Hamburg. Präsident Lenzen spricht von einer „Selbstvergewisserung“ der Hochschule. Der Fall Lucke sei nicht Auslöser für die elf Thesen gewesen.

Er war anderthalb Stunden lang niedergebrüllt worden, sodass er seine Vorlesung nicht halten konnte: Die Tumulte bei der Rückkehr des AfD-Mitgründers und Wirtschaftsprofessors Bernd Lucke an die Uni Hamburg sorgten im Oktober 2019 bundesweit für Schlagzeilen. Auch Luckes zweite Vorlesung war gestürmt worden; erst beim dritten Versuch konnte er ohne Störungen sprechen – dank Polizeischutz.

Dies sei der „schlimmste denkbare Fall“ für die Freiheit der Wissenschaft gewesen, sagte Unipräsident Dieter Lenzen am Mittwoch auf Nachfrage bei einer Pressekonferenz, wo er einen „Kodex Wissenschaftsfreiheit“ vorstellte. Es handele sich allerdings um „ein Beispiel von vielen“ für Versuche in Deutschland, der Wissenschaft ihr verfassungsmäßiges Recht auf die Freiheit der Forschung und der Lehre zu beschneiden oder streitig zu machen.

Lenzen zufolge waren weder der Fall Lucke noch die heftige Kritik an der „Studie“ des Physikers Roland Wiesendanger zum Ursprung des Coronavirus Auslöser für den Kodex.

Wie der Fall Lucke an der Uni Hamburg eskalierte

Zur Erinnerung: Hamburgs größte Hochschule stand im Fall Lucke auch in der Kritik wegen ihrer Kommunikation, zusammen mit der Wissenschaftsbehörde. So erklärten Dieter Lenzen und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) damals in einer ersten kurzen Pressemitteilung zwar, die Durchführung freier wissenschaftlicher Lehre gehöre „zu den grundgesetzlich garantierten Pflichten und Rechten jedes Hochschullehrers und jeder Hochschullehrerin“.

Das Verhalten der Demonstranten, die Lucke auch körperlich bedrängt hatten, kritisierten Lenzen und Fegebank allerdings nicht, sondern erklärten: „Unabhängig davon ist festzustellen, dass Universitäten als Orte der Wissenschaft die diskursive Auseinandersetzung auch über kontroverse gesellschaftliche Sachverhalte und Positionen führen und aushalten müssen – insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte.“ Die „Neue Zürcher Zeitung“ kommentierte, dies müsse für die Störer wie ein „Freifahrtschein“ gewirkt haben.

Nach der zweiten abgebrochenen Lucke-Vorlesung erklärte das Uni-Präsidium deutlicher, es verurteile die Störungen „aufs Schärfste“. Es sei „unter keinen Umständen hinzunehmen, dass die Freiheit von Forschung und Lehre in irgendeiner Form beeinträchtigt wird“.

Auch interessant

Auch interessant

Wie der Kodex der Uni Hamburg erarbeitet wurde

Uni-Chef Dieter Lenzen sagte am Mittwoch, Wissenschaft richte sich „nicht nach politischem, religiösem oder sonstigem Willen, sondern nur nach den eigenen Vorgaben“. Der „Kodex Wissenschaftsfreiheit“ solle eine „Selbstvergewisserung“ der Universität darstellen, „wie sie den ihr im Grundgesetz garantierten Freiheitsraum ausgestalten will und muss“.

Zudem sei der Kodex „ein Signal nach außen, dass die Universität diesen Freiraum für essenziell erachtet“. Obwohl im Grundgesetz verankert, müsse Wissenschaftsfreiheit „durch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und die Institutionen der Wissenschaft selbstbewusst gegenüber Beeinträchtigungen und Gefährdungen in Anspruch genommen werden“, sagte der Kommissionsvorsitzende Hans-Heinrich Trute.

Erarbeitet hat den Kodex (online unter: www.uni-hamburg.de) eine 14-köpfige Kommission aus verschiedenen Statusgruppen der Universität im Auftrag des Akademischen Senats und des Uni-Präsidiums. In elf Thesen geht es u. a. um den Freiraum der Wissenschaft, um die Grenzen der Wissenschafts­freiheit und um die Verantwortung von Forschenden für das eigene Handeln.

Zu These 8 („Schutz der Personen durch die Institution“) heißt es: „In Fällen, in denen die Betroffenen oder ihre Institutionen mit ernsthaften Beeinträchtigungen rechnen müssen, in Fällen von Ausgrenzung und Androhung persönlicher Nachteile, bedarf es der Solidarität ihrer Einrichtungen.“ All das sei allerdings nicht als Handlungsanweisung gedacht, sagte Uni-Chef Dieter Lenzen. Ob sich aus der „Selbstvergewisserung“ Handlungen ergeben, etwa Solidaritätsbekundungen mit Kollegen, hänge von den Uni-Mitgliedern ab.