüder brach unter bis heute ungeklärten Umständen deutlich in Führung liegend nach fünf Runden derart zusammen, dass er in ein Krankenhaus gebracht werden musste.
Klitschko: Spekulationen um einen K.o.
Die Spekulationen, die folgten, waren ungeheuerlich. Von K.-o.-Tropfen im Trinkwasser war die Rede, sogar ein irreparabler Gehirnschaden wurde kurzzeitig vermutet. Für Journalisten, die auf dem Höhepunkt des Box-Hypes in Deutschland die Millionen Fans mit Nachrichten versorgen durften, war das ein traumhaftes Spielfeld.
Naturgemäß waren die Klitschkos und ihr persönliches Umfeld über die Aufregung nicht allzu begeistert. Immerhin musste sich Vitali noch auf einen harten Kampf vorbereiten, und Wladimir, der nach einer Nacht unter Beobachtung das Krankenhaus bei gu-ter Gesundheit verlassen hatte, zog es vor, seine Sicht der Dinge für sich zu behalten. Erst am Sonnabend nach dem Schock war er bereit, dem ZDF als damaligem Exklusivpartner seines Hamburger Promoters Universum ein Interview zu geben. Aber auch nur dem ZDF.
Im Mietwagen den Klitschkos hinterherrasen
Dieses sollte in einem kleinen TV-Studio in Los Angeles, wohin der Klitschko-Tross inzwischen übergesiedelt war, als Liveschalte ins „Sportstudio“ stattfinden. Als Reporter, der einzig aus dem Grund nach Kalifornien geflogen war, um über Wohl und Wehe der Klitschko-Brüder zu berichten, war klar: Dieses Interview durfte ich nicht verpassen. Einen Livestream im Internet gab es damals nicht, so dass die einzige Möglichkeit, den Wortlaut des Interviews live mitzubekommen, darin bestand, in dieses TV-Studio zu gelangen.
Thomas Dierenga, der als Reporter für die „Bild“ denselben Auftrag hatte, dachte genauso. Das Problem: Wir wussten weder die genaue Zeit noch den Ort für das Gespräch. Aber wir hatten ein Mietauto. Blieb also nur, sich auf die Lauer zu legen und Wladimirs Abfahrt ins Studio abzupassen, um ihm zu folgen. Irgendwann fuhr tatsächlich ein schwarzer Geländewagen mit Klitschko auf dem Rücksitz vom Hotelgelände.
Es gab nur eine Chance
Wir wussten, dass wir nur diese eine Chance bekommen würden, also hieß es: dranbleiben. Was sich als gar nicht so einfach darstellte, denn mit Verfol-gungsfahrten schien der Fahrer des Geländewagens mehr Erfahrung zu haben als ich am Steuer des Mietwagens. Auch seine Ortskenntnis war eindeutig besser. So rasten wir eine gute halbe Stunde über die Highways von Los Angeles, inklusive eines Wendemanövers auf einer sechsspurigen Hauptverkehrsstraße. Ich bin ein schlechter Autofahrer; an dem Tag aber war ich froh, dass ich nicht auf dem Beifahrersitz sitzen musste.
Trotzdem kamen wir pünktlich auf dem Parkplatz des lokalen Fernsehsenders an. Wladimir, mit dem sich in den Jahren danach in seiner Zeit als unbestrittener Weltmeister eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelte, begrüßte uns kühl, die Kollegen vom ZDF dagegen freuten sich, uns zu sehen. In einem Nebenraum durften wir der Liveschalte lauschen. Besonders erhellend war das Interview nicht. Aber selten war die Anreise zu einem Interview aufregender.