Hamburg. Diana Knodel, Gründerin der Online-Fortbildungsplattform Fobizz, über die Zukunft des Unterrichts und alleingelassene Lehrkräfte.
Es gibt Menschen, die zum richtigen Zeitpunkt das richtige tun, ohne zu wissen, wie richtig das ist. Diana Knodel gehört dazu. Sie hat 2018 mit ihrem Mann Philipp und Theresa Grotendorst Fobizz gegründet, eine Online-Fortbildungsplattform für Lehrerinnen und Lehrer.
Zwei Jahre später kam Corona, und das Hamburger Unternehmen war von einem Tag auf den anderen für Zehntausende Pädagogen die Rettung.
Das sagt Diana Knodel über …
… den Namen und die Gründung ihrer Fortbildungsplattform:
„Wir haben einen Namen gesucht, in dem der Begriff Fortbildung in irgendeiner Form vorkommt. Unter Lehrerinnen und Lehrern sagt man Fobi für Fortbildung, das ist eine geläufige Abkürzung, und damit es gut klingt, kam noch die beiden Z daran. Meine Partner und ich waren schon seit vielen Jahren in der Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern zu digitalen Themen tätig und haben uns irgendwann gesagt, dass es doch nicht sein kann, dass wir acht Stunden von Hamburg nach Karlsruhe fahren, um dort drei Stunden zehn Lehrkräfte zu unterrichten.
Wir wollten einfach in viel kürzerer Zeit viel mehr Menschen erreichen, und weil es entsprechende Anfragen schon vor Corona gab, haben wir eine digitale Fortbildungsplattform entwickelt. Zudem fanden die Fortbildungen in den Branchen, aus denen wir kamen, vor allem in der Informatik, seit Jahren schon überwiegend online statt.“
… Lehrkräfte, die von anderen Lehrkräften lernen:
„Die ersten Fortbildungen haben wir noch selbst gemacht, mittlerweile werden die Fortbildungen von Lehrkräften für Lehrkräften erstellt, natürlich eng begleitet von uns und unseren inzwischen 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es gibt schon sehr viele Lehrkräfte, die tollen digitalen Unterricht machen. Denen wollen wir eine Plattform bieten, ihr Wissen zu teilen. Die Onlinekurse kann jeder zu jederzeit in seinem Tempo durcharbeiten.
Mittlerweile nutzen 200.000 von rund 800.000 Lehrerinnen und Lehrern unsere Plattform, was für mich ein eindeutiges Zeichen dafür ist, dass sich auch deutsche Lehrkräfte weiterbilden wollen. Es fehlten in der Vergangenheit nur die passenden Angebote. Und dann wurde oft Angst gemacht, so nach dem Motto: Das und das darfst du aber nicht einsetzen, denk an den Datenschutz! Mit diesen Ansagen wurden viele Lehrkräfte dann alleingelassen. Es ist schade, dass in Deutschland der Datenschutz oft wichtiger ist als vernünftiger, digitaler Unterricht.“
… die Frage, wer was bezahlt und wie viel:
„Die Verzweiflung der Lehrkräfte ist oftmals so groß, dass sie die Teilnahme an unseren Angeboten selbst zahlen, obwohl sie eigentlich kostenfreie Fortbildungen staatlicher Träger nutzen könnten. Das kostet zwischen neun und 49 Euro, je nach Kurs. Für 199 Euro im Jahr kann man alle Kurse nutzen. Unser Wunsch ist natürlich, dass die Lehrkräfte ihre Fortbildungen nicht selbst bezahlen müssen, sondern dass das die Schulen übernehmen. Entsprechende Lizenzen kosten zwischen 500 und 2500 Euro im Jahr.“
… die (positiven) Folgen der Corona-Pandemie:
„Zu Beginn der Pandemie ist bei uns das passiert, was sich jedes Start-up zumindest einmal wünscht: Das Interesse an unseren Kursen war so groß, dass die Server zusammengebrochen sind. Wir haben damals sogenannte Schilf-Tage, das sind schulinterne Fortbildungen, für jede Schule kostenlos angeboten. Am größten war das Interesse an dem Kurs „Das virtuelle Klassenzimmer“ von einem Lehrer aus Kiel, den innerhalb kürzester Zeit 30.000 Lehrkräfte gebucht haben.
Corona war definitiv für die digitale Bildung ein extremer Anschub und, wenn man so will, der Impuls, den wir in Deutschland dringend gebraucht haben. Wir hatten einen großen Rückstand auf viele andere Länder, die Ausstattung mit Laptops oder iPads war nicht gut genug, und selbst wenn eine Schule Geräte hatte, gab es oft niemanden, der sich um deren Einsatz und Wartung kümmern konnte.“
… das Interesse an digitalen Fortbildungen in den einzelnen Ländern:
„Nordrhein-Westfalen ist im Bereich der digitalen Fortbildungen sehr weit vorn, weil dort alle Schulen dafür ein zusätzliches Budget erhalten haben. Hamburg ist auch sehr gut, wobei wir hier mit unserer Firma einen Heimvorteil haben trotz fehlender Kooperation mit der Schulbehörde. Und in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen bekommen die Lehrkräfte die Kosten für die digitalen Fortbildungen von den Ländern erstattet.“
… die Zukunft des Unterrichts, der wegen des Lehrermangels immer öfter digital sein wird und muss:
„Man kann viele Dinge zu Hause lernen, deshalb hoffe ich sehr, dass sich zumindest in den älteren Klassenstufen hybride Unterrichtsmodelle durchsetzen werden. Die Schülerinnen und Schüler müssen nicht jeden Tag in die Schulen kommen, und künftig werden sie das auch gar nicht können, weil es einen riesengroßen Lehrermangel gibt. Allein deswegen müssen wir ganz viele Dinge infrage stellen: Brauchen wir noch Fächer? Sollten wir weiter in 45 Minuten dauernden Einheiten denken? Was ist mit internationaler Zusammenarbeit via Zoom oder anderen Videoplattformen?“
… die Arbeit bei Fobizz und Mitarbeiter, die man nur zweimal im Jahr sieht:
„Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind über Deutschland verteilt, viele Bundesländer sind vertreten. Wir arbeiten komplett in der Cloud, achten aber darauf, dass sich die einzelnen Teams regelmäßig an unserem Firmenstandort in Hamburg treffen, wo es auch zwei große Feiern im Jahr gibt, einmal im Sommer und einmal in der Weihnachtszeit. Nicht selten ist es so, dass wir als Gründer neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst bei einem dieser Feste persönlich kennenlernen, weil wir ausschließlich online einstellen.“
Fragebogen:
Was wollten Sie als Kind werden und warum?
Ich hatte tatsächlich nie einen bestimmten Traumberuf und mir als Kind wenig Gedanken über einen Beruf gemacht.
Was war der beste Rat Ihrer Eltern?
Dass ich mich trauen soll, etwas Technisches (Informatik) zu studieren, „weil du das kannst“. Ich hatte mich auch für Psychologie und Pädagogik interessiert. Am Ende ist Informatik mit Schwerpunkt pädagogische Psychologie daraus geworden, und das war für mich ein Volltreffer.
Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?
Ich habe nicht ein bestimmtes Vorbild, sondern lasse mich von verschiedenen Personen inspirieren. Als ich in der Wissenschaft war, war sicherlich meine Doktormutter Prof. Dr. Heidrun Stöger ein Vorbild für mich. Heute sind es andere Unternehmer und Unternehmerinnen.
Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?
So viel Feedback abseits der Noten gab es da nicht. Gelobt wurde ich nicht unbedingt für schulische Leistungen, sondern weil ich mich immer viel engagiert habe. Ich habe z. B. das Schullandheim in der 9. Klasse oder eine Skireise für die ganze Schule organisiert, weil das sonst nicht stattgefunden hätte.
Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie ausüben?
Ich habe ziemlich viel Bereiche kennengelernt und in der Wissenschaft, u. a. als Gastprofessorin an der TU Berlin, und in der freien Wirtschaft, z. B. bei XING, gearbeitet. Ich habe jeden Job gerne und mit Begeisterung gemacht, aber mein absoluter Traumberuf ist auf alle Fälle Unternehmerin. Mein erstes Unternehmen App Camps habe ich vor acht Jahren gegründet. Vor vier Jahren kam dann fobizz dazu. Warum EdTech (Education Technologie)? Weil ich glaube, dass Bildung ein extrem wichtiger Hebel ist, um Veränderung zu bewirken. Nur mit Bildung kann jeder Mensch sein volles Potenzial entfalten. Und ich habe das Gefühl, dass ich mit meinen Fähigkeiten in diesem Bereich viel erreichen kann.
Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?
Meine Eltern haben mich immer unterstützt und mir viel Sicherheit gegeben. Und ich habe ein großes Netzwerk und Kontakte zu tollen Personen, die ich auch immer anfragen kann. Das ist viel wert.
Auf wen hören Sie?
Auf meinen Mann, der ja auch mein Co-Gründer ist und mit dem ich alles bespreche. Ansonsten je nach Thema auf Personen, die mehr wissen als ich. Dazu sind ein Netzwerk und gute Kontakt sehr hilfreich.
Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?
Begeisterung und Leidenschaft für ihre Arbeit.
Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?
Mikromanagement und Kontrolle. Ich glaub an Selbstverantwortung und dass jede*r sein Bestes geben will.
Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?
Ich lege Wert auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Mir sind Eigenverantwortung und Selbstorganisation sehr wichtig. Und eine gute Feedback-Kultur!
Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?
Geld ist natürlich wichtig, insbesondere wenn es darum geht, eine Firma aufzubauen und das Team zu bezahlen. Geld war aber nie mein Treiber. Ich habe mich immer stark von meiner Leidenschaft wie der Bildung leiten lassen. Dass sich das jetzt auszahlt und wir unsere Mitarbeiter:innen und uns darüber aus dem Cashflow finanzieren können, ist wunderbar.
Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?
Selbstorganisation, klare Kommunikation und gute Teamarbeit.
Worauf achten Sie bei Bewerbungen?
Da wir im Bildungsbereich unterwegs sind, ist mir die Motivation für den Bereich Bildung sehr wichtig. Teilweise bekommen wir Bewerbungen, in denen Bildung noch nicht mal erwähnt wird. Da muss ich dann gar nicht weiterlesen. Wenn ich mich für Potenzial versus Erfahrung entscheiden muss, dann wähle ich immer Potenzial.
Duzen oder siezen Sie?
Duzen. Bei unserer Zielgruppe, den Lehrkräften, passe ich mich aber immer an – und duze bzw. sieze zurück.
Was sind Ihre größten Stärken?
Lernbegeisterung und lösungsorientiertes Handeln.
Was sind Ihre größten Schwächen?
Ungeduld und Dinge „liegen zu lassen“. Am Ende mache ich es dann häufig doch. Ich muss mich zwingen, die Dinge auch mal sehend scheitern zu lassen.
Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?
Wenn ich komplett frei wählen dürfte, dann würde ich gerne Michelle und Barack Obama kennenlernen.
Was würden Sie sie fragen?
Die beiden scheinen sehr intelligente und empathische Menschen zu sein. Ich würde mich gerne über ihre Zeit im Weißen Haus mit ihnen unterhalten und wie sie das heute reflektieren.
Was denken Sie über Betriebsräte?
Einer meiner größten Unterstützer war lange Jahre Betriebsrat in einem großen Konzern: mein Vater! Ich finde die Arbeit von Betriebsräten wichtig.
Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?
Fehler gehören dazu und sind Teil des Lernprozesses. Deswegen mag ich Programmieren so gerne: Man macht ständig Fehler und muss diese „fixen“.
Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?
Die wichtigste Entscheidung für meinen persönlichen Karriereweg war sicherlich die Kündigung der Festanstellung. Das ist mir damals nicht ganz leichtgefallen. Ich erinnere mich aber noch, wie ich die Kündigung zwischen Weihnachten und Silvester abgeschickt habe. Gute Entscheidung!
Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?
Schwer zu sagen, ich erfasse das nicht. Viele Ideen entstehen auch im Alltag. Geschäftsführerin bin ich ja nicht nur bis 17 Uhr. Ich arbeite sehr gerne – wenn ich Pausen brauche, dann nehme ich sie mir.
Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?
Da ich oft zu spät ins Bett gehe und die Kinder dann viel zu früh aufwachen, meistens zu wenig. Vermutlich sind es so um die sechs Stunden.
Wie gehen Sie mit Stress um?
Ich glaube, ich habe einen sehr guten Umgang mit Stress und fühle mich selten überlastet. Wenn ich zu viele Themen gleichzeitig habe, muss ich stärker priorisieren. Das gelingt mir gut.
Wie kommunizieren Sie?
Viel per Slack und per Videokonferenzen. Unser Team arbeitet remote über ganz Deutschland verteilt. Kommunikation und Wissensaustausch sind uns sehr wichtig, und wir probieren verschiedene Methoden aus, damit sich alle immer abgeholt und gut informiert fühlen. Damit sich unsere Mitarbeiter:innen auch persönlich treffen, laden wir regelmäßig zu Team-Tagen nach Hamburg ins Büro ein. Diese Kombination funktioniert für uns super.
Wie viel Zeit verbringen Sie an Ihrem Schreibtisch?
Die Frage müsste bei mir eher lauten: Wie viel Zeit verbringen Sie am Laptop? Einen festen Schreibtisch habe ich nicht, sondern wechselnde Arbeitsplätze. Ein Großteil meiner Arbeitszeit verbringe ich aber schon am Laptop oder Handy.
Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?
Vergleiche dich nicht mit anderen, sondern gehe deinen eigenen Weg. Er wird gut!
Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?
Danke an alle Lehrkräfte, die jeden Tag einen so wichtigen Job machen. Und ein Appell an die Bildungspolitik: Schenkt Schulen und Lehrkräften mehr Vertrauen.